laut.de-Kritik
"Everything quiet but the music".
Review von Mirco LeierSo wirklich weg war Mac Miller nie. Auch sechs Jahre nach seinem Tod verschwand seine Persona und seine Musik nicht aus dem kollektiven Hip Hop-Gedächtnis. Er mag nicht der einflussreichste MC seiner Ära gewesen sein, aber dafür einer der versiertesten und wandlungsfähigsten. Eine Erkenntnis, die mit jedem weiteren Jahr seit jenem tragischen Tag im Spätjahr 2018 wie ein guter Wein heranreift.
Seine Nachlassverwalter bewiesen bereits mit "Circles", dass sie seiner archivierten Musik mit größtmöglicher Sorgfalt begegnen. Dieses Level an Professionalität und Liebe setzt sich nun auch auf “Balloonerism” fort, einem Herzensprojekt Millers, über das er zu Lebzeiten vermehrt den Wunsch äußerte, es zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen zu wollen.
Das ganze Projekt entstand innerhalb weniger Tage als Beifang zu Millers mittlerweile als Magnus Opum anerkannten Mixtape "Faces", und dennoch fühlt es sich schon jetzt wie ein essentieller Bestandteil seiner Diskografie an. "Circles" klang zurecht wie das Ende, "Balloonerism" bildet nun den Epilog. Das verschollene Bindeglied, das in der uns bis dato bekannten musikalischen Evolution Macs fehlte. Eine Kollektion psychedelischer Loosies und freigeistiger Ideen, die schon Jahre bevor der Rapper immer mutiger darin wurde, in fremde Sphären vorzustoßen, diesen Mut und die Vision dahinter erstmals in vollem Umfang einfing.
Das fängt schon damit an, dass "DJs Chord Organ" das Album mit einer fünfminütigen fast ausschließlich instrumentalen Jam-Session eröffnet. Thundercat summt eine Melodie, SZA singt ein paar Zeilen, irgendwo rumpelt besagtes Akkordeon durchs Klangbild, bevor Miller das Ganze im Finale antiklimaktisch mit ein paar einfachen "Yeahs" auflöst. Kein Rap, keine Hook, kein Verse, kein Kopfnicken.
Das hat wenig mit dem Album zu tun, das der Rapper aus Pittsburgh tatsächlich an Stelle von "Balloonerism" veröffentlichte. "GO:OD AM" zeigte einen energetischen Miller am Höhepunkte seiner Pop-Rap-Ambitionen, während dieses Kleinod inmitten von Jazz-Samples, Neo-Soul und musikalischen Ausreißern die Zimmerdecke anstarrt und die Gedanken kreisen lässt. Stellenweise kommt das geradezu einer Meditation gleich. Als hätten sich Mac und seine Freunde für sieben Tage in ein Studio eingeschlossen und einfach gemacht, ohne überhaupt darüber nachzudenken, was denn genau.
Dass das Ergebnis nicht nur einige seiner spannendsten musikalischen Ideen zu Tage fördert, sondern auch unglaublich kohärent klingt, zeugt rückblickend nur einmal mehr davon, wie viel Talent in diesem Jungen steckte. Ich meine, das Album schließt mit einem elfminütigen Song, der nach wenigen Minuten komplett aufhört so zu tun, als wäre das hier ein Rap-Album, und einfach den Rest seiner Laufzeit als psychedelischer Ambient-Tagtraum vor sich hin fließt. Der springende Punkt dabei: es klingt großartig!
Auf "Excelsior" fragt sich Miller, wieso eigentlich irgendwann die Fantasie in uns stirbt. "What happened to apple juice and cartwheels?", bringt er es schön auf den Punkt. Und "Balloonerism" wirkt ein wenig wie die Rückkehr zu dieser kindlichen Begeisterung für Musik, zu seinem eigenen Versprechen, irgendwann ein Zauberer sein zu wollen. Die eigenen Grenzen einreißen, und die eigenen Geistelblitze, egal wie verrückt sie auch klingen mögen, mit einem lachenden Abrakadabra auf den Lippen auf die Tonspur zu pressen.
Das spiegelt sich in den verspielten Instrumentals wider. Die Gitarren, Saxophone und Klavier-Melodien klingen weich aber lebendig, als hätte die Person hinter dem Instrument beim Spielen ein Lachen auf den Lippen und manche Soundeffekte und Synths klingen, als hätte Mac sie direkt aus dem Nachmittagsprogramm auf Nickelodeon geklaut. Aber auch in kleinen Skits hier und da wird dieser Ethos hörbar, etwa wenn Mac "Rick's Piano" mit einem “Knock Knock”-Joke eröffnet, oder in Songs wie "Transformations". Wo Miller eine komplette Detour hinlegt, und für wenige Minuten seinen alten Frat-Humor mithilfe seines Alter Egos Delusional Thomas aus der Kiste kramt, während er seine Stimme mit Filtern manipuliert wie ein Kind, das wild an irgendwelchen Reglern dreht.
Die Line "Life is just so boring playing superhero makes it fun" aus "Manakins" lässt sich durchaus als Mission Statement dieser LP verstehen. Ohne die Restriktion, die ein kommerziell angelegtes Album mit sich bringt, lässt Miller seine Fantasie solch freien Lauf, wie man es zu Lebzeiten nur selten von ihm zu hören bekam. Leider hat die besagte Line auch eine zweite Hälfte: "But why is Heroism so close to heroin?"
Inmitten dieser träumerischen Schwerelosigkeit fördert dieses zwanglose Musikmachen jedoch auch Gedanken zutage, die gerade rückblickend mitten ins Herz schneiden. "Balloonerism" klingt von sich aus oftmals melancholisch, aber gerät im retrospektiven Kontext an manchen Stellen geradezu gespenstisch. Millers Umgang mit seinem eigenen Tod begann sich schon viel früher, als es gerecht wäre, wie ein roter Faden durch seine Diskographie zu ziehen, hier wiegt diese Selbstreflektion besonders schwer. Auch wenn er all die negativen Emotionen in traumhaften schönen Songs verstrickt, so kann die musikalische Zuckerwatte nicht immer die Tragik in ihrem Kern verstecken.
Auf dem Standout "Funny Papers" etwa, der ähnlich wie das posthume “Good News” die Zeit um einen herum für ein paar Minuten langsamer fließen lässt, sagt Miller, dass er immer dachte, niemand könne an einem Freitag sterben. Vier Jahre später strafte er selbst diese Annahme Lügen. Auf "Stoned" und "Mrs. Deborah Downer" flirtet er müde erneut mit den Dämonen seiner Abhängigkeit, und auf "Ricks Piano" fragt er einfach geradeaus: "Why does death steal life? I wanna know what death feels like." Ich bekomme alleine beim Abtippen dieser Lyrics schon wieder Gänsehaut. Gespenstisch, sag ich euch.
Dennoch ist das hier kein zweites “Circles”, kein Hip Hop-“Blackstar”, sondern ultimativ ein lebensfrohes, warmes und schönes Album, das lyrischen Regenwolken instrumentalen Sonnenschein gegenübergestellt, die eigenen Dämonen mit kindlicher Fantasie klein und die tragische Realität mit Tagträumen in Schach hält. Wenn es der finale Abschied von diesem Ausnahmetalent sein sollte, dann ist es einer, der einem eher ein bittersüßes Lächeln ins Gesicht zaubert als eine Träne in den Augenwinkel. Ich bin mir sicher, dass es sich Mac Miller auch nicht anders gewünscht hätte: "If I'm dyin' young, promise you'll smile at my funeral"
1 Kommentar
Ist richtig baba