laut.de-Kritik

Mit Authentizität und Karibik-Flair gegen den Synthiepop der 80er.

Review von

"Coast to Coast, L.A. to Chicago, Western male. Across the North and South to Key Lago" - dieser geheimnisvolle Refrain-Slogan ist eine der einprägsamsten und bekanntesten Songzeilen der 80er. Die raue, helle Stimme, die zugleich - als seltener Kontra-Alt - sehr tiefe Töne trifft, gehört einer jungen Frau namens Sade Adu. Ihre Band nennt sich einfach Sade, gesprochen Scha-'Dey, und bringt das Latino-Feeling nach Europa. Damit beenden die Briten das Regiment von Duran Duran und Talk Talk in den Charts und tragen einen überraschenden Kontrast zu den grellen Synthiepop-Glitzerfarben aufs Musikfernsehen auf.

Cool, seriös, vertrackt und lang – und doch Easy Listening: So durchbrechen die neuen Songs die Monotonie des computerisierten 4/4-Taktes. Sades Debüt beeinflusst den Musikmarkt der folgenden fünfzehn Jahre und bereichert ihn um soulige Stilmischungen aus England. Um "Diamond Life" professionell aufnehmen zu können, muss die live sehr erfahrene Band erst einmal lange kämpfen. Viele Labels in London lehnen die Combo ab. Doch bereits die erste Single erreicht im Februar 1984 Platz 6 in England: "Your Love Is King". Die Rückseite der 12 Inch-Single enthält die Medley-Version "Smooth Operator/Snake Bite". Leider erscheint sie nie auf CD.

"Smooth Operator" leitet ziemlich hart und kalt ins Album ein, erzählt von einem Waffenhändler, einem Angeber, beruflich viel in den USA unterwegs. Im Intro gestattet sich Sade Adu einen Spoken Word-Vortrag, der ihre ironisch-kritische Haltung zu dieser Sorte Mensch unterstreicht. Das Saxophon verleiht dem Song einen speziellen und damals neuartigen Lounge Jazz-Charakter. Die parallel veröffentlichte Cassette beinhaltet den "Smooth Operator" ohne Intro, dafür mit dem angefügten "Snake Bite", ihre B-Seite endet mit "Love Affair With Life". Selten bei einem Album, weichen Opener und Schlusstitel in den verschiedenen Formaten voneinander ab.

Selbst unter den durchweg erstklassigen Songs ist "Hang On To Your Love" ein Highlight. Die jazzrockige Gestaltung macht sich in den trockenen Klängen gleich zu Anfang des Songs bemerkbar, das Schlagzeug schiebt den Song mit unnachgiebiger Wucht an. Eine E-Gitarre gesellt sich nach den ersten Takten hinzu und arbeitet die Rock-Linie des Tracks heraus. Den Text von "Hang On To Your Love" trägt die sonst kühle Dame flehend vor. Sade Adus leicht heisere Falsettstimme zu Beginn verfestigt sich im Verlauf der ersten Strophe. Die Botschaft: Zu Liebe muss man stehen, "in Heaven's name", im Namen Gottes - Liebe ist so etwas wie ein Geschenk, und das wirft man nicht leichtfertig oder willkürlich weg. (Jahre später verzweifelt Miss Adu daran, dass sie in ihrer ersten Ehe nur ein paar Monate lang durchhält. Dieser Vorfall, die frühe Scheidung, zerstört ihr Selbstbild, ihre Wertvorstellungen. Die Dame glaubte also an das, was sie singt.)

Nach 3:17 Minuten scheint für einen langen Moment alles gesagt. Der Track könnte vorüber sein. Doch nun wird aus "Hang On To Your Love" ein Instrumental. Der Abschnitt beruht auf dem hellen Hämmern des Keyboards, gegenläufig zum Schlagzeug, das nun von der dumpfen Bass Drum-Dominanz auf die Hi-Hats 'umschaltet' und die Klangfarbe ins Tropisch-Karibische dreht. Produzent Robin Millar, Kind einer karibischen Mutter, liebt so etwas und wendet solche Kniffe später auch bei Boy George und Everything But The Girl an.

Die britischen Cocktail-Jazzer nehmen in puncto Stilentwicklung zwei gewaltige Eingriffe vor: Erstens machen sie den Jazz-Fusion-Funk-Rock der 70er Single-Hit-fähig. Ohne Weather Report und das Mahavishnu Orchestra wäre ein Song wie "Hang On To Your Love" eine absolute Revolution gewesen. Doch in den Siebzigern hatten sich bereits gravierende Wandlungen im Spielfeld von Jazz, Soul und Rock vollzogen. Sie verwirklichen, symbolisieren oder drücken die Zusammenführung von Hautfarben, Subkulturen, Einkommensschichten und verschiedenen Rhythmen aus - zumindest auf der Ebene der Unterhaltungsmusik.

Auch der authentische, echte Sound von "Diamond Life" ist zu dieser Zeit absolut unüblich. Sade widersetzten sich den Labels, denen sie die Platte anfangs angeboten hatten: Sie wollen keine Drum Machine, obwohl sie in der Band gar keinen Drummer haben. Sade insistieren aber auf der rhythmischen Menschlichkeit des Jazz und behelfen sich mit (sehr guten) Session-Schlagzeugern.

Ihr eigentlicher Drummer Paul Cooke verlässt die Band im Jahr der Veröffentlichung, sein Einfluss auf das Album ist umstritten. Zwischen 2001 und 2006 prozessiert er unter anderen gegen Sony Music und gegen die vier Bandmitglieder: er habe mit seiner Schlagzeug-Linie, die an Bossa Nova erinnere ("Rock, Jazz and Latin influences blended together"), eine einzigartige und allseits unterscheidbare Form von Perkussion geschaffen und mit dieser Arbeit habe er auch den Stil des ganzen Albums vorgegeben und transformiert. Cooke bestreitet, dass auf den finalen Aufnahmen der Songs Dave Early als Session-Honorarkraft oder eine Drum Machine zu hören sei, wobei Letzteres auch von Sony nie ins Booklet geschrieben wurde. Recht hat Cooke auf jeden Fall damit, dass "Diamond Life" und alles weitere von Sade ohne diesen einzigartigen Schlagzeug-Stil in der Tat weit weniger faszinierend wäre.

Neben "Your Love Is King" über den Stellenwert der Gefühle des Partners nehmen auch "Cherry Pie" und "Frankie's First Affair" unter der Überschrift 'Liebeslieder' Platz. In "Cherry Pie" bricht ein Mensch die Herzen der anderen, obwohl er sich "so süß wie Kirschkuchen" benimmt. Frankie hat seine erste Liebesgeschichte, meint es aber nicht ernst, was die Sängerin zu einem der anklagendsten und ergreifendsten Soul-Momente der 80er Jahre bewegt. Nachdem sie sich singend ausgekotzt hat, verzeiht sie am Ende und stellt fest, Frankie sei ja noch ganz am Anfang, da müsse man sein Fehlverhalten locker nehmen.

"When Am I Going To Make A Living" erläutert mit der folgenden Zeile den Albumtitel: "See the people fussing and stealing. / Too many lies, no one is achieving. / Haven't I told you before, we're hungry for a life we can't afford." ("Wir wollen ein Leben, das wir uns nicht leisten können, für das die Leute sogar lügen, streiten und stehlen. Doch am Ende erreicht es keiner.") Dem "Smooth Operator" wirft die Erzählerin vor: "Diamond life, lover boy / He move in space with minimum waste and maximum joy / City lights and business nights", und auch der Song "Sally" über die wertvolle, wenig gewürdigte Arbeit von Heilsarmeen übt Konsumkritik am "Diamond Life"-Lebensstil.

In "Why Can't We Live Together" erproben sich die vier Jazzsoulfunkrocker in der einzigen Coverversion. Ein Paar werden trotz verschiedener Herkunft? Diese Grundsatzfrage zieht sich von Shakespeares "Romeo & Julia" über die Bürgerrechtsbewegung bis hin zum Soul-Genie Timmy Thomas, der den Tune schrieb. Die Instrumentierung, die extreme Dramatik und das ewig lange Intro brechen mit Konventionen aus Vocal Jazz und Popmusik jeglicher Couleur. Während das Schlagzeug, die Gitarre und das Saxophon eine sprechende Tätigkeit ausüben, betont die Sängerin später, als sie endlich drankommt, umso intensiver, worum es ihr im Text geht: das Wörtchen 'colour' schluchzt-schreit-singt-protestiert sie in einer unnachahmlichen Weise hinaus. Überhaupt: Sade Adu singt wie nur wenige zugleich im handwerklichen Sinne von Töne verkörpern, Geschichte erzählen, unterhalten. Andererseits berührt sie im selben Moment, löst eine Gänsehaut aus, wird lautmalerisch tätig, piekst oder kneift - und das alles gelingt ihr noch in vorbildlicher englischer Aussprache.

Auch in allen späteren Songs der Briten bis 2010 dominiert die Bass Drum das Latin-Funk-Feeling, mit dem die Band heutigen Künstlern wie Bruno Mars und Demi Lovato Patin stand. Eine Erfolgsgeschichte: Sade haben sich durchgesetzt und immer an ihre Ideen und langen Songs geglaubt. Die Geschichte von "Diamond Life" möge allen Newcomern ohne Plattenvertrag Mut machen, die angeblich "zu lang" und andersartig spielen. Also, Sade auflegen, und dann volle Kraft voraus!

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Smooth Operator
  2. 2. Your Love Is King
  3. 3. Hang On To Your Love
  4. 4. Frankie's First Affair
  5. 5. When Am I Going To Make A Living
  6. 6. Cherry Pie
  7. 7. Sally
  8. 8. I Will Be Your Friend
  9. 9. Why Can't We Live Together

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