laut.de-Kritik

Auf den Spuren von Big Thief und Phoebe Bridgers.

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In den sozialen Medien stolpert man immer häufiger über die Bezeichnung "Nepo Babies" beziehungsweise "Nepotism Babies". Gemeint sind damit die Kinder etablierter Figuren der Entertainment-Branche, denen der Einstieg in die Film- oder Musikwelt durch ihre familiären Beziehungen deutlich erleichtert wurde. Das amerikanische Onlinemagazin The Take deutet die Nepo Babies gleich als Symbol der "kaputten Meritokratie" im Unterhaltungsbereich - in Hollywood und auf dem Musikolymp landen demnach nicht mehr diejenigen Künstler*innen, die es verdienen, sondern die, deren Eltern ihnen die richtigen Kontakte vermitteln. Weil es müßig bis unmöglich ist, in jedem einzelnen Fall aufzudröseln, wie es um das Verhältnis von Talent und Privilegien bestellt ist, grassiert in gewissen Kreisen eine umfassende Ablehnung gegenüber allen "Nepo Babies". Als Tochter von Ethan Hawke und Uma Thurman ist Maya Hawke in dieser Hinsicht besonders verdächtig.

Während sie schauspielerisch primär auf die Rolle charmanter Teenie-Oddball ("Stranger Things"; "Do Revenge") festgelegt scheint, sorgt ihre Musik dafür, dass das Pendel in ihrem Fall in Richtung Talent ausschlägt und man ihr jegliche Privilegien gerne verzeiht. Schon auf ihrem Debütalbum "Blush" schien sie sich um Mainstream-Trends kaum zu scheren und lieferte entspannten Laurel-Canyon-Folk, der ihr vermutlich mehr Respekt als kommerziellen Erfolg bescherte. Auf "Moss" distanziert sie sich nun weiter von jeder Form von Aufgeregtheit. Mit ihren Produzenten Benjamin Lazar Davis und Jonathan Low lässt sie reduzierte Instrumentationen um ihre sanfte, schmeichelnde Stimme kreisen und schafft so gleichsam melancholische wie warme Stücke, die sich als Soundtrack für den beginnenden Herbst empfehlen.

Als klangliche Inspiration diente Taylor Swifts "Folklore" (ebenfalls gemischt von Low), wie Hawke gegenüber Billboard verriet. Wo Swift sich aber doch mit einer großen Pop-Sensibilität durch die Folk-Klangwelten navigierte, verweigert sich Hawke immer wieder den großen Hooks und verzichtet häufig auf treibende Drums. Die atmosphärischen Synth-Elemente in Stücken wie "Sticky Little Words" und besonders das launige "Sweet Tooth" mit seinem ratternden Beat wecken zwar Erinnerungen an die von Aaron Dessner produzierten Stücke auf "Folklore". Häufiger landen die Songs aber in der Nachbarschaft von Indie-Darlings wie Big Thief ("Backup Plan") oder Phoebe Bridgers ("Luna Moth").

Auf "Bloomed Into Blue" besticht die Verzahnung von Gitarrenspiel und der eingängigen Gesangsmelodie, während sich im Hintergrund ein mantraartiges Klaviermotiv in das Stück schleicht. Generell haben Hawke und ihre Mitstreiter ein gutes Gespür für Songwriting, lassen neue Elemente häufig unauffällig, aber zielsicher einfließen und finden immer wieder zu eindringlichen Höhepunkten, so etwa in "South Elroy" und ganz besonders im gespenstischen Highlight-Song "Thérèse". Aus den schwer anmutenden Strophen kommt Hawke immer wieder zum stärksten Refrain des Albums, in dem sie über eine stampfende Bassdrum singt: "It's tactless, it's a test / It's just Thérèse". Auch das Duett "Crazy Kid" mit Will Graefe ist durchaus gelungen, der Sänger kann mit Hawkes Stimme allerdings nicht mithalten und bleibt etwas blass.

Während sich die von Hawke verkörperten Film- und Serienfiguren meistens in der Adoleszenz befinden, präsentiert sie sich auf "Moss" aufgrund der abstrakten, poetischen Texte und dem selbstbewussten, zarten Vortrag sehr erwachsen. In "Mermaid Bar" scheint sie etwa einen Traum zu schildern und auch wenn sich dessen Sinn nicht gleich erschließen mag, macht es Spaß, ihren Schilderungen zu lauschen: "My lungs deflated, my fingers weaved / Rips separated for gills to breathe / Ran my tongue over my sharp new teeth / Panicked, swimming, collapsed in the reeds". Auch da, wo ihre Texte klarer und expliziter werden, überzeugen sie, etwa in "South Elroy": "I've been under since the end of summer / When you flutter by, took all the color out of my eyes / Used up all my vibrance on South Elroy drive / When we fought and we fucked and we fought / I always took your side".

Dass ihre Eltern ihr den Einstieg in die Branche leichter gemacht haben, hat Hawke gegenüber People eingestanden. Mit "Moss" hat sie nun ein Zweitwerk vorgelegt, dass Zweifel an ihrem Talent beseitigen und sie final von Vorwürfen, nur ein "Nepo Baby" zu sein, freisprechen sollte.

Trackliste

  1. 1. Backup Plan
  2. 2. Bloomed Into Blue
  3. 3. Hiatus
  4. 4. Sweet Tooth
  5. 5. Crazy Kid (feat. Will Graefe)
  6. 6. Luna Moth
  7. 7. South Elroy
  8. 8. Thérèse
  9. 9. Sticky Little Words
  10. 10. Over
  11. 11. Restless Moon
  12. 12. Driver
  13. 13. Mermaid Bar

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1 Kommentar

  • Vor 2 Jahren

    Ich hab das Album jetzt einmal durchlaufen lassen und bin ganz angetan davon. Stimmung und Klangbild sind angenehm warm und dabei leicht melancholisch bis verträumt - eigentlich genau richtig für den momentanen goldenen Herbst. Auch die zurückgenommene Instrumentierung war eine gute Wahl, denn so stechen vereinzelte Einsätze von Mundharmonika oder Pedal Steel Gitarre angenehm hervor. Ebenfalls gefallen mir die begleitenden gesungenen Harmonien, die sich über alle Tracks ziehen. Von Anfang bis Ende ein in sich stimmiges Album, bei dem alle Elemente sehr gut zueinander passen.
    Ich mag diese Art ruhiger Folkmusik ohnehin ganz gerne und meinen Geschmack trifft Maya mit dem Album auf jeden Fall. Wenn ich mich recht entsinne, hatte mir damals auch schon ihr Erstlingswerk gut gefallen.