Ungeachtet der im Grunde großen Bedeutung des weltweit zweitgrößten Schallplattenpreises Echo wurde gestern in Berlin vor allem eines zelebriert: geistiger Mummenschanz mit zuweilen katastrophalen akustischen Folgen.

Berlin (mis) - "Manchmal, aber nur manchmal, haben Typen wie du was auf die Fresse verdient", singen Die Ärzte in ihrem frisch gekürten Single-Hit "Manchmal haben Frauen ...". Vielleicht hegt die erfolgreiche Formation auch über manchen Kollegen der Showbranche solcherlei Aversionen. Die Berliner erschienen jedenfalls nicht zur gestrigen Echo-Verleihung in ihrer Heimatstadt, um den Preis für das beste nationale Video entgegen zu nehmen. Mit dieser Entscheidung waren sie nicht allein. Auch Hochkaräter aus Übersee wie Bon Jovi (Rock/Pop International), Britney Spears (Künstlerin International), Santana (Künstler International) und Eminem (Hip Hop International) blieben fern und grüßten lediglich von der Videoleinwand.

Als Sieger der an Langeweile kaum mehr zu überbietenden Verleihung des größten deutschen Schallplattenpreises ging der Soulsänger Ayman hervor, der gleich zwei Echos (Künstler National, Newcomer National) abräumte. Spaß haben am Promi-Spektakel konnte ohnehin nur der Freund der deutschen Hitliste, da die durch Media Control ermittelten CD-Verkaufszahlen für die Gewinnvergabe ausschlaggebend sind.

So nahm der Schrecken zügig seinen Lauf: der Preis für die nationale Pop-Single ging an DJ Ötzis "Anton aus Tirol", der u.a. Zlatko und French Affair verdrängte. Beste nationale Künstlerin im Bereich Rock/Pop (!) wurde die junge und mehr oder minder unbekannte Jeanette, die in der kuriosesten Gruppe Blümchen, Doro und Vicky Leandros gleichzeitig ausstechen konnte. Jeanettes tränenreichen Auftritt kommentierte die in allen Belangen überforderte Moderatorin Frauke Ludowig mit der Prophezeiung, dass heute Abend mit Sicherheit "noch einige Tränen fließen werden". Wie Recht sie hatte; dem bitteren Geschehen auf dem Bildschirm war tatsächlich nicht immer trockenen Antlitzes zu folgen.

Lachen konnte man dagegen bei zahlreichen peinlichen Anmoderationen: DJ Bobo glänzte in zusammenhanglosen Phrasen, Nina Hagens Tochter Cosma Shiva pflügte grobmotorisch in musikalischer Evolutionstheorie und Gaby Köster steht sowieso exemplarisch für den Untergang deutscher Comedy. Dagegen war Michael Mittermaier (Beste Comedy) tatsächlich ein Segen. Als er in seiner Rede der Frau dankte, die ihn ermöglichte, meinte er nicht etwa seine Mutter sondern seine Frau Gudrun. Charmant.

Zu Gewinnern des Abends zählten auch die Guano Apes, die in der Kategorie "New Rock/Metal National" siegten. Außer Such A Surge überholten die Göttinger dabei keinen nationalen Konkurrenten in ihrer Gruppe, was einmal mehr Zweifel am verantwortlichen Komitee für die Kategorien aufkommen lässt. Zudem gewann die unaufregende Homepage der Apes den Online-Echo.

Die ersehnte Entscheidung der skandalträchtigsten Kategorie des Abends "Gruppe National Rock/Pop" fiel denn auch harmlos aus. Im Spalier standen die Toten Hosen, Modern Talking, Reamonn und die Böhsen Onkelz; hindurch liefen ausgerechnet Pur. Übrigens zum dritten Mal in ihrer nicht enden wollenden Karriere. Da konnten auch Showgäste höchsten Ranges wie Ricky Martin oder Janet Jackson den Ehrengast Johannes Rau nicht mehr vor dem Sturz in tiefste Langeweile retten. Der arme Bundespräsident saß die meiste Zeit wie ein zur Schau gestelltes exotisches Tier in der Ehrenloge und lächelte gequält in die Kameras. Im Gegensatz zu den Zuschauern wird er diesen Abend wohl nicht so schnell vergessen.

Weiterlesen

Echo 2001 Nur die Onkelz haben keine Chance

Vor der Preisverleihung heute Abend in Berlin sorgt die Nominierung der Böhsen Onkelz als bester nationaler (!) Act für Unruhe. Tocotronic-Sänger Dirk Lowtzow will der Veranstaltung aus Protest fern bleiben.

Noch keine Kommentare