laut.de-Kritik
Einfühlsamer Folk gegen alle Widrigkeiten.
Review von Giuliano BenassiIm Mai 2010 spielte der Texaner auf der Reeperbahn in der Bar des Beatlemania. Zwei Dutzend Leute waren gekommen, um dem schmächtigen Texaner zu lauschen, der auf einem Barhocker sitzend sanft seine E-Gitarre und vor allem seine raue, zerbrechliche Stimme einsetzte. Anschließend verkaufte er noch ein paar Platten, die er artig signierte.
Nicht gerade das, was man einen durchschlagenden Erfolg nennt. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Im Juli 2011 wurde sein Auto nach einem Auftritt im spanischen Zaragoza in einen schweren Unfall verwickelt. Hinson verletzte sich an der Wirbelsäule und konnte eine Zeit lang seine Arme nicht mehr bewegen. Zwar erholte er sich wieder, doch die Tour war beendet und die Arbeiten für sein neues Album erst einmal unterbrochen.
Weitgehend in Spanien entstanden, schliff er 2013 noch einmal am Material, bevor er es 2014 bei seinem neuen Label Talitres veröffentlicht. Dass dieses im französischen Bordeaux angesiedelt ist, überrascht nur auf den ersten Blick, schließlich sind dort unter anderen auch Emily Jane White (USA) und Dakota Suite (UK) unter Vertrag.
Eine schwierige Geburt also, die gleich zu Beginn zu einem fast schon gewalttätigen Gefühlsausbruch führt: Auf "How Are You Just A Dream?" leiert Hinson am Anschlag, begleitet von Geschepper und Verzerrern. Das ganze klingt so schief, dann man sich an Sid Vicious' Soloversuche erinnert fühlt. Punk at ist best, also. Und die perfekte Art, seinen Frust loszuwerden.
Denn gleich danach geht es wesentlich sanfter zu. "On The Way Home (To Abilene)" besingt Hinson seinen Heimatort, begleitet von Klavier, Pedal Steel, Banjo und Schlagzeug. Ein Stück zwischen Country und Folk, das mit einer wirr gespielten Geige endet. Noch gemächlicher geht es in "The One To Save You Now" zu, einem klassischen melancholischen Schmachtfetzen der Marke Hinson, sowie "It Ain't Movin'", das mit brüchiger Stimme und einzelnen Klaviernoten auskommt.
"The Same Old Shit" bietet Johnny Cash-Geschunkel und eine jaulende Säge. Stimmungsvoll fällt auch das folgenden Stück aus, in dem sich Hinson an seinen Großvater erinnert. Das bluegrassige Banjo aus "There's Only One Name" könnte direkt aus den Appalachen stammen.
In "God Is Good" rechnet Hinson mit den widrigen Umständen in seinem Leben ab. "Jesus, my Lord, don't need me no more" kündigt Hinson in der ersten Strophe mit viel Pathos an. Im weiteren Verlauf geht es um Untreue ("my true love don't need me no more / She's found other arms and turned a whore") und Verlust der Eltern, wobei weniger Wut als Hilflosigkeit mitschwingt.
Noch nachdenklicher fällt "The Quill" aus, ein Stück über das widrige Schicksal eines Autors. "I always think you'll come back to kill me" singt er über die Feder, mit der er seine Gedanken zu Papier bringt. Mit "Love, Wait For Me" und dem zarten "A Million Light Years", das wie ein Wiegenlied klingt, geht das Album verhältnismäßig lebensbejahend zu Ende.
Auf ein Orchester verzichtet Hinson diesmal, auch wenn immer wieder Streicher (das "Aquatro String Quartet") zu hören sind. Unter den beteiligten Musikern sticht der Spanier Fernando "Mac" Macaya hervor, der eine ganze Palette an Instrumenten beigesteuert hat. Vieles von dem Rest hat Hinson selbst bewerkstelligt: Produktion, Abmischung, Cover. Selbst das Foto hat er selbst geschossen. Wie schon auf den Vorgängerplatten handelt es sich um das Model Kitty La Rue.
Nach dem doch arg anstrengenden "And The Pioneer Saboteurs" (2010) meldet sich Micah P. Hinson mit einem erneut unter die Haut gehenden Album zurück. "A grand amount of time and a grand amount of love was put into every song", sagt er selbst dazu. Das Ergebnis ist aus Hörersicht gelungen. Vielleicht sind bei der nächsten Tour die Besucherzahlen auch etwas besser.
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