laut.de-Kritik
Ein überraschendes Zeugnis von Cashs Wiederauferstehung.
Review von Giuliano Benassi1967 erreichte Johnny Cash den bisherigen Tiefpunkt seines Lebens. Ausgezehrt von Pillen, Alkohol, Scheidung und einer Karriere, die den Bach hinunter ging, besuchte er die Nickajack-Höhle in Tennessee mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Dort hatte er jedoch eine mystische Erfahrung und gab sich einen Ruck. Er reduzierte seine Abhängigkeiten. Sein Label Columbia hatte schon davor grünes Licht gegeben, um ein lange gehegtes Projekt zu verwirklichen: einen Auftritt samt Mitschnitt im Gefängnis von Folsom, der am 18. Januar 1968 stattfand. Am 22. Februar hatte Cash zudem bei einem Auftritt in Kanada seine langjährige Bühnenpartnerin June Carter gefragt, ihn zu heiraten. Die Hochzeit erfolgte kurz darauf am 1. März.
Cash hatte also ein neues Leben begonnen, als er mit seiner Begleitband und seiner Frau am 24. April 1968 in San Francisco auftrat. Ein großer Star war er zu diesem Punkt nicht mehr, das Album, das seine Karriere definieren sollte und wieder ordentlich Geld in die Kasse spülte, "At Folsom Prison", erschien erst sechs Tage später. Dennoch war es kein Konzert unter vielen. Erstens fand es in der Hochburg der Hippies statt. Zweitens in einem Lokal, das von einer Band mit betrieben wurde, die in der Stadt und später weltweit Kultstatus genießen würde, Grateful Dead. Drittens stand am Mischpult Owsley Stanley, auch bekannt als Bear, der den Auftritt in sehr guter Qualität mitschnitt.
Bear ist eine Geschichte für sich. Bis zu seinem Tod 2011 bei einem Autounfall bestand seine Nahrung seit den 1960er Jahren aus kurz angebratenem Fleisch. Dazu war er Bodybuilder, eingefleischter Deadhead mit 'Access All Areas'-Pass und LSD-Guru. Vor allem aber ein experimentierfreudiger Tontechniker, der jahrelang praktisch jede Show, die er arrangierte, aufnahm, um den Klang des Raums und die Auswirkungen seiner unorthodoxen Methoden zu beurteilen. Er nannte die Bänder seine "Sonic Journals".
Bear hinterließ die Mitschnitte von 1.300 Konzerten und etwa 80 Künstlern. Um die Digitalisierung zu finanzieren, gründete sein Sohn Starfinder die Owsley Stanley Foundation. Bereits erschienen sind Konzerte unter anderen von Tim Buckley und den Allman Brothers. Doch das von Johnny Cash bezeichnet er als das Filetstück.
Hat man sich erst mal daran gewöhnt, dass Stimme, Cashs Gitarre und Bass auf der linken Seite und Schlagzeug sowie E-Gitarre auf der rechten Seite zu hören sind, kann man sich schön in den Auftritt hineinversetzen. Die ungewohnte Abmischung erzeugt sogar den Eindruck, sich mittendrin zu befinden. Was man nicht bemerkt ist, dass der Saal ziemlich leer war, wie das ausführliche Booklet berichtet - gerade mal 700 von 3.000 Plätzen waren belegt. Nicht weiter verwunderlich, denn Cashs Country-Mucke war für ein jugendliches Publikum, das ganz andere Musik hörte, sowas von gestern.
Immerhin klatschte es, als die Band die Bühne betrat, was wohl nicht bei jedem Künstler der Fall war. Das erste Stück - gleich ein Kracher. "Johnny Cash - a real American Gangster", lobte ihn Snoop Dogg Jahrzehnte später in einem Track mit Everlast. "Early one mornin' while makin' the rounds / I took a shot of cocaine and I shot my woman down / I went right home and I went to bed / I stuck that lovin' .44 beneath my head", so die ersten Zeilen von "Cocaine Blues", das Cash auch in Folsom Prison gespielt hatte. Eine klassische Murder Ballad wie auch das folgende "The Long Black Veil".
Die Reaktion des Publikum ist zunächst verhalten, was auch daran liegen mag, dass Cash den Auftritt mit Oldies fortsetzt. "Orange Blossom Special" ist ein Bluegrass-Klassiker aus den 1940er Jahren, "Rock Island Line", aus der Feder Lead Bellys, sogar noch etwas älter. Interessanterweise schmeißt Cash nicht jenes Stück in den Ring, mit der er die Zuschauer wohl gepackt hätte, "Folsom Prison Blues" ("I shot a man in Rheno, just to watch him die").
Stattdessen versucht er es mit zwei Stücken von Bob Dylan, den er schon seit Jahren bewunderte. Ihre gemeinsame Session bei den Aufnahmen zum Dylan-Album "Nashville Skyline" fand erst 1969 statt, "One Too Many Mornings" und "Don't Think Twice, It's All Right" klingen hier aber auch schon gut.
Als June Carter schließlich zu "Jackson" die Bühne betritt, ist das Publikum am Johlen und Stampfen. Während sich Cash für eine Pause verzieht, wickelt seine Frau die Zuschauer endgültig um ihren Finger. "Ich werde jetzt ein paar meiner Lieblingsstücke spielen. Wenn sie euch nicht gefallen, ist mir das scheißegal, ich spiele sie trotzdem". Gejohle. Ihre kurz angespielten Versionen von Liedern aus dem Repertoire der Carter Family, darunter "Wildwood Flower", Woody Guthries "This Land Is Your Land" und vor allem "Wabash Cannon Ball" heizen die Stimmung noch weiter auf. Einen Zuschauer, der ihr etwas zuruft, betitelt sie als "sex maniac". Als Cash wieder auf die Bühne tritt und ankündigt, dass die Zeit fast vorbei sei, ertönt lautstarker Protest. "Ring Of Fire" und "I Walk The Line" sorgen für einen fröhlichen und versöhnlichen Abschluss.
Ein schönes Zeitdokument also, das auch zeigt, wie gut Cashs Begleitband, The Tennessee Three, war, bestehend aus Marshall Grant am Kontrabass, W.S. Holland am Schlagzeug und Luther Perkins an der E-Gitarre. Immer auf den Punkt, ohne aufdringlich zu wirken. Eine eingespielte Einheit, sowohl mit Cash als auch mit Carter. Vermutlich ist es auch eine der letzten Aufnahmen, auf denen Perkins zu hören ist, der im August 1968 in seinem Haus mit einer Zigarette in der Hand einschlief und am verursachten Brand starb. Wie er immer wieder mit seinem "Boom-Chaka-Boom" einsetzt und die Stücke mit Leben füllt - herrlich. Schön, dass Bear das eingefangen hat.
1 Kommentar mit 9 Antworten
Vollkommen überschätzter, unsympathischer, konservativer Hinterwäldlervogel mit drei-vier hörenswerten Songs und ohne das geringste Talent für Darbietung. Danken kann man ihm aber für das Bumm-Tschicka, was ein Countrystandard wurde.
Wie kann man nur so oft gegen eine Person fronten? Dass ging ja schon vor 9 Jahren unter der „at Folsom prison" Review los. Unsympathisch ist eher für mich nicht aber das ist subjektiv aber seinen Einfluss kann man ihm einfach nicht absprechen. Und überbewertet?? Da gibt's ne Menge Musiker aber sicherlich kein Johnny Cash. Seine Musik ist einzigartig.
Dazu noch absolut respektlos so über einen toten zu sprechen
Ich gebs zu - Johnny Cash ist mein Schwachpunkt. Es gibt ja einige Bands, die wegen zwei-drei Songs kultisch verehrt werden. Aber bei Cash ist die Disktepanz zwischen von Hollywoodschmalz beeinflußter Projektion, und dem Gehalt seines Songkatalogs sowie seiner gefühllos-gelangweilt vorgetragenen Allerweltstexte einfach zu groß für mich. Props kriegt er, wie gesagt, nur für sein damals innovatives Bumm-Tschicka. Und ihm zuliebe recherchiere ich nicht weiter, wie das entstanden ist.
So oft, wie du dich hier über etablierte, weltweit renommierte Künstler aufregst, muss man dir aber mehrere Schwachpunkte attestieren.
johnny cash war einmalig...
und ich mag seinen back-katalog!
vom anfang bis zum ende...
@c452h
So intensiv schwärmend, wie du dich einmalig über einen lediglich im deutschsprachigen Raum renommierten sowie etablierten Künstler ausgelassen hast, dessen Renommee und Etablierung zudem in jeder Dimension bloß als absolut limitiert und nur hier bei uns so möglich zusammengefasst werden kann, muss man dir das als den einen hierzu völlig ausreichenden Schlüsselschwachpunkt attestieren, der leider jeden weiteren deiner Kommentare bis auf alle Zeit in eine streng trollig-humoristische Zone verbannt, also...
...sagen wir unentschieden und damit wärst du echt noch billig davongekommen dieses mal? Oder schäumts schon genug, dass wir nachlegen und noch paar Fässer dazu aufmachen können?
Ich hab nämlich einige davon und das mit der Aufschrift "Post-Hurt-Cover Fangemeinde" ist nur das allererste, was mir in die Hände fiel und ätzend genug wirkt, um auch seiner ausge- bis überdehnten Country Music Man-Phase dauerhaft aus dem Weg gehen zu wollen...
Ragism hat vollkommen recht.
Cash ist fürchterlich!
Sitzt der nicht noch im Gefängnis wegen eines inszenierten Flugzeugabsturzes?
Jop, sitzt in Folsom mit Elvis in einer Zelle, der neulich erst für Buddy Hollys Flugzeugabsturz in Fargo Lebenslänglich bekommen hat.