222 Songs aus über 40 Jahren Karriere: DM-Fans dürfen schon mal die Messer wetzen.
Konstanz (mis) - Man kann angesichts des Titels anschließend nicht behaupten, man habe nicht gewusst, worauf man sich eingelassen hat: "Depeche Mode - Alle Alben, alle Songs" (Hannibal, 276 Seiten, deutsch, 25 Euro) ist genau das. Der britische Journalist Brian J. Robb hat sich hingesetzt und alle Depeche Mode-Veröffentlichungen von der ersten Single "Dreaming Of Me" aus dem Februar 1981 bis zum "Memento Mori"-Abschlusstrack "Speak To Me" von 2023 noch einmal durchgehört.
Sein Buch besteht aus 15 Kapiteln, weil die Band 15 Studioalben veröffentlicht hat und darin wird jeder Song der entsprechenden Ära auseinandergenommen, anschließend die jeweiligen Single- und Maxi-B-Seiten sowie Non-Album-Tracks, Coverversionen und Compilationbeiträge. Robbs Buch erfüllt damit den selbstauferlegten Anspruch, jeden jemals veröffentlichten Song der britischen Synthie-Pop-Band rezensiert zu haben. Das sind 222 Songs in 42 Jahren Karriere.
Vince, Martin, Andy, Dave und Alan
Das klingt etwas mühsam, und so liest sich das Buch auch streckenweise. Zwar listet Robb nicht nur trockene Fakten auf, sondern löst seine Erzählung mittels Anekdoten aus der Bandhistorie und zahlreicher Interviewzitate beteiligter Personen von einer spröden Tabellarisierung. Hier kommt er aber dementsprechend nicht umhin, auch alle bereits tausendfach erzählten Hardfacts noch einmal wiederzukäuen.
So hieß der Songwriter von "Just Can't Get Enough" Vince Clarke, die Musik von Depeche Mode blieb nicht lange lustig, Martin Gore trug in den 80er Jahren S&M-Klamotten, Keyboarder Andy Fletcher war eher der Band-Manager, Sänger Dave Gahan war klinisch tot, Alan Wilder ist nicht mehr Teil der Band.
Biografien über Leonardo DiCaprio und Johnny Depp
Hierin liegt das Problem an "Alle Alben, alle Songs": Brian J. Robb will auch alle Fans. Also nicht nur diejenigen, die sowieso schon glauben alles zu wissen, sondern auch Menschen, die einfach nur Sympathien für die Band hegen und vielleicht nur fünf Songs aufzählen können.
Aber der New York Times-Autor ist gut informiert und hat seine Hausaufgaben gemacht, so wie er es vermutlich auch bei seinen Biografien über Leonardo DiCaprio, Johnny Depp und Brad Pitt getan hat. Natürlich hat er auch das Standardwerk von Steve Malins gelesen, aus dem er fleißig zitiert, was weitaus mehr Sinn macht, als etwa von der Fanseite Almost Predictable Almost.
Da Songwriter Gore bekanntlich seit jeher ungern seine Songs erklärt, geht Robb häufig selbst in die Analyse und spickt die Infos zu einzelnen Songs mit Zitaten, die im Bandumfeld gefallen sind. Vor allem hier beeindruckt er immer wieder mit gut recherchierten Aussagen. Als Beispiel dient etwa ein Interview von Wilder mit The Quietus im Jahr 1997, in dem der Keyboarder und Soundarrangeur seinen Ausstieg unter anderem auch mit der "Lethargie" seiner Ex-Kollegen begründet: "Ich war stets der Meinung, dass alle immer auf Nummer sicher gingen."
Man erfährt auch, dass Gary Numan 1987 den Song "Strangelove" gut fand. Dass Gores Ur-Version von "Enjoy The Silence" Wilder zu sehr an die Pet Shop Boys erinnerte, bevor er die Ballade in einen Dance-Popsong verwandelte, ist allerdings eine Behauptung, die Robb exklusiv hat.
Über die Zeit vor der Depeche-Mode-Massenverehrung
Robb selbst ist auch Fan, vor allem von "Songs Of Faith And Devotion", was man an der Länge der Textbeiträge merkt und hier und da an seinen Interpretationen. So meint er etwa in einer Textzeile des 1983er Songs "And Then..." einen Vorgriff auf das Internet herauszulesen. Eleganter ist seine Beobachtung, dass es von der Zeile "Truth is a word / that's lost its meaning / the truth has become / merely half-truth" aus dem 1984er Song "Lie To Me" zu unserem Zeitalter der Desinformation und Fake News nicht mehr weit ist.
Und wo genau Robb als Fan zu verorten ist, lässt sich sowieso an songspezifischen Einschätzungen erkennen. Also: Wie beurteilt der Mann wohl grandiose hidden gems? "Ice Machine" (richtig), "Fools" (richtig), "Shake The Disease" (falsch), "New Dress" (richtig), "Dangerous" (falsch), "Happens All The Time" (falsch). Alles in allem ist "Depeche Mode - Alle Alben, alle Songs" ein informatives, textlastiges Nachschlagewerk mit wenigen, wahllos wirkenden Schwarzweiß-Fotos, das mit einem Preis von 25 Euro nicht ganz billig ausfällt.
Sind Depeche Mode Perverslinge?
Das dürfte nicht nur Komplettisten und Die-Hard-Fans wenig stören, sondern auch die erwähnten Gelegenheitshörer*innen der Band, sind doch Depeche Mode heute weithin geschätzte Legenden. Interessant ist daher auch der Blick des Buchs auf eine Zeit vor der Massenverehrung, speziell der britischen Musikjournaille. Dort fragte eine NME-Journalistin 1987: "Ich würde gerne wissen, ob Depeche Mode Perverslinge sind? Ihr Verstand ist ja eine regelrechte Kloake. Zumindest lässt sich das über Martin Gore sagen, aber der Rest der Band scheint ihn zu ermutigen, indem sie mit Freude seine bizarren Songs singen und spielen."
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