laut.de-Kritik
Weder wie ein Bob Dylan noch wie Dieter Bohlen.
Review von Giuliano BenassiEs ist schon erstaunlich, wie viel Material sich im Laufe einer Musikerkarriere ansammelt. Was auf der offiziellen Platte landet, was als B-Seite einer Single taugt oder was einfach nur im Keller verschwindet, ist dabei in einem gewissen Maße Zufall. Schließlich sind an einer Produktion auch Manager oder Marketing-Strategen beteiligt, die ihre persönlichen Launen und Stimmungen mitbringen.
In Nachhinein entpuppt sich so manch bombensicherer Hit dann als Rohrkrepierer, während im ausgemusterten Füllmaterial die eine oder andere Perle schlummert. So hat sich Lloyd Cole in seiner Wahlheimat Massachusetts an die Arbeit gemacht und kistenweise Tonspulen und DATs durchgepflügt. Ausschlaggebend seien Fananfragen gewesen, betont er in seinen ausführlichen Kommentaren.
Herausgekommen ist die musikalische Biografie eines Künstlers, der als Mitglied einer Band in der zweiten Hälfte der 80er Jahre als Popstar groß herauskam, um danach auf eigenen Beinen immer wieder gegen die Wand zu laufen.
Daran war er nicht unschuldig, wie er offen zugibt. Die Geschichte beginnt voller Hoffnung 1988 in New York, wohin der Brite nach der Auflösung seiner Commotions zieht. In einem kleinen Appartment in Soho stellt er sein Bett in die Küche, baut im anderen Zimmer ein Tonstudio auf und macht sich an die Arbeiten zum Solodebüt. Leicht fällt ihm das nicht, zumal er neben den Stücken fürs Album noch drei zusätzliche Tracks für jede der drei geplanten Singles abliefern muss.
"Die meisten wurden ganz schnell wieder aus dem Programm genommen, weshalb sie nun Rarities sind", stellt Cole trocken fest. In der Tat kommt seine Solokarriere nur schleppend in Gang. Einerseits liegt das an den Unwegbarkeiten des Musikbusiness' - das Label wechselt mehrere Male den Besitzer, was neue Ansprechpartner zur Folge hat, - andererseits an Cole selbst, dem es unter Druck nicht gelingt, die Hitklaviatur zu bedienen.
Ein weiterer Grund: sein gitarrenbetonter, radiotauglicher, dennoch nicht anbiedernder Rockpop hat dem aufkommenden Grunge nichts entgegen zu setzen.
An der Qualität des Materials ist jedenfalls nichts auszusetzen. "Es handelt sich um Aufnahmen, die im Studio entstanden sind und kommerziellen Zwecken dienten", erklärt Cole - also keine Demos oder Live-Darbietungen. Neben den B-Seiten gehören der Sammlung auch Stücke an, die zwar fertig gestellt wurden, anschließend das Licht der Welt aber nicht erblickten. Die Tonqualität bleibt so durchgehend hervorragend.
Zu Beginn von CD 1 mit dem Titel "One Ride Wine Glass" geht es betont entspannt zu. Schlagzeug im 4/4-Takt, leicht verstärkte Gitarren, gelegentlich auch Keyboards und weibliche Backgroundstimmen, dazu Coles tiefe, unaufgeregte Stimme – die Einflüsse aus Commotions-Zeit sind deutlich zu hören.
Nachdem "Lloyd Cole" 1989 aber nicht den erhofften Erfolg bringt, ändert der Brite das Konzept: Sein folgendes Album besteht aus einem rockigen und einem orchestralen Teil. "Die Welt sollte erfahren, dass ich nicht ein eindimensionaler Rocksänger bin", erinnert er mit einem Schmunzeln. In dieser Zeit nimmt Cole auch zwei Coverversionen auf: Leonard Cohens "Chelsea Hotel #2" und T.Rexs "Childern Of The Revolution". Doch auch mit "Don't Get Weird on Me, Babe" (1991) bleibt der Erfolg aus.
"Re-Make / Re-Model", der Untertitel der zweiten CD beschreibt den nächsten Karriereabschnitt: Nun muss endlich ein richtiger Hit her. "Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was ich mit 'Bad Vibes' erreichen wollte. Das hat mich aber kein bisschen gestört. Ich wollte einfach die Leute überraschen". Was aber ordentlich misslingt.
Denn nach einem langwierigen Entstehungsprozess mit zahlreichen Überarbeitungen floppt das dritte Album umso mehr. Zu viel Bombast, lautet das ehrliche Urteil des Musikers. Wie es hätte klingen sollen, zeigen drei rasch aufgenommene Coverversionen: Lou Reeds "Vicious" sowie Marc Bolans "Mystic Lady" und "The Slider".
Back to the Roots, also. Die Plattenfirma gewährt eine letzte Chance. Cole reaktiviert den Gitarristen der Commotions, Neil Clarke, und nimmt sein viertes Soloalbum "Love Story" auf. "1994-95 waren zwei schlechte Jahre", erinnert er sich im Kommentar zu CD 3, "Dangerous Music". Vom Label schon so gut wie fallen gelassen, plagen ihn Selbstzweifel, die zu einer gewissen Ziellosigkeit beitragen. "Für mich sind zu viele 'Babes' und 'Babies' in deinen Texten", sagte ihm der Verantwortliche damals. Eine Meinung, die Cole mittlerweile teilt.
Mit der Single "Like Lovers Do" erreicht er im Heimatland immerhin Platz 24 der Charts, doch hat er in den USA keinen Rückhalt mehr. "Difficult Pieces", eben, wie die vierte CD dieser Sammlung heißt. Eine Best Of beendet 1998 den Major-Vertrag, nachdem sich das Label geweigert hat, ein 1996 entstandenes Album zu veröffentlichen (es erscheint 2001 mit dem Titel "Etc.").
Cole ist nun wieder frei zu tun, was er möchte, und stellt erst mal eine Band namens Negatives zusammen. "Unsere Sessions liefen nie ohne Gelächter oder Bier ab", fasst er die Stimmung zusammen. Die Platte erscheint 2000 auf einem kleinen französischen Label. Nebenbei entstehen das Burt Bacharach-Cover "I Just Don't Know What To Do With Myself" und das französische Stück "Si Tu Dois Partir".
Mit dem neuen Jahrtausend beginnt ein neuer Lebensabschnitt. "Ich beschloss, Alben zu machen, weil ich Songs schreibe, und nicht umgekehrt", so Cole. Nach einer Solotour mit Akustikgitarre zieht er sich ins Studio zurück und nimmt die kleine Perle "Music In A Foreign Language" (2003) auf. Die neue Vorgehensweise zeigt sich auch daran, dass es nun kaum noch Zusatzmaterial zum Ausschlachten gibt. Das hier vertretenen "ClaireFontaine" war eine B-Seite, "Late Night, Early Town" und "My Alibi" sind in anderen Versionen auf dem Album vorhanden.
Aus dem vorerst letztes Studiowerk "Antidepressant" (1996) ist lediglich "Coattails" übrig geblieben. Interessanter klingt das zuvor entstandene, wunderbare "For The Good Times", ein Duett mit der Songwriterin Jill Sobule für ein Kris Kristofferson-Tributealbum. Vielleicht das schönste Stück von 59, die Cole kompiliert hat.
Wer auf der Suche nach Hits ist, kann mit "Cleaning Out The Ashtrays" wahrscheinlich nicht viel anfangen. Eher handelt es sich um Material für den eingefleischten Fan. Doch erzählt diese Sammlung den Werdegang eines Musikers, der kein Bob Dylan ist, aber sicherlich auch kein Dieter Bohlen. Lange hat es gedauert, bis Cole den musikalischen Weg gefunden hat, um sich auszudrücken: Ein klassischer Singer/Songwriter mit dem Gespür für zarte und poppige Melodien, der aber nicht die Hartnäckigkeit und den Riecher an den Tag gelegt hat, um im harten Popgeschäft bestehen zu können.
Es hat mir noch nie gefallen, dass manches Material von mir nicht mehr gepresst wird. In der Lage, in der sich das Musikbusiness momentan befindet, gelten Stücke, die es nur als Download gibt, für mich nicht als verfügbar. Diese Sammlung stellt meinen und Tapetes Versuch dar, wenigstens für eine kurze Weile diesen Prozess umzukehren, erklärt Cole. Es ist eben die Musik, die diesen Mann antreibt - und nicht der Kommerz.
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