Im stets unterhaltsamen, manchmal nachdenklichen Film von Cordula Kablitz-Post schauen die Essener auf ihre Karriere und nehmen mit auf ihre Live-Tour.

Lichtburg/Essen (rnk) - Aus Altenessen in die große Welt: Wer hätte das vor 40 Jahren geglaubt? Ein paar Jungs verbringen noch etwas planlos ihren Alltag im steingrauen Arbeiterviertel und verfolgen noch keine großen Ziele. Eines ist jedoch klar: Sie wollen unbedingt etwas mit Musik machen. Der Plan ist aufgegangen für Kreator, genauer: für die verbliebenen Mitglieder Mille Petrozza und Jürgen "Ventor" Reil. Die Thrash-Metal-Band gehört zu den weltweit anerkanntesten Acts in ihrem Genre, und mit "Hate Über Alles" gelang ihnen sogar ein Sprung auf Platz eins der deutschen Charts. Es läuft richtig gut, die Dokumentation "Hate & Hope", die am 4. September in den Kinos startet, kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt.

Regisseurin Cordula Kalbitz-Post, auch für Filme über Die Toten Hosen und Scooter bekannt, begleitete Kreator auf ihrer Welttour. Zudem gibt aber viel altes Archivmaterial und Interviews mit Weggefährten wie Bogdan Kopec, ehemals Boss von Drakkar Records und Tourmanager, einen Einblick in die noch etwas chaotische Anfangszeit. Wie kleine Kinder habe er sie an die Hand nehmen müssen, sagt Kopec über seine ehemaligen Schützlinge. Belustigt erzählt er in die Kamera, wie sie einmal um Pünktlichkeit wegen des Boardings bat, und er die Rasselbande, die verstreut am Boden lag, stattdessen am Flughafen suchen musste, um den rechtzeitigen Abflug Richtung USA hinzubekommen.

Genau die Chaoten, vor denen Väter und Religionslehrer warnten

Seine grisseligen Camcorder-Aufnahmen zeigen auch sonst genau den Haufen "langhaariger Chaoten", vor denen unsere Väter und vor allem mein stockkonservativer Religionslehrer immer gewarnt hatten. Letzterer schmiss mich in der Sekundarstufe einmal wütend aus dem Klassenzimmer, weil ich ein blasphemisches Kreator-Shirt trug. Ungefähr jeder kann aus den Achtzigern oder frühen Neunzigern solche Geschichten erzählen.

Heute ist Metal längst in der Gesellschaft angekommen und der Respekt vor Essens Finest auch unter Musikern riesengroß. So betont Chuck Billy von Testament, dass Kreator auf jeden Fall mit zu den Größten des Genres gehörten, genau wie die gemeinhin als Big Four des Thrash-Metal bekannten Metallica, Megadeth, Anthrax oder Slayer. Alles Bands, die man heute auch auf T-Shirts von Lehrern - vielleicht sogar Religionslehrern - sieht, die mit ihren Kids gemeinsam nach Wacken fahren.

Verkacken ist authentisch

Kreators Show bei Wacken sieht Mille nach dem begeisterten Auftritt vor Tausenden von Fans kritisch. Er habe sich verspielt, aber das sei zum Glück keinem ausgefallen, und verkacken sei ja auch authenisch. Er sagt das in einer ruhigen Art, die die frühen Aufnahmen so noch nicht zeigen. Sein Lifestyle ist mittlerweile vegan, dem Alkohol entsagte er schon vor Jahrzehnten, und auf seinem Insta-Account sieht man Mille bei Yoga-Stunden. Er habe allerdings auch kein Problem mit Menschen, die Fleisch essen und ein Ingwer-Getränk, das ein unkundiger Festival-Arbeiter mit Alkohol streckt, kippt er zwar wenig begeistert, aber eben trotzdem runter.

Es ist diese pragmatische Ruhrpott-Art, die bei ihm und seinem Kompagnon Ventor immer für lustige Momente sorgt. "Du kannst ihn auf dem Nordfriedhof besuchen", sagt Mille knochentrocken, als ihn jemand nach einem amerikanischen Kumpel aus den frühen Tagen fragt. Während er auch ab und zu über den Tod sinniert, fällt Ventor eher die Rolle des Typs zu, der immer noch bodenständig in Essen sitzt und lieber seine Ruhe hat. Dort scheitert er an Kleinigkeiten wie der Kaffeemaschine oder tätowiert seine Bandkollegen. Seine sympathischen Söhne schauen belustigt auf ihren alten Herrn, aber merken auch an, dass es nicht immer einfach gewesen sei, wenn der Papa wieder für längere Zeit auf Tour war.

Fuck The Fascists!

Nicht der einzige nachdenkliche Moment in der überwiegend sehr unterhaltsamen Doku "Hate & Hope". Einen emotionalen Höhepunkt markiert der Besuch des Konzentrationslagers Buchenwald. Petrozza und Maik Weichert von Heaven Shall Burn gehen andächtig und sorgenvoll über diesen Platz, an dessen Eingangstor das unfassbar zynische "Jedem Das Seine" steht, und sprechen auch über das Wiedererstarken der Faschisten. Dem müsse man sich jederzeit entgegenstellen, sagt der Kreator-Frontmann, und weiß mit Maik einen Seelenverwandten an seiner Seite. Er wuchs in Gera mit einem Haufen Nazis auf, für ihn bedeutete Kreator ein Erweckungserlebnis, weil jemand mit härterer Metal-Musik auch seine linken Ansichten teilte.

Gegenschnitt in die frühen Neunziger: Schon damals skandierten Kreator auf einem Konzert: "Fuck The Fascists!" Ein paar Jahrzehnte später feiert eine offen faschistische Partei in den Umfragen nun wieder Erfolge und ist mittlerweile komplett akzeptiert. Der Kampf richtet sich nicht mehr gegen ein kleines Grüppchen, sondern gegen einen Mainstream, der auch faschistoide Gedanken wie "Remigration" für komplett vertretbar hält und kichernd auf Partys "Ausländer raus!" singt. Zum Glück applaudierte das Publikum - ich durfte bei der Premiere des Films in Essen zugegen sein - bei Milles Ansage laut auf und zeigt, dass noch nicht alles verloren ist.

Orks aufblasen verboten!

Solche Dinge bilden aber die Ausnahme. Gerade im letzten Drittel des Films gibt es für Metal-Fans ordentlich auf die Ohren. Todesmutig wagen sich die Kameraleute in den Mosh-Pit und zeigen dessen herrliches Chaos. Die Wackelkamera führt mitten ins Getümmel hinein, ins Auge des Orkans. So bleiben einem die langweiligen, hochglanzpolierten Konzertaufnahmen aus anderen Dokus erspart.

"Hate & Hope" nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise nach Asien, wo es immer wieder Kontraste mit den dortigen Gepflogenheiten gibt. Ein als Pissoir fehlinterpretierter Raum ist in Wirklichkeit eine Gebetsstätte, in China wird das Aufblasen der Deko-Orks verboten. Abgesehen von diversen religiösen und politischen Unterschieden zeigen die Aufnahmen aber auch dort Bilder von fanatisch jubelnden Fans, die einfach begeistert sind, ihre Helden nun live erleben zu können. Was hier in Deutschland nicht so spektakulär erscheint, ist für diese Menschen eine seltene Gelegenheit und wird umso euphorischer aufgenommen.

Manche kamen extra aus Chile oder Costa Rica, um den "Klash Of The Ruhrpott" zu sehen. Wie man jetzt weiß, musste diese legendäre Zusammenkunft von Sodom, Tankard, Destruction und eben Kreator aufgrund eines schweren Unwetters abgebrochen werden. Man leidet in dem Moment so unfassbar mit den Fans mit, die einen so langen Weg auf sich genommen hatten. Das wusste auch die Band: An Ort und Stelle beschlossen sie, den Fans als Ausgleich möglichst schnell wieder irgendetwas zurückzugeben.

Gute Aussichten für die Fans

"Hate & Hope" sei in erster Linie ein Film für die Fans, sagt Mille auch in unserem Interview. Am Ende zeigt er sich einfach nur demütig und dankbar für die lange Treue der Anhängerschaft. Die darf sich über eine Nachricht freuen, die direkt nach der Filmpremiere verkündet wurde: Ein neues Kreator-Album sei so gut wie fertig und werde wahrscheinlich Anfang 2026 erscheinen.

Ich verlasse nach Ende des Films zusammen mit 1.250 glücklichen Menschen den Kinosaal und erblicke einen jungen Fan mit einem Gitarrenkoffer am Rand der Menge. Er habe heute außer von Bassist Frédéric Leclercq sämtliche Unterschriften der Band auf seine Fender bekommen, berichtet er. Diese sei sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Achtzigern im Besitz von Mille persönlich gewesen. "Eigentlich fand ich das Thrash-Metal-Genre bis zum heutigen Abend gar nicht so toll, aber heute haben Kreator auf jeden Fall einen neuen Fan dazugewonnen", erzählt er mit leuchtenden Augen. Vielleicht werden es nach dieser Doku noch mehr, jedenfalls haben die eigentlich kamerascheuen Kreator mit "Hope & Hate" einen guten Einblick in ihr Privatleben zugelassen.

Fotos

Kreator

Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Kreator,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta)

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