laut.de-Kritik

Warum Beziehungen scheitern, verpackt in Keyboard-Soul.

Review von

Sades "Diamond Life" übt sich meisterhaft im wiederholten, gekonnten Warten auf den richtigen Moment, wenn die Band massive Kick-Drums, Keyboards, prononcierte Vocals aufeinander schichtet. Ähnlich geht Michi auf ihrem Debüt "Dirty Talk" an die Sache ran. Sade zählt zu ihren Inspirationen.

Michis Musik im Anspieltipp "If You Want Me" floatet auf entschlossenen und kantigen Klavierpedal-Imitationen an den Keyboards und auf einer unnachgiebigen Drum-Machine. Hier und auf Album-Länge zeigt sie sich eingetunkt in Intimität, so wie vieles im 70er- und 80er-Soft Soul. Stevie Wonder und Al Green haben den Musikgeschmack der Westcoastlerin geformt, man hört's. Ein Großteil der gut aufeinander abgestimmten Nummern erfüllt bei smoothem Antlitz eine therapeutische, empowernde Funktion, etwa "So Divine" und "Snoobie". "Ich trage so viel Schmerz in meinem Herzen, weil mich Menschen aus meinem Leben verlassen haben, schon seit meiner Kindheit. Ich möchte, dass dieses Album denjenigen, der es hört, bei der Befreiung des Selbst und bei der Heilung begleitet." - Das autobiographische "So Divine" sei entsprechend "ein Brief an einen Narzissten", so Michi.

Insgesamt untersucht "Dirty Talk" als monothematische LP Blockaden, die Liebe im Alltag verhindern. So verarbeitet die Songautorin die Trauer über verflossene Beziehungen, den Frust übers Scheitern dauerhafter Zweisamkeit. Für Leute im Publikum, die gar keine Partnerschaften suchen oder finden oder glücklich liiert sind, mag das zunächst wenig erhellend sein. "Dirty Talk" zielt aber darauf, dass ja die meisten Leute doch erleben, missverstanden oder gedemütigt zu werden. Beispiel; "Boy, like you treat me like a toy (...) like I don't matter at all (...) you pull me off the shelf", karikiert sie in "If You Want Me" den Partner, der einen als Spielzeug missversteht, das erst neu, reizvoll, chic ist, dann quasi im Regal steht und irgendwann dort raus fliegt. Diesen Partner oder diese Partnerin entlarven manche bereits in der Dating-Phase, manche erst nach Jahren. Smart geriet der Track, powervoll, energetisch. In "OMW" geht es um die letztgenannte Konstellation, aus dem Spielzeug-Regal rauszufliegen, und darum, "die Person zu verlassen, die ein Schwindler war und deine verdammte Zeit verschwendet hat", ergänzt die Sängerin.

"Snoobie" tankte seine Inspiration aus den Affekten der Trauer, Enttäuschung, der Ohnmacht und Wut: "Das war der Moment, nachdem ich verlassen wurde, als ich sagte: Ich bin sauer! Es ist verrückt, wie Männer mich manchmal im Griff haben können." - Wie schon die Plattenhülle zeigt, will die Newcomerin dabei "selbstbewusste Sexualität" demonstrieren. Im Stile des Soul der späten 70er, frühen 80er die Sounds wirkungsvoll leicht, soulpoppig zwischen "Nightshift" und "easy like Sunday morning" zu fertigen, darin sind Michi und ihre Producer Perfektionisten. Ihrem kalifornischen Label Stones Throw gingen schon vergleichbare Artists ins Netz, und "Dirty Talk" eignet sich sehr gut für Fans von ihnen, allen voran Jerry Paper, ebenfalls aus L.A., und der Holländer Benny Sings.

An diesem ersten Longplayer der Kalifornierin beteiligte sich Blake Rhein. Er ist sonst Gitarrist bei Durand Jones and the Indications, und er fungiert als Ko-Producer von "Dirty Talk". Im Tandem arbeitete er daran mit Paul Cherry, einem Chicagoer DJ, der zuletzt mit der Folk-Pop-Kollegin Kate Bollinger ihren Erstling schuf. Auch an Bord: Knxwledge, zuletzt geläufig aus Anderson .Paaks Kontext. Er sorgte für die tanzbare Abmischung von "Snoobie", "If You Want Me" und dem nunmehr auch richtig gut produzierten house'igen "There's No Heaven". An manchen kurzen Keyboard-Stücken wirken Label-Mitstreiter mit: Kiefer (in "Way I Do") und Gabriel Da Rosa, mit dem sie im stilsicheren und schönen Bossa-Groove "Memmy (Recuerdo)" auf die portugiesische Sprache setzt.

Wichtig ist der Debütantin ihr Latina-Background. Sie heißt Michelle Guerrero, verdankt ihren Nachnamen Eltern aus Mexiko und Spanien, repräsentiert die Verkörperung dessen, was Do$$nald Trump als parasitäres Gesindel abstempelt. "Mein wichtigster Punkt am Leben im Highland Park, L.A., dürfte die Präsenz der Latino-Community sein", plaudert Michi, 36, vor einigen Jahren im Magazin OnesToWatch. "In der Lage zu sein, mit meinen Nachbarn Spanisch zu sprechen, oder zu den echten Locals zu fahren, die Art Laboe aus einem tiefer gelegten, abgestellten Oldtimer ertönen lassen. Sowas ist eine ehrliche, herzerwärmende Erfahrung - besonders für ein Mädchen mit Latino-Abstammung". Jener Spezialist für Oldies und Musikgeschichte, Art Laboe, begeisterte Teenager sogar im Alter von 97 Jahren, noch bei seiner letzten Sendung am Tag, bevor er starb. Für Menschen aller ethnischen Hintergründe und Altersgruppen hielt er seine Shows attraktiv, Michi ist Fan. Es ist ihr wichtig, Laboes Ansatz in ihrer Musik am Leben zu erhalten - ihre Mission, ihr Antrieb. Mission accomplished!

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Walking Away
  3. 3. OMW
  4. 4. If You Want Me
  5. 5. Snoobie
  6. 6. There's No Heaven
  7. 7. Memmy (Recuerdo)
  8. 8. Playing Pretend
  9. 9. So Divine
  10. 10. Way I Do

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