laut.de-Kritik

Edle Zauber-Glitzer-Romantik ohne Kitsch.

Review von

Viel hat sich nicht verändert bei Michael Kiwanuka. Selbst "Small Changes" sind nur mit der akustischen Lupe aufzustöbern. Es gibt ein Klavier, gute Basslines von Pino Palladino (The Who, D'Angelo) wie im Opener "Floating Parade", Orchester-Sound nach Art von Film-Soundtracks und Burt Bacharach-Klassikern. Mittendrin, ohne sich aufzudrängen, erklingt das warme Timbre eines folkigen Singer-Songwriters in Soul-Rhythmik, dessen Seele für Rebellion steht, eine "Rebel Soul". Pino ist tatsächlich neu im Team, und das Album enthält viel Psychologie. Das sind im Wesentlichen die Neuerungen.

Als die BBC im Januar 2012 ihre Watchlist fürs anbrechende Jahr vorstellt, reiht sich Michael Kiwanuka in ein Phänomen ein, das bereits wie ein Trend schien. Soul made in the UK, zwischen Pop und Orchester, das war zur Qualitätsmarke geworden. Nach dem Tod von Amy Winehouse hungert das Publikum in Europa nach mehr. Lianne La Havas, Jonathan Jeremiah, Eliza Doolittle, Duffy, Corinne Bailey Rae, Joss Stone - man gewöhnte sich an Solistinnen und Solisten mit guten Stimmen, Sinn für 60er-Jahre-Instrumentierungen, hohen Produktions-Standards, und 2012 erreicht der Trend seinen Peak. Später stößt Ady Suleiman zum Kreise der Namhaften hinzu und mittlerweile Celeste, die für Kiwanuka Ende 2019 Support in Deutschland spielte. Doch wirklich nachhaltig erfolgreich ist eben Kiwanuka. Und das hat mehr als einen Grund.

Zum einen symbolisiert seine traumartig versunkene Musik, dass man sich ganz auf sich selbst und die eigene innere Mitte verlassen sollte. Wie es Kiwanukas neues Stück "Follow Your Dreams" fordert, so unterstützt sein Sound im Herunterschalten vom Stress und den an uns heran getragenen Erwartungen. Die eigenen Träume sind wenig wert, wenn man sie sich nicht bewusst macht, sie vielleicht aufschreibt, jedenfalls auch gegen eine widrige Realität ("all I see is broken doors") im Auge behält und verfolgt.

Ein zweiter Punkt bei Michael liegt in der spielerischen Tiefe der Musik begründet. Sie geht keine Kompromisse ein und lebt vollkommen von der Echtheit der Instrumente. Dass Menschen sie spielen und hier keine Loops oder Drum-Machines zum Einsatz kommen, verleiht dem gesamten Klang etwas sehr Menschliches, Verletzliches, Intimes und Nahbares, aber auch rhythmische Elastizität. Letztere zeigt sich in den Grooves von "Follow Your Dreams" sehr deutlich.

Die dritte Komponente Kiwanukas wurzelt tief in der Geschichte des Soul. Kolleg:innen, Freund:innen oder ein:e Partner:in verpflichten sich auf mehr als temporäre Bekanntschaften, das wäre so etwas wie "wasted time". Im Song "Stay By My Side" geht es um diesen Zeitaspekt. Der Song postuliert die ewige Solidarität, einen tiefen Wert der Soulmusik, gegenseitige Unterstützung, dem anderen Auftrieb geben, als Ausgleich für all die Erniedrigungen des 'Survival of the fittest' da draußen. "I'm always with you / my one and only / for the days, for the days ahead", versichert der Protagonist im Titellied einer nahestehenden Person. Im Privaten hieße das, dem anderen auch in einer Krise beizustehen.

So ein Lied wie "Stay By My Side" weist manche Gemeinsamkeit mit dem Kammerpop-Sound der Tindersticks auf. Stuart A. Staples und Michael Kiwanuka haben zwar recht verschiedene Stimmlagen, im zittrigen Pathos des Streicher-getragenen Edelklangs kommt Michael ausgesprochen vertraut rüber, und er betont ähnlich. Freilich, dick aufgetragen hören sich solche Songs schon an, aber vor einem Zuviel schrecken Kiwanuka und seine langjährigen Ko-Produzenten Danger Mouse und Inflo (Little Simz, Sault) dann doch zurück. Gleichzeitig öffnen sie sich einem Alternative Pop-, Songwriter-Folk- und Klassik-Publikum. Das weicht von der sonst natürlichen Verbindung zwischen Soul- und Jazz-Szene ab, und so punktet Michaels Mannschaft vor allem mit Stringenz statt mit Improvisation.

Dennoch höre ich einen weiteren Kern-Bestandteil Kiwanukas darin, dass stets ordentlich Gewusel darin vorkommt. Selbst Tracks, die vom Tempo her ruhiger sind, wie "Four Long Years", zeichnen sich durch eine flirrig-pulsierende Grundstimmung aus. Sie ist ja auch seit jeher typisch und kennzeichnend für Northern Soul. In diese Tradition fügt sich "Floating Points" ein. Phasenweise setzt sich eine psychedelische, gebrochen gespielte Lead-Gitarre in den Vordergrund, und auch "Low Down Part 1" macht von einem psychedelischen Gefühl Gebrauch. Sogar getragene Stücke pflegen den Vibe des fluffigen Urban-Sounds, ohne ins Kitschige abzugleiten. Im Titellied "Small Changes" reißen Geigen, Cello und Viola zwar eher aus der Eleganz des Liedes heraus. Das einsetzende Streichquartett müsste nicht eine so entschlackte, pure Ballade überladen, sorgt aber für Glitzer.

Vor dem Hintergrund, dass der Künstler an Angstattacken und Problemen mit seiner seelischen Gesundheit leidet, sind die oft in sich verschachtelten Texte aufzufassen, denen mit "Low Down Part 2" ein Instrumental mit einem Hauch George Harrison-Slide gegenüber steht. An mancher Stelle wirkt Michael mit all der verzaubernden Wärme dieser Stücke wie ein Bill Withers 2024, wofür "Live For Your Love" als Musterbeispiel einsteht.

Trackliste

  1. 1. Floating Parade
  2. 2. Small Changes
  3. 3. One And Only
  4. 4. Rebel Soul
  5. 5. Low Down Part 1
  6. 6. Low Down Part 2
  7. 7. Follow Your Dreams
  8. 8. Live For Your Love
  9. 9. Stay By My Side
  10. 10. The Rest Of Me
  11. 11. Four Long Years

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Michael Kiwanuka

Die Fußstapfen sind groß, in die Michael Kiwanuka zu Beginn seiner Karriere tritt. Als Gewinner der Wahl zum BBC Sound Of 2012 beerbt er Künstler wie …

5 Kommentare mit einer Antwort