Blink-182-Bassist Mark Hoppus lässt seine Kindheit, die Weltkarriere der Band und seine schwere Erkrankung Revue passieren.

San Diego (rnk) - So grimmig meine Blink-182-Rezensionen auch ausfielen, sie waren am Ende das Resultat einer enttäuschten Liebe. Die kalifornischen Pop-Punk-Legenden werden immer, und da ändern auch die letzten beiden schwachen Alben nichts daran, wichtiger Bestandteil meiner Jugend bleiben. Und so ist eigentlich auch das Image von Mark Hoppus, Tom DeLonge und Travis Barker: Drei nie erwachsen gewordene Mann-Kinder, die unentwegt Dad-Jokes reißen und wahrscheinlich immer noch über das Wort 'Penis' lachen.

Eine Tragödie verändert alles

Doch dann überlebt Drummer Travis nur knapp einen Flugzeugabsturz und die Freundschaft zwischen Tom und Mark zerbricht, bis Hoppus seine Krebserkrankung öffentlich macht. Die beiden Kindsköpfe sind also doch noch erwachsen geworden, und mit 44, also in der Mitte des Lebens, lohnt ein Blick zurück auf chaotische, lustige und sehr traurige Jahre. In diesem Alter besitzen viele nicht mehr die Leichtigkeit der Jugend oder dieses Sicherheitsgefühl der Kindheit. Man hat liebe Menschen verloren. Weit weniger schlimm: Gleitsichtbrillen werden notwendig.

Eine solche trägt Hoppus auch auf dem Cover zu "Fahrenheit-182" (Riva Verlag, 432 Seiten, Hardcover, 20 Euro), eine Referenz an Ray Bradburys Roman "Fahrenheit-45". Ansonsten finden sich wenig Gemeinsamkeiten mit dem dystopischen Literatur-Klassiker. Blink-182, das war die Rache an den Dogma-Punks, die uns für unsere Marken-Klamotten, unsere Mittelschichts-Herkunft und Pop-Affinität purste Verachtung entgegen brachten. Wir sollten lieber Dödelhaie und Normahl hören.

Lieber Bad Religion als Normahl

Nee, ich wollte schon vor Blink lieber mit Bad Religion, NoFx oder Satanic Surfers in meinen Tagträumen irgendwo in L.A. herumcruisen. Natürlich mit krassen Flips aus "Tony Hawk's Skateboarding".

When we were young

Dieses Buch, so teasert der Klappentext, soll auch die andere Seite eines Menschen zeigen, den wir Milllenials nackig durch Straßen haben sehen rennen. Doch bevor Hoppus die Schattenseite seines Rockstar-Lebens näher beleuchtet, greift er seine Kindheit auf. Die Erinnerungen an den kalifornischen Ort Ridgecrest, in der Nähe eines Militärstutzpunkts Arbeitgeber seines Vaters, ein Raketenwissenschaftler, bezeichnet er als sehr glücklich, sieht man von extremer Hitze im Sommer und giftigen Spinnentieren ab. Marks Dad erzählt gerne schlechte Witze, stöhnen alle bereits auf, setzt er noch einen drauf.

Die Leser:innen stellen bereits jetzt gewisse Ähnlichkeiten fest. Der Rest unterscheidet sich trotz des Wetters nicht so sehr vom Leben eines europäischen Teens. Stichwort Atari 2600 (ich kann mir das selige Lächeln der Leserschaft vorstellen). Auch wenn ich persönlich "Star Wars" nie verstanden habe, absolute 80er-Foklore. An dieser Stelle fallen zwei prägende Einflüsse auf: Die liberal orientierten Eltern hören gerne Pop, Sohnemann lernt dagegen bei den polasierenden Comedians George Carlin und Richard Pryor den Pippi-Kacka-Humor.

Mark kleidet sich wie Robert Smith

Und es gibt bereits Übereinstimmungen zum späteren Bandkollegen Tom DeLonge: Raketenwissenschaft, Punk, Humor und eine schöne Kindheit, die jäh mit der Scheidung der Eltern endet. Letzteres Thema wird später in "Stay Together For The Kids!" aufgegriffen, einem der düsteren Blink-Songs. Aus dem bis dato guten Schüler wird ein trauriger Außenseiter, ein Kind, dass sich stark nach Harmonie sehnt und der Vermittler sein möchte. Hoppus liebt The Cure und kleidet sich wie sein Idol Robert Smith, also jenen Typen, den Blink 182 später für ihr selbstbetiteltes Album gewinnen können.

Das Erweckungserlebnis als Punker kommt bei einen Konzert der They Might Be Giants. Endgültig mit dem Musikvirus infiziert, bringt er sich das Bass-Spielen bei. "Ich hätte Unterricht nehmen sollen. Jahrzehnte später habe ich immer noch eine furchtbare Technik." Marks Schwester Anne erzählt eines Tages von einem Typen, der wie Mark selbst ständig skatet und unbedingt eine Band gründen will. Der schlaksige Typ ist das Gegenteil von Mark: Tom ist extrovertiert, laut und mit großem Ehrgeiz gesegnet. Mark bezeichnet seinen neuen besten Freund als "Strolch aus der Mittelschicht", der wie er auch auf Descendentsoder Stiff Little Fingers abfährt.

Das eigene Label wettet gegen die Band

Die nächsten Kapitel über Blinks Frühzeit lesen sich wie Drehbücher zu den Musikvideos. Das Duo verbringt den Tag mit Blödsinn, aber holt auch den damals blutjungen Drummer Scott Raynor ins Boot. Der junge Teenager hat es mit den beiden Spaßköpfen nicht einfach und bleibt eher introvertiert. Immerhin ist er für den Bandnamen entscheidend. "Eines Tages langweilte sich Scott im Unterricht und malte ein Kaninchen, dass hinter einem Kreis stand, in dem Blink stand." Nicht, dass man die meisten Fakten über die Band nicht wüsste. Dennoch stößt man immer wieder auf kleine Extra-Infos.

Lustig bleibt z.B., dass Cargo Records allein für Blink das Sublabel Grilled Cheese gründen, damit das Trio nicht ihren Ruf als geschmacksicheres Indie-Label versaut. Eher nicht so komisch, wenn auch ironisch: Cargo lässt ihm Hintergrund gegen die eigene Band Wetten laufen, dass dieses untalentierte Spaß-Trio niemals mehr als 1.000 Einheiten absetzen wird. Hört man in das Debüt "Buddah" oder den Nachfolger "Cheshire Cat" rein, mag das auch nicht sehr weit hergeholt sein. Ernüchternd bleibt die Begründung für den Zusatz "182" im Bandnamen: Der Firmenchef schlägt es aus dem Bauch heraus vor, fertig ist der Bandname und alle Fantherorien passé. Eine mögliche Finte, um die Fans weiterhin auf's Glatteis zu führen, besteht natürlich.

Punk-Clowns beim Major

Die Phase ab dem Erfolgsalbum "Enema Of The State" dürfte selbst Blink-Hassern bekannt sein: ,assives Airplay und die Videos zu "All The Small Things" und "What's My Age Again". Der Nachteile des Ruhms und von millionenfach verkauften Albums lernen die Blinks schon bald darauf kennen. Menschen machen Fotos beim Mittagessen, eine Stalkerin verfolgt die Band und sogar deren Kinder, aber auch frühere Kumpels wie NoFx wenden sich ab.

Eine Enttäuschung für Hoppus, der immer noch daran glaubt, Teil der Community zu sein. Aber ehrlich, das liest sich nicht glaubhaft. So naiv können Blink-182, die nie wirklich als sehr kredible Band galten, einfach nicht sein. Die Band war nie so politisch wie Bad Religion oder so explizit wie NoFx. Dass sie in ihren Danksagungen auch den Allmächtigen erwähnen, ist nun nicht gerade die punkigste Attitüde überhaupt.

Sie bildeten nun mal die allergrößte Konsensband mit Poppunk-Songs, die auch auf MTV gut vermarktbar waren. Drei spaßige Typen, nie zu kontrovers oder zu eklig und mit einem guten Gespür für Melodien. Keiner hat sich "What's My Age Again" gekauft, um seine Eltern zu schockieren, auch wenn der Fake-Nackt-Auftritt vielleicht das prüde Amerika mal kurz schockiert hat. Die Kapitel über die große Erfolgszeit in den Nullerjahren sind nicht wirklich spannend, die x-fach erzählte Story einer Band ohne größere Eskapaden. Auch das zunehmende Gezicke zwischen Mark und Tom stellt das bekannte Ego-Gegockel dar, das man von erfolgreichen Bands leider häufig kennt.

Hoppus zeigt sich trotz Hilfe von Co-Autor Dan Ozzi nicht als begnadeter Schreiberling, so geht es häufig in einem lakonischen Ton zu. Er bleibt ein All-American-Guy ohne größere Skandale - was ihn zum sympathischen, aber nicht gerade spannenden Protagonisten seiner eigener Erzählung macht. Bei den Lektüren zu Guns N' Roses oder Mötley Crüe hatte ich trotz wenig Sympathien deutlich mehr Spaß. Auch 480 Seiten später bleibt Mark irgendwie fremd, über Tom erfährt man zudem eher unsympathische Dinge.

More than you know

Naturgemäß keinen Spaß macht das allerletzte Kapitel: Chemo, Panikattacken und Selbstmordgedanken schließen das Buch ziemlich düster ab. "Die Nachricht muss ein Schock für die Fans gewesen sein. Jahrelang standen Blink-182 für unverwüstliche Jugend", fasst es gut zusammen, wie Millionen Fans die schockierende News 2021 aufnahmen. Blink war der Inbegriff meiner Adoleszenz - und die Nachricht extrem entmutigend. Immerhin ging es gut aus, und dieses schlimme Kapitel schweißte die Band wieder zusammen. Das Matt Skiba seinen Platz 2022 ohne großes Murren für den verlorenen Sohn wieder frei machte, ehrt ihn, der immer etwas unter seinen Möglichkeiten im Kreise seiner Idole geblieben war.

Ansonsten, auch wenn ich persönlich alle Alben seit der ersten Reunion 2011 als mittel bis schwach empfinde, bin ich einfach heilfroh, dass diese drei Jungs es bis hierhin geschafft haben. Eine amerikanische Geschichte, die mir beim Hören der alten Songs immer wieder das Gefühl gibt, dass alles in Ordnung ist. "Fahrenheit-182: Ein Memoire" ist eine schöne Sommerlektüre - sieht man vom letzten Kapitel ab - und für absolute Neueinsteiger geeignet.

Fotos

NoFX, Bad Religion und Blink 182

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