Ein Set wie Durch-TikTok-Scrollen: Jeder Song bekommt stabile 30 Sekunden, um zu wirken. Sind die Aufmerksamkeitsspannen wirklich so gefickt?
Berlin (ynk) - Ich weiß nicht, warum, aber ich habe die längste Zeit meines Lebens das Bedürfnis verspürt, Drake zu verteidigen. Ihn nun in Berlin live gesehen zu haben, hat mir dafür wenig Material gegeben. Auf Tour zu seinem jüngsten PARTYNEXTDOOR-Kollabo-Album "$ome $exy $ongs 4 U" geht er durch eine monumentale Sammlung an Tracks. Acht Jahre sei er nicht in der Stadt gewesen, da schulde er uns ja gewissermaßen die volle Lutsche, so räsoniert der Kanadier in der Anmoderation. Wie das klappen soll? Da hat er einen Trick auf Lager.
Von vorn: Auch das Kendrick-Inferno konnte nicht verhindern, dass Drizzy die Uber-Arena souverän gefüllt bekommt. Es sind einfach eine Menge hübsche, wohlgekleidete Leute vor Ort. Ich bin persönlich fast ein wenig fasziniert davon, was für eine Crowd sich hier versammelt hat. Ich habe selten Kids gesehen, die gleichermaßen so fashionable, aber so wenig alternativ sind. Mensch, es gibt so viele Bubbles. Wahnsinn!
Zur Einstimmung ein Battle
Zur Einstimmung liefert sich ein DJ-Duo zur Unterhaltung der Massen ein Battle. Das macht ehrlich irgendwie eine Menge Laune, wenn die beiden sich gegenseitig die absolute Crème de la Crème der Trap-Hits des letzten Jahrzehnts an den Kopf werfen. "Bad And Boujee", "Antidote", "Bodak Yellow", zu Lil Uzis "Just Wanna Rock" gibt es den ersten Moshpit, und Daddy Yankees "Gasolina" über Stadionanlage zu hören, erinnert mich daran, dass das wahrscheinlich der beste Song aller Zeiten ist.
Die beiden enden versöhnlich mit Whitneys "I Will Always Love U". Ich naives Kind denkee: "Wow, was für eine geile Stimmung, das ist doch bestimmt jetzt die Showeinlage zur Eröffnung." Ich habe das so fantasiert: Alle haben eh ihre Handys draußen und passen doll auf, jetzt endet die letzte Whistlenote mit einem Loop, auf dem dann eine 808 einsetzt, Drake schießt aus dem Boden und rappt sich einen runter. Wäre eine geile Idee gewesen, oder? Aber, nein, die beiden verpissen sich, zwanzig Minuten Pause, all die aufgebaute Stimmung verpufft. Gut, man muss der Venue ja auch genug Raum geben, um Getränke zu verkaufen.
Tatsächlich kommt Drake irgendwann aus einer Ecke des Gebäudes und klettert von da auf die ovale Bühnenkonstruktion, die quasi einmal über den kompletten Außenrand des Pits führt. Eigentlich ganz cool, vor allem, weil er wirklich immer wieder mal hier und mal da auftaucht. An beiden Kopfenden gibt es ein bisschen Feuerwerk und Pyrotechnik, aber die Showelemente sind damit eigentlich schon abgehandelt. Die meiste Zeit springt Drake im Kreis und rappt seine Songs mit. Obskurer Sidefact: Hinten auf der Jacke trägt er ein Design, das ich nur als ein Heiligenbild von Morgan Wallen erklären kann. Muss man nicht verstehen.
Den Anfang macht ein Croon-Dreiklang. "Marvin's Room" und "Passionfruit" sind natürlich Classics, ein richtiger Adrenalinschub will daraus aber nicht werden. Grundsätzlich: Ich bin mir nicht so sicher, wie gut ich Drakes Performance finde. Gerade in den Haupttracks verändert er den Rhythmus seiner Tracks oft so, dass alles ein bisschen mehr laid back klingt, oft zieht es signifikant über die Zeilengrenzen hinaus. Das klingt nicht nur schlechter, sondern verschreckt offenbar auch die paar Kids, die aktiv mitsingen wollen. Viel läuft dann auch über Playback, und Drake rappt eher einzelne Lines mit, statt mal wirklich in die Gänge zu kommen.
Sind die Aufmerksamkeitsspannen so gefickt?
Aber das ist nicht das Hauptproblem. Das steckt in der Antwort auf die Frage, wie wir durch gefühlte 60 Tracks kommen sollen, ohne in dieser Venue alt zu werden. Drakes Lösung: Wir spielen quasi das ganze Set, als würden wir gerade durch TikTok scrollen. Kaum ein Song darf länger als 60 bis 90 Sekunden wirken. Es gibt einen kurzen Moment der Energie, als mit "Headlights", "Nonstop" und "Sicko Mode" wirklich heftige Banger in direkter Nachbarschaft kommen. Die Kids von vorhin dürfen auch ein bisschen am Moshpit probieren. Aber ganz ehrlich? Irgendwie wirkt das alles so flüchtig und inkonsistent, dass man sich auf nichts so richtig einlassen kann.
Ich weiß, ich weiß, bei dem Amirappern ist das gerade der dominante Modus, solche Konzerte können ihre Momente haben. Aber gerade in diesem Fall empfinde ich es als sehr kontraproduktiv. Zum Beispiel "Nice For What": Das ist ein 10/10-Song, bei dem ich mich persönlich besonders auf bestimmte Stellen freue, weil ich weiß, dass sie abgehen werden. Warum bauen wir auf, faden dann aber vor dem Big Freedia-Drop aus und lassen dem Song im Nichts verenden? Ich habe das Gefühl, dieses konstante Antäuschen und Aufflackern zieht der Crowd systematisch jede Energie. Man freut sich kurz, einen Song zu erkennen und zu mögen, aber wenn man gerade dabei ist, sich darauf einzulassen, ist auch schon wieder gut. Warum macht man das so? Sind die Aufmerksamkeitsspannen wirklich so gefickt?
Abgesehen davon bin ich auch wirklich nicht so überzeugt, ob Drake der ultimative Live-Artist ist. Es hat einen Grund, dass er als König der Streaming-Ära gilt. Seine größten Songs sind Hits, die man wunderbar sad-bedröppelt in der Bahn oder im Hintergrund laufen lassen kann. Ich mag "God's Plan". Aber was soll man bitte live mit "God's Plan" anfangen? Es dudelt nett und angenehm vor sich hin. Weil es sein größter Hit ist, muss Drake es anmoderieren, als explodiere gleich die Welt - und dann singt man halt so halb-beschwingt das "And they wishing, they wishing"-Ding mit. Ist okay. Aber wenn man sich umsieht, scheint auch die Crowd nicht so richtig zu wissen, was sie damit jetzt anfangen soll. Tanzen? Ein bisschen? Abgehen? Nicht wirklich. Die meisten stehen etwas verunsichert da, filmen und scheinen auf bessere Zeiten zu warten.
So manövrieren wir uns durch ein Kontingent durchaus solider Drake-Hits, von denen er wirklich Unmengen über Unmengen hat. Aber jedes Mal, wenn ich denke "Hey, darauf habe ich mich eigentlich gefreut!" zum Beispiel auf "One Dance" oder "Hotline Bling", ist es schneller vorbei, als es angefangen hat. Die Show bündelt einfach nicht wahnsinnig viel Energie. Auch Drake wirkt die ganze Zeit lowkey depressiv und nicht so richtig, als würde er seinen Job wahnsinnig lieben.
Mensch, Aubrey!
Ganz ehrlich: Als Partynextdoor irgendwann für die nicht besonders spannenden neuen Songs vorbeigekommen ist, wars das für mich dann auch mit der Energie. Es war spät, es war ein Donnerstag, das Leben ist kurz. Diese Drake-Show hat meinen Drake-Apologismus Lügen gestraft: Im Grunde spielte er genau die Show, die seine Hater erwarten würden. Mensch, Aubrey, warum lässt du mich so hängen!
1 Kommentar
Yannik, du bist so frustrierend nah dran zu erkennen, wie scheiße der Kerl schon immer gewesen ist (Sein Frühwerk von mir aus ausgenommen). Du bist ein Guter, dieser narzisstische Honk ist es nicht wert, von dir verteidigt zu werden. Lass los Bruder!