laut.de-Kritik
Zauber-Sound voller Sixties-Nostalgie.
Review von Philipp Kause"Counting Down The Days" heißt der Ohrwurm, der Jonathan Jeremiahs neuem Longplayer vorne weg groovte. 1.153 Tage hätte man herunter zählen können, wenn man beim Release von "Horsepower For The Streets" schon gewusst hätte, wann das überwältigend schöne "We Come Alive" erscheinen würde. Die beiden Alben gehören zusammen. War "Horsepower For The Streets" in einer Kirche in Amsterdam eingespielt und nahe Bordeaux entstanden, strahlt auch "We Come Alive" wieder etwas Französisches aus, mit je einem Touch Chanson und Sixties-Yé-Yé-Pop.
Die beiden Alben ähneln sich in ihrer Vorliebe für Streicher. Eine deutliche Parallele lässt sich auch zu Michael Kiwanukas letztem Album "Small Changes" kaum verhehlen. Bei mancher Übereinstimmung unterscheiden sich Jeremiah und Kiwanuka hier doch an vier Stellschrauben, und sie charakterisieren das Besondere von "We Come Alive": Optimismus ist der Kern seiner Lyrik, also keine mentalen Probleme. Das Tempo der Stücke ist um einiges höher. Die prozentualen Anteile von Folk, Soul, Pop und Orchester-Sound sind deutlich gegeneinander verschoben. Jonathan setzt das Sinfonische ausgewählter ein und punktuell, mit einem überraschenden Auftritt des Jazz-Trompeters Till Brönner in einem Annex an den Song "We Come Alive". Der Jazz hört sich hier kirchlich an, ist eine Session-Aufnahme, man blieb beim ersten Take.
Und schließlich duckt sich Jonathan nicht unter den stellenweise fetten Arrangements in introvertierte Selbstanalyse weg, sondern marschiert mutiger auf die Hörer:innen zu. Er zeigt sich mitteilungsbedürftig, trägt zauberhaft singend seine gut gewählten und oft der Natur entlehnten Metaphern vor. Ein wunderschöner Frauenchor, Soul-Rhythmik und Klassik in der cineastischen Instrumentierung reizen die Genre-Grenzen immer wieder aus und lassen den Folk-Storyteller in Richtung Scott Walkers und eines Crooners und Chansonniers wandern.
Die einzelnen Stücke kommen alle auf ebenbürtiges hohes Niveau, sorgen zugleich für gestalterische Abwechslung unter einem homogenen Dach. "Counting Down The Days" klingt ein bisschen süßer und dramatischer, "Lorraine And The Mermaid" schillert poetisch ausgefeilter, der Titeltrack hat die spannendste Abmischung. Hier lockt der Londoner den Kollegen Brönner aus dem Easy-Listening weg auf vertrackteres Terrain. Die beiden hatten vor zehn Jahren beim Dreh der Arte-Sendung "Durch die Nacht mit ..." zusammengearbeitet.
"Kolkata Bear" geht schneller eingängig ins Ohr, zitiert plakativer die Sixties, "The Suntrap" punktet in Dramaturgie, Laut-Leise-Dynamik und Psychologie, "Lush" liefert erstklassigen Northern Soul. Toll, unverzichtbar, warm, nostalgisch und seelenvoll sind alle diese Songs - starke Platte und noch eine Steigerung gegenüber dem Vorgänger.


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