"The Life in Lyrics" zeichnet die Biografie des Man in Black nach. Reinhard Kleists Graphic Novel "I See A Darkness" erfährt eine hochwertige Neuauflage.

Nashville (giu) - Schon erstaunlich, dass Johnny Cash zwanzig Jahre nach seinem Tod noch immer ein so großes Interesse weckt. Am 12. September 2003 starb er an den Folgen seiner Diabetes-Erkrankung, so lautet zumindest die offizielle Begründung. Die letzten Monate seines Lebens hatte er mit gebrochenem Herzen im Rollstuhl verbracht, nachdem seine große Liebe, June Carter, im Mai gestorben war. Bis zuletzt begab er sich ins Studio, um sich abzulenken und sein Lebenswerk zu vollenden.

Er hinterließ einige herausragende Lieder. Nicht unbedingt seine bekanntesten, "Ring Of Fire" und "Ghost Riders In The Sky" zählen dazu, sondern allen voran "I Walk The Line", in dem er seiner ersten Frau Vivian ewige Liebe schwor (ein Versprechen, das er wie so viele andere brach), und natürlich "Folsom Prison Blues", "I shot a man in Reno, just to watch him die", das ihn zu einem "Real American Gangster" machte, wie Snoop Dogg ehrfürchtig erklärte.

Beide schrieb Cash in den 1950er Jahren, doch blieb er bis ins neue Jahrtausend musikalisch bedeutend. Vor allem, weil er stets über den Tellerrand schaute, sich musikalisch und menschlich seine Neugier bewahrte. Seine Markenzeichen waren der "Boom-Chicka-Boom"-Sound, den er an den Klang eines fahrenden Güterzugs anlehnte, und sein Blick über den Tellerrand. In den 1960er Jahren setzte es sich für Bob Dylan ein und sang mit ihm, wie auch mit Neil Young. Cash kam auf die Idee, in Hochsicherheitsgefängnissen wie Folsom und St. Quentin aufzutreten. Die Livemitschnitte davon sind seine erfolgreichsten Platten. In den 1990er Jahren blühte er dank Rick Rubin noch einmal auf und stellte sich in der "American Recording"-Serie unter anderen mit Nick Cave, Joe Strummer, Fiona Apple und Will Oldham ans Mikrophon. Er ließ sich sogar überreden, "Hurt" von Nine Inch Nails zu covern (warum eigentlich ohne Trent Reznor?). All diesen Liedern verlieh er ein zusätzliches Etwas.

Branding vom Feinsten

Doch vor allem war er der Mann in Schwarz. Branding vom Feinsten: Damit schuf er eine Marke, die unabhängig von der Musik funktionierte. Ende der 1960er Jahre begann er, seine Konzerte in schwarzer Kleidung zu bestreiten, zunächst, um seine Trauer für die Gefallenen im Vietnam-Krieg zu bezeugen. Als der Krieg vorbei war, sah er keinen Grund, das zu ändern. "Die Alten werden immer noch vernachlässigt, die Armen sind immer noch arm, die Jungen sterben immer noch vor ihrer Zeit, und wir unternehmen nicht viel, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Es gibt immer noch viel Dunkelheit." So erklärte er es in seiner zweiten Autobiographie.

Ein Trumm von einem Band

Überhaupt gibt es viele Bücher über Cash. 2021 erschien eine neue Fassung von Franz Doblers lesenswerter Hommage "The Beast In Me", zum 20. Todestag sind nun zwei weitere auf den Markt gekommen: ein neues und eines in einer überarbeiteten Auflage. Das neue ist ein Trumm von einem Band mit dem Titel "The Life in Lyrics. Sein Leben, seine Texte" (btb Verlag, 48 €). Auf knapp 400 Seiten zeichnet es den Werdegang des Sängers nach, mit vielen Fotos, Abbildungen von handgeschriebenen Texten und Anekdoten des Historikers Mark Stielper, der Cash und seine Familie über Jahrzehnte hinweg begleitete, sowie von Sohn John Carter Cash, der sich um den Nachlass kümmert.

Allein die Gestaltung macht beim Schmökern Freude: bunt, abwechslungsreich und übersichtlich, nicht unähnlich Bob Dylans "Philosophie des modernen Songs". Wer Geschichten über Sex und Drugs sucht, wird nicht wirklich fündig, auch wenn Cashs Seitensprünge, Tablettenabhängigkeit und Reha-Aufenthalte zumindest erwähnt werden. John Carter erzählt von seiner eigenen Alkoholsucht in den 1990er Jahren (er kam 1970 zur Welt, als einziges Kind von Johnny und June). Als er mit seinem Vater darüber redete, zeigte der sich verständnisvoll. "Frieden und Erlösung zu finden, liegt dir im Blut, mein Sohn, und du wirst sie auch finden. Aber sei dir im Klaren, in unserer Familie […] hat es auch immer großes Leid gegeben, Verlust, Traurigkeit, Depression, Trunksucht."

Neben Glaube und Liebe spielte die Gabe, Menschen zuzuhören und sie zu verstehen, eine zentrale Rolle in Cashs Ruf, wie sich an den vielen netten Hintergrundgeschichten zeigt, etwa zum Lied "40 Shades Of Green". Nicht die Vorlage für die graue Sexschmonzette, sondern eine Liebeserklärung an Irland, geschrieben, nachdem Cash 1959 zum ersten Mal auf der grünen Insel tourte. 1980 sei ein Mann auf Cash zugekommen, erinnert sich der Sohn, und habe sich für das Lied bedankt. "'Aber Sie haben es nicht geschrieben! Ich erinnere mich, dass meine Mutter es mir vorgesungen hat, als ich ein kleiner Junge war. Es ist eine schöne alte Volksballade, wirklich!' 'Welches Jahr mag das gewesen sein?' fragte mein Vater. 'Vielleicht 1966', sagte der Mann. 'Ich kann nicht älter als zehn Jahre gewesen sein!' 'Mein Freund', antwortete mein Vater, 'ich habe es 1960 geschrieben'."

Das Buch ist eine schöne Liebeserklärung. Da mag man über die sehr amerikanische Gepflogenheit hinwegsehen, dass Chartplatzierungen, Ehrungen, Telegramme von Präsidenten und Auftritte im Weißen Haus zu oft Erwähnung finden, für einen Mann zumindest, der seine bescheidenen Wurzeln nie geleugnet hat, gar stolz auf sie war. Schade auch, dass die letzte Phase seines Lebens, die mit den American Recordings, nicht gebührend abgehandelt wird. Aber gut, dafür gibt es im Inneren des Rückdeckels einen QR-Code zu einer Spotify-Liste, die das Buch musikalisch untermalt.

Ein Leben als Comic

Weniger um die Fakten als um den Mythos geht es in Reinhard Kleists "Cash - I See A Darkness". Als es 2006 herauskam, war es eine Sensation, eine Graphic Novel, die in schwarz-weißen Tafeln Cash als himmlischen Boten in teuflischen Gewand zeigte. Es war der erste kommerzielle Ausrufezeichen eines herausragenden und vielfältigen Künstlers, der sich im musikalischen Bereich auch meisterhaft mit Nick Cave (2017) und David Bowie (2021, Band 2 ist für 2024 angekündigt) auseinander gesetzt hat. Der Druck mit Softcover und Papier der billigeren Sorte wurde dem Werk nicht gerecht, also ist es schön, dass es nun als hochwertiges Hardcover neu erscheint, dazu mit behutsam nachkolorierten Tafeln, die ihnen eine neue Tiefe verleihen (Carlsen, 26 Euro).

Kleist erzählt Cash mit all seinen Widersprüchen, Höhen und Tiefen. Seine Abstürze finden ebenso Platz wie seine Warmherzigkeit und sein großes Herz. In den ersten Bildern ist er der namenlose Kerl, der in Reno einfach so jemanden tötet, später ein Junge namens Sue, der sich eine epische Schlägerei mit seinem Vater liefert, nur um ihn am Ende zu umarmen. Eine zentrale Rolle spielt der Auftritt in Folsom 1968, der als Aufhänger immer wieder zum Thema wird. Wunderbar, wie Kleist Cashs Tod darstellt, auf einem Stuhl im Freien sitzend, in Gedanken aber ein Ghost Rider, der in einen apokalyptisch wirkenden Himmel entschwindet, auf einem Pferd und in Cowboymontur.

Möge er dort seine Familie wieder getroffen haben, wie er es sich in einem der letzten Lieder so sehr wünschte:

"I'm just a poor wayfaring stranger
Traveling through this world below
There is no sickness, no toil or danger
In that bright land to which I go
I'm going there to see my father
And all my loved ones, who've gone on
I'm just going over Jordan
I'm just going over home"

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"JOHNNY CASH - The Life in Lyrics - SEIN LEBEN, SEINE TEXTE"*
von Johnny Cash, Mark Stielper und John Carter Cash - btb - 384 Seiten, Hardcover, 48 EUR

"CASH – I SEE A DARKNESS"*
von Reinhard Kleist - Carlsen - 224 Seiten, Hardcover, 26 EUR

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Fotos

Johnny Cash

Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: ) Johnny Cash,  | © Universal (Fotograf: )

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