laut.de-Kritik
Verletzt, vulgär, vielschichtig.
Review von Dominik LippeMariybu gehört zu den offensten und komplexesten Charakteren des erweiterten Deutschrap-Kosmos. Nach zwei introspektiven Rap-EPs verschrieb sie sich 2022 dem Hyperpop. Entsprechend fluffig fiel ihr Debütalbum "Slaybae" aus. Mit Songs wie der Auskopplung "Walkie Talkie Booty Call" gelang ihr die seltene Mischung aus putzig und unschuldig auf der einen sowie kinky und libidinös auf der anderen Seite. Nun folgt ihr zweites Album "Ein Tag Göttin", auf dem sie "zwei Beziehungen, eine Fast-Verlobung und mehrere Crushes verarbeite", wie sie auf Instagram offenbarte.
"8 Uhr" fängt die selbstzufriedene Stimmung am Ende einer Partynacht ein. Während Peter Fox' "Schwarz Zu Blau" ein mächtiges Großstadtpanorama skizzierte, richtet sich Mariybus Blick nach innen. Sie bastelt ein goldiges Liebeslied, das atmosphärisch wie Trance klingt. "Manchmal weißt du nicht, wie gerne ich dich hab'. Deshalb sag' ich's dir am besten jeden Tag", singt sie mit Halleffekten, die nie der Aufrichtigkeit in die Quere kommen. Kein Kitsch, kein Klischee, keine überzogenen Liebesschwüre, die an der Realität zerschellen, sondern ganz simpel "Wärme im Bauch und im Herzen nur Frieden".
Schon stärker haut "Wie Du Mich Mochtest" musikalisch auf den Tisch. Traurig und verletzt flüstert sie leise unter dem Bass, der sie wie eine Rüstung umgibt. "Vielleicht hast du mich mal geliebt, aber wie du mich mochtest, das war nur toxisch", blickt sie bedrückt auf eine Beziehung zurück. Mariybu beschreibt, wie die Person sie als zu fett, zu laut, zu pickelig bezeichnet habe und damit ihre Unsicherheiten bis heute nährt: "Hör' deine Stimme noch in meinem Kopf an schlechten Tagen. Und ich frag' mich, ob das sein muss." Mit wenigen Bleistiftskizzen gelingt es ihr, Bilder entstehen zu lassen.
Doch es geht auch seichter. "Klappkaribik" ist ihre Variante von 'Urlaub auf Balkonien'. "Alle fahren nach Thailand, alle fliegen weg - und ich weiß nicht wofür", singt sie unbeschwert im Blümchen-Stil. Da geht dem Deutschen das provinzielle Herz auf. Eine Etage tiefer nimmt Mariybu mit "Lass Mich Gehen" ins Visier. "Ich spreiz' meine Beine, zeig' die Fotze, lass mich gehen", haucht sie arg vulgär. Den groben Sextalk versucht sie dann auch noch mit mit Comedy-Adlibs, einem Tröt-Instrumental und Mario-Barth-Humor abzufedern. "Ich bin vom TÜV, darf ich deine Hupe testen?"
Feinfühliger verpackt sie die BDSM-Theamtik von "Ein, Zwei Schläge". "Runter auf die Knie. Du hast mir zu dienen, sonst wird Mami böse", befiehlt sie in einem betont ausgeglichenen Flüstervortrag. Das Stück bewegt sich innerhalb eines aufgeräumten Rahmens, der zur regelbasierten Spielart passt. Vom Dungeon wechselt sie zur Pride Parade. "Laut & Queer" passt zu ihrer Figur und ihrer Haltung, klingt aber auch auffallend nach Gebrauchsanweisung für den Christopher Street Day. "Wir sind laut, wir sind queer! Alle rasten aus, alle eskalieren!", skandiert Mariybu der Menge zu bretthartem Techno vor.
"Baby, sei, wie du bist", legt sie in "Laut & Queer" nahe. Eine Empfehlung, der sie selbst nur selten folgt. "Spiele jede Rolle bis zur Perfektion. Ich zu sein, hat sich für mich noch nie gelohnt", wispert die Sängerin bekümmert in "Einsam". "Ich hab' es verlernt, mich zu zeigen. Dafür bin ich wohl zu feige und bleib' lieber alleine." Kleinlaut entzieht sich dem Authentizitätsgebot, lässt die Partyflucht des Titelsongs ruhen und offeriert ihrem Publikum wie auf dem Cover ihr Herz. Mariybu erweist sich auf "Ein Tag Göttin" als vielschichtigste Persönlichkeit, die sich bei aller Reflexion etwas Enigmatisches bewahrt.
1 Kommentar
Ich hab mir jetzt zwei Tracks angehört und es lässt sich zweifelsohne sagen: Musik für Yannik Gölz