Der The Who-Gitarrist schreibt in seinem Romandebüt über extreme Künstler, Sex, Drugs und R'n'R'.
London (vog) - "I hope I get old, before I die", dachte sich wohl Pete Townshend, Chef-Windmühle der britischen Krachpäpste The Who, vor dem Debüt als Romanschriftsteller. Dabei erscheint noch nicht einmal der Buchtitel, "Zeitalter der Angst", auf den ersten Blick interessant. Der wirkt thematisch schon beim Erscheinungsdatum eher überholt.
Die Chiffren des Untergangs häufen sich, die Verdoomung der Menschheit schreitet voran: Feuerkatastrophe, Höcke, Hanau, Flucht, Kapitalismus, Klima, Corona, Geisterspiele, das Dahinsiechen der Kreativbranche und, und, und ... "All the anxious people where do they all come from?", könnte man in Abwandlung einer Songzeile einer weiteren Band aus den Sechzigern entgegnen.
'Die schwarze Kunst der Kreativität'
Der Kontext des im Untertitel als Kunstroman bezeichneten Buchs ist vielmehr das treibende Moment: Der 67-Jährige blickt tief in die Seelenwelt extremer Künstler-Existenzen. Wie zur Bekräftigung legt er dem erleuchteten Musiker Nikolai Andréevich auch folgende Worte in den Mund: "Du musst lernen zu warten. Der Zeitpunkt wird kommen. Das Warten ist die schwarze Kunst der Kreativität, nicht die Inspiration."
Aber die Uhr des Rock'n'Rolls lässt sich nur schwerlich umstellen. Townshends Kontext ist nun mal Rock, und bei allen abseitigen Wegen, die er beschritten hat, verfolgt er stets die Kunst der effektiven Beschränkung. Das war schon bei Tommy" so und ist bis zum Alterswerk "Who" so geblieben.
Kohle oder Kunst?
Townshend sinniert viel über die, die auf der Strecke geblieben sind, etwa den jüngst verstorbenen Fleetwood Mac-Gründer Peter Green, und das schon länger zum Geist der Musik zurückgekehrte Ex-Pink Floyd-Oberhaupt Syd Barret.
Dabei bbleibt es nicht bei kleinen Seitenhieben auf sein Lohn- und Brot-Lebenswerk, das er mit The Who hinterlässt. "Es geht nicht um Kohle oder Kunst, sondern um die Wahrheit. Wir sind nicht die verdammten Who. Bei uns gibt es keinen Ausverkauf", legt er etwa dem Puristen Crow in den Mund, und man meint, hinter diesen Zeilen ein süffisantes Grinsen auszumachen.
Fiktion und Fakten
"Ich höre, was Leute denken", spricht Walter, der Fixpunkt der Geschichte. Walter ist das Patenkind des Erzählers, der mit dem fulminanten Namen Louis Doxtader gesegnet ist und zudem ein Händchen für Outsider Art besitzt: Der materialisierte Wahnsinn ist sein Geschäft.
Er nimmt sich Walters an und vermittelt ihn an den Ex-Sänger der in den Siebzigern erfolgreichen fiktiven Combo Hero Ground Zero, den oben erwähnten Andréevich. Townshend hat den Namen bereits 2019 in die Wirklichkeit transportiert: "Hero Ground Zero" ist ein Song auf dem letzten The Who-Album.
Entdecke die Unmöglichkeiten
Lose verknüpft Townshend seinen eigenen biografischen Hintergrund mit der Story. Die Gedankenwelt des Ich-Erzählers dominieren gestrandete Künstlerpersönlichkeiten wie der kernige Pubrocker Walter, der nach einem 15-jährigem Moratorium wieder mit dem Komponieren beginnt: Diesmal sind es Soundscapes, düsternd-dräuende und selten harmonische Klangflächen, die Ängst transportieren und unmittelbar verstören.
Ein ehemaliger Pubrock-Star, der eine Botschaft transportiert? Townshend spielt mit dem Grotesken und dem Unwahrscheinlichen. Neben einer Heilerin, die Kontakt mit Engeln hält, lautet eine weitere Unmöglichkeit, dass es eine Progrock-Band gibt, gestartet in den 90ern, die Stadien füllt und fünfzig Millionen Alben verkauft.
Stockhausen und ABBA
"Das Zeitalter der Angst" strotzt vor musikalischer Anspielungen und Vergleichen. Townshends Beschreibungen von Musik und Klängen beeindrucken. Inbesondere Walters kakophonische Träumereien laden zum geistigen Abgleiten in die Welt der Geräusche ein. Den Wettstreit analog vs. digital kommentiert Townshend trocken: "Für ihn bedeutete 'aufnehmen' Tonbänder, ein Mischpult mit Reglern, die an ein Flugzeug aus dem Krieg erinnerten, und Nebelwände aus Zigarettenqualm."
Letztlich verknüpft Townshend die vielen losen Enden seiner Geschichte, um das Wiedersehen zweier Seelen zu inszenieren, die sich glaubten zu kennen, aber jeweils gefangen in ihrer Leidenschaft ihr bisheriges Leben aneinander vorbeigelebt hatten. Harry, der Vater, und sein Sohn Walter lassen Stockhausen im Vergleich wie ABBA klingen. Schließlich bildet diese Versöhnung den Grundstock für die Reunion von Walters alter Band jedoch unter gänzlich anderen Genrevorzeichen.
Das Buch zur Oper
Trotz des überschaubaren Umfangs von 280 Seiten ist "Das Zeitalter der Angst" ein überbordendes Buch voller Weisheit und Witz. Gut, dass Townshend mehr Durchhaltevermögen bewiesen hat als sein Kumpel Keith Moon, der zu früh einen klassischen Rockertod starb.
Das Ende der Fahnenstange scheint aber noch nicht erreicht, stellt doch das Romandebüt die Zwischenstufe zur klanglichen Vollendung in Form einer Oper dar. Drücken wir die Daumen und die Kippen aus, dass es soweit kommt. Bis dahin reicht das Abdriften in die Fantasie des Autors, die trotz der gelungenen Übersetzung im Original noch plastischer vermittelt wird, um ein wenig am Spirit des Rock'n'Rolls der letzten fünf Dekaden zu partizipieren.
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