laut.de-Kritik
Ein gnadenlos scheppernder Triumphzug.
Review von Yannik Gölz"Hey you bastards, I'm still here" kündigen NMIXX am Ende des Musikvideos zu "Dash" an. Ziemlich kantig für K-Pop, Hörer:innen so anzufluchen. Aber vielleicht nicht ganz unverdient. Denn der jüngste Spross im Portfolio des Labels JYP startete nicht gerade als Erfolgsgeschichte. Das Debüt "O.O" kassierte einen Shitstorm für seinen "Mixxpop"-Sound: Die Gruppe wollte sich - noch recht unkoordiniert, aber transparent - der Flickenteppich-Formel von SM-Acts wie Aespa oder SNSD bedienen. Vom schlechtesten Debüt aller Zeiten war da die Rede - und trotz des noblen Labels schaffte NMIXX nie ganz den Sprung in die Genre-Oberliga.
Trotzdem vermuteten konträre Beobachter (ich) schon eine Weile lang, dass da etwas in dieser Gruppe schlummert. Das könnte werden, wenn sie denn nur den richtigen Moment erwischen. Langsam, langsam näherten sich NMIXX diesem 'What-If' auch an: Von "Dice" bis zu "Love Me Like This" spürte man eine Steigerung, ja, NMIXX könnten vielleicht eine Top-Gruppe sein.
Nun vermelde ich mit Freude: Sie haben es sowas von gerissen! Das umständlich betitelte "Fe3O4: Break" ist ein Triumphzug. Auf der einen Seite verwirklichen NMIXX endlich das schon lange angedeutete, gesangliche Talent, auf der anderen mussten sie dafür nicht mal das Mixxpop-Konzept hinschmeißen, wie viele Skeptiker mutmaßten: Stattdessen füllen sie besagte Formel nicht mit Girl Crush-Trap-EDM-Sounds aus, sondern mit Funk und organischer Musik. Herauskommt ein Tape, von dem sich zum ersten Mal sagen lässt, dass wirklich nur NMIXX es hätten machen können. Und es scheppert gnadenlos.
Herzstück ist der Titeltrack "Dash". Anhand dessen können wir kurz erklären, was es mit Mixxpop auf sich hat: Eine K-Pop-Stilblüte, die in Songs wie "I Got A Boy" eigentlich schon seit der zweiten Generation existiert und vor allem für das Label SM Entertainment typisch war. Die Stilblüte zeigt sich darin, eruptiv und fast inkohärente Beatwechsel, Breakdowns und andere Elemente in einen Song zu integrieren, bis so viele kurz aufblitzende Pop-Elemente gleichzeitig passieren, dass ein drei-Minuten-Song fast schon zu Prog mutiert.
"Dash" macht das virtuos: Die Hook bildet das Epizentrum, ein schnelllebiger Staccato-Chant über Blechbläser, der trotz des organischen Instrumentals die Form einer Trap-Hook nachahmt. Von dort führen kleine Pfade weg, die sich vom Rhythmus der Keimzelle wie Schwimmer beim Bahnwechsel am Beckenrand abstoßen. Der Track beinhaltet ein Geflecht von sich gegenseitig anstoßenden Grooves. Die Songstruktur ist nicht kompliziert, aber für drei Minuten Popmusik fühlt sich der Song wie ein Irrgarten an.
"Please let me continue my pace" singt Kyujin am Ende der letzten (und absurdesten) Bridge und deckt so den Subtext dieses Songs auf - und etwas, das sich auf den folgenden Tracks durchziehen wird. NMIXX wirken auf diesem Projekt, als würden sie mit dem Rücken zur Wand um ihr Leben singen. Dieses Album geht mit kohärenter Intensität all out und will beeindrucken, will den Status Quo und die Meinung ändern. Allein, wie "Dash" in die zweite Single "Sonar (Breaker)" fließt: Subtil vermischen sich Lo-Fi-Pop-Elemente mit einem Reggaeton-Breakdown. Aber trotz aller Elemente fühlt sich "Fe3O4: Break" nicht wahllos kompiliert an. Die Reizüberflutung ist strategisch angelegt.
"Run For Roses" wirkt wie ein Western-Showdown, wenn die Violine im Pre-Chorus und dem Drop fiedelt. Die Hook verbreitet melodramatische Theater-Kid-Energie, aber der Pathos fühlt sich angemessen an, genau so wie "Passionfruit" und "Break The Wall" elektronischere Grooves schließlich doch noch gekonnt ins gesamte Klangbild einfügen. "XOXO" macht als einziger Song auf entspannt, alle anderen Tracks fühlen sich an wie ein einziger, konsequenter und willensstarker Schub.
Und es sei NMIXX gegönnt, diesen Schub endlich gefunden zu haben. K-Pop zu produzieren ist ein Balanceact: NMIXX krankte immer ein wenig an einem Disconnect zwischen den Talenten der Idols und dem, was Label und Producer konkret mit diesen anstellen wollten. Am Ende musste sich keine Partei durchsetzen, denn "Fe3O4: Break" synthetisiert alles, was schon bisher am Projekt NMIXX cool war - und hebt es auf ein neues Level. Man sagt ja, man dürfe nur einmal der Underdog sein. Aber wer diese Gruppe noch unterschätzt, hat einfach nicht zugehört.
1 Kommentar
"Das umständlich betitelte "Fe3O4: Break"..."
"Herzstück ist der Titeltrack "Dash"."
:wut: