Vier spannende und sehr lange Tage in Benicassim sind vorbei. Kraftwerk waren da, Lou Reed, Franz Ferdinand, Pet Shop Boys, Brian Wilson, Morrisseys Band - nur einer fehlte: Morrissey.

Benicassim (mis) - An der schönen blauen Costa Azahar tobte von Donnerstag bis Sonntag die mittlerweile zehnte Festival-Ausgabe des FIB Benicassim. Wie immer glänzte das Line Up 2004 weit über die spanischen Landesgrenzen hinaus, und so charterte auch ein Teil der LAUT-Mannschaft flugs ein Wohnmobil. Gleich am Eröffnungsabend durften die Redaktionslieblinge von Zoot Woman ran und boten einen schönen Querschnitt durch ihre zwei Alben mit dem obligatorischen "Helter Skelter"-Cover-Abschluss.

Die spanische Crowd zeitigte zu jener Stunde (3 Uhr morgens) bereits erste Ermüdungserscheinungen ob des vorangegangenen Irrsinns mit der einheimischen Band Fangoria. Deren Sängerin heißt, wie die spätere Recherche ergab, tatsächlich Alaska und wird seit Ende der 80er Jahre als "Madonna Spaniens" verehrt. Der Grund indes blieb schleierhaft: 70 nicht enden wollende Minuten brachten eine wahrlich absurde Mischung aus Within Temptation und Rosenstolz ans nicht zu Unrecht längst erloschene Tageslicht.

Nächster Tag: Kings Of Leon mussten leider ohne uns rocken, da der Weg vom Wohnmobil-Zeltplatz zum Festival 30 Minuten in Anspruch nahm (Jaja, es war schon hart). Bevor auf der "Kane NYC"-Stage die Bpitch Control-DJ-Night durchstartete, gefielen deutsche Live-Acts: Northern Lite ernteten zu Recht frenetische Begeisterung für ihren Techno Pop, Lali Puna aus Weilheim gefielen mit einem tanzenden Notwist-Micha, und hernach gewohnt eindrücklich die Einstürzenden Neubauten. Hypnotiseur Blixa war trotz des vorangegangenen Eklats, als er nach nur einer Frage die Neubauten-Pressekonferenz platzen ließ, bester Laune (ein Journalist fragte ihn nach seinem Verhältnis zu Nick Cave - schändlich aber auch).

Danach wieder Hauptbühne: Pet Shop Boys und Kraftwerk. Die Engländer mit einem rein auf Hits getrimmten 70 Minuten-Festivalset und die Düsseldorfer erneut mit stimmungsvollen Visuals und gewohnt starrer Performance. Doch dafür bewegte sich Spanien, olé. Samstag, der Tag des Festivals, schon morgens suchten sämtliche LAUT-Angestellte verzückt den Campingplatz nach Nelken ab: Samstag sollte Morrissey kommen. Sollte. Dabei sah zunächst alles so gut aus. Ein Bandmitglied wird gesichtet, die Hauptbühne ist mit seinen neun Buchstaben dem Anlass entsprechend glitzernd dekoriert und allüberall Smiths-Shirts an Körpern. Böses Omen? Jedenfalls wird plötzlich das "M" auf der Bühne herunter gelassen. Panik. Ach, Glühbirne defekt, beruhigt Kollegin Lütz, während ich alles auf Dauernörgler Lou Reed schiebe (spielte nach Morrissey), der hat doch bestimmt an der opulenten Bühnendeko etwas auszusetzen. Als das "O" fällt, stirbt alle Hoffnung. Morrissey kann aufgrund von technischen Problemen seines Privatfliegers nicht auftreten, heißt es kurze Zeit später. Die Stimmung tausend Tränen tief.

Morrisseys Management hat mittlerweile übrigens verlauten lassen, dass alles (aber auch alles!) versucht wurde, um noch am Sonntag aufzutreten. Schöne Geschichte. Da die Benicassim-Festivalleitung die Diva seit nunmehr zehn Jahren zu verpflichten versucht, erscheint eine unkooperative Haltung der Spanier eher unglaubwürdig. In Morrissey-Fanforen kursiert außerdem das Gerücht, dass His Master's Voice aufgrund der angeblich zurückhaltenden Reaktion des Glastonbury-Publikums kürzlich bereits festivalmüde sei. Die Fanseite morrisseytour.com berichtet zudem von einer lesenswerten Begegnung mit Lou Reeds Tourmanager in einem Hotel in Valencia. Den Scissor Sisters konnte das ganze Theater nur Recht sein, ihr Auftritt zur Morrissey-Zeit brachte das Zelt nun beinahe zum Einsturz. Große Lust auf ein Disco-Brett konnten wir trotz ihres energischen Gigs leider nicht aufbringen.

Nach der Absage zeigten Belle & Sebastian mit einem eleganten Smiths-Cover ("The Boy With The Thorn In His Side"), was Spontaneität wirklich bedeutet. Lou Reed wiederum lieferte eine eher unspektakuläre Vorstellung ab, harmonierte selten mit seinem Background-Sänger und spielte zu allem Überfluss auch noch "Walk On The Wild Side". Mit einem donnernden Primal Scream-Auftritt ging auch Tag drei zu Ende. Zum Abschluss der Gaudi ließ sich Beach Boys-Legende Brian Wilson feiern, wenn auch der Auftritt selbst eher Mitleid hervor rief.

Zwei Laptops in Augenhöhe und eine sehr brüchige Stimme deuteten an, dass Wilsons Hochzeit verdammt lange her ist. Einzig die jungen Background-Sänger, die exakt nach denen der 60s-Hits klangen, retteten die leicht senile Szenerie, Wilsons Ohren scheinen wohl noch intakt zu sein. Franz Ferdinand sind live nach wie vor eine Bank, auch Spanien lag den Schotten prompt zu Füßen. Dies alles wartet noch auf Girls in Hawaii, eine belgische Newcomer-Rockband, die zu den Top-Entdeckungen des Festivals zählen dürfte. Ein Chemical Brothers-Auftritt um drei Uhr morgens muss nach vier Tagen Dauerdröhnung allerdings nicht mehr sein. Ein San Miguel am Zelt schon eher. Bis nächstes Jahr, Benicassim. Muchos Gracias.

Fotos

Morrissey

Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Morrissey,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

Weiterlesen

laut.de-Porträt Morrissey

Zölibatärer Dandy, aufrichtiger Zyniker, vielbewunderter Außenseiter - ambivalente Facetten der außerordentlichen Künstlerpersönlichkeit Morrissey, …

laut.de-Porträt Brian Wilson

Genial, wahnsinnig, mehrmals dem Tode nahe, seit Ende der Neunzigerjahre begeistert gefeiert und wieder oben auf. Das Leben des Brian Wilson liest sich …

laut.de-Porträt Zoot Woman

1995 erklären sich die Eltern von Stuart Price (damals erst 17 Jahre alt) bereit, dessen Plattenvertrag mit Wall Of Sound zuzustimmen. Prices Nebenprojekt …

laut.de-Porträt Northern Lite

Thüringen steht in den 90ern nicht gerade im Ruf einer Elektro-Hochburg. So finden die ersten musikalischen Gehversuche von Sebastian Bohn und Andreas …

Noch keine Kommentare