laut.de-Kritik

Game Over.

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Hier ist er also, der Moment, auf den alle warteten. Nach über einem halben Jahr Sendepause und Demütigung nach Demütigung kehrt Drake in die Öffentlichkeit zurück. Um sein Image zu retten und um die Hip Hop-Welt davon zu überzeugen, dass Kendrick Lamar nicht die Macht besitzt, die Luft aus einer der erfolgreichsten Karrieren in der Geschichte des Genres zu lassen, als hätte er im Vorbeigehen ein Loch in eine Luftmatratze gestochen. Dieses Release mag gut und gerne eine der wichtigsten Veröffentlichungen in seiner Karriere sein, der notwendige Moment, um der Welt wieder den "echten" Drake zu zeigen, den hungrigen Drake, den Album-Artist-Drake.

Nach dem Hören von "$ome $exy $ongs 4 U" stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Drake überhaupt noch existiert. Der Kanadier wählt anstelle eines markanten artistischen Moves einen anderen Ansatz: so tun, als habe dieser Beef nie stattgefunden, indem man das nächste überlange Nichts von einem Album in den Äther schießt, um sich an Streamingzahlen aufgeilen zu können, die keine Person ernsthaft interessieren, die das zwanzigste Lebensjahr überschritten hat. Well played, damit gewinnt man die Gunst der Öffentlichkeit ganz bestimmt zurück.

Das alleine für sich wäre schon schlimm genug. Haben wir eben nichts daraus gelernt, gehen Sie bitte weiter, Business as usual. Jedoch klingt dieses Comeback nicht einfach nur wie ein x-beliebiges, austauschbares Drake-Album. "$ome $exy $ongs" markiert das Ende der Fahnenstange der artistischen Selbstdemontage. Hier finden sich ausschließlich die schlimmsten Elemente aus Drakes Musik, eine Horrorschau in Überlänge, die sich anfühlt, als bekomme man 90 Minuten lang von zwei schleimigen Typen in den Nacken gehaucht.

Einen großen Teil dazu trägt sicherlich PARTYNEXTDOOR bei, der den 38-Jährigen hier auf Albumlänge begleitet. Es wirkt ohnehin ziemlich seltsam, sich mit einem Kollabo-Album zurückzumelden. Wieso das Spotlight teilen? Schließlich sollte doch gerade dieses Projekt mehr denn je die eigenen Stärken highlighten. Hinzu kommt allerdings, dass sich Drake auch kaum einen uninteressanteren Atzen ins Studio hätte holen können als PARTYNEXTDOOR. Wieso sollte ausgerechnet er Drake in dieser Situation weiterhelfen können?

Jeder einzelne seiner Auftritte klingt austauschbar, die Chemie zwischen den beiden sucht man vergebens. Was überrascht, denn PARTYs ganzer Sound trägt schließlich die DNA des Kanadiers in sich. Die gesamte Karriere dieses Mannes fühlt sich an, als hätten die Tiefpunkte aus Drakes Musik ein Eigenleben entwickelt, als wäre der Song "Ratchet Happy Birthday" ein Mensch, dessen emotionale Bandbreite bei Ficken anfängt und beim Traurigsein, weil man niemanden zum Ficken hat, wieder aufhört. Folglich gab er zu Protokoll, dass dieses Projekt ein Album zum Sexhaben sein soll, für Menschen, die viel Sex haben. Aha.

Das große Problem daran: Nahezu nichts an "$ome $exy $ongs" klingt wirklich sexy. Drake und PARTY croonen sich durch 80 Minuten R'n'B-Slop und klingen dabei, als würden sie gerade die vier Phasen der Trauer durchlaufen. Ihr Dirty Talk tönt bestenfalls mechanisch und kalt, schlimmstenfalls regelrecht übergriffig. "How I'm blessin' all the girls who's waited, who's waited on me" / "He don't know your desires like I do" / "I'm not here to teach you a lesson / I'm just a caring and passionate guy" / "Staring at your tattoo while I'm fucking you from the back / Doesn't say my name, but here's where we're at": Das klingt nicht nach zwei Dudes, die wirklich Spaß an Sex haben, sondern nach zwei manipultiven Arschlöchern, die sich in die Dusche setzen und weinen, wenn du sie für ihren Bullshit zur Rechenschaft ziehst.

Das noch größere Problem der LP liegt allerdings nicht darin, dass Drake und sein Companion (mal wieder) nichts zu erzählen haben, auch wenn das Ausmaß an Inhaltsleere hier schon beeindruckend ist. Sondern vielmehr darin, wie sie es an den Mann bringen. R'n'B war noch nie Drakes stärkstes Steckenpferd, und dieses Album verdeutlicht noch einmal exzessiv, wieso. Wenn der Mann diesen Modus fährt, kommen da pro Album maximal zwei, drei schöne Soul-Harmonien, und vielleicht eine gute Hook dabei rum. Hier bekommen wir zwanzig Songs ohne irgendetwas davon. Das ist die B-Ware von Drakes niedrigstem Gang. Wieder und wieder dieselben sanft rasselnden Snares, spacigen Drums und süßen Vocal-Samples, begleitet von immer derselben montonen, einschläfernden Kadenz, die sang- und klanglos daran scheitert, uns weis zu machen, dass Drake gerade wirklich diese Gefühle empfindet, über die er da singt.

Mehr als horny, verliebt oder traurig klingt er vor allem müde und bitter, als müsse er uns gerade auf Teufel komm raus beweisen, dass er nicht nur der geilste Stecher dieser Welt ist, sondern auch der einfühlsamste Lover. Alben wie dieses leben von ihrer Authentizität und Atmosphäre. Dieses Album verführt nicht, es malt keine Bilder von Rosenblüten in der Badewanne und beschlagenen Spiegeln, sondern von einsamen Blicken über kalte Skylines und unerwiderte Instagram-DMs.

Folgerichtig verkommt die Suppe spätestens nach einer Handvoll Songs zu einem einzigen Nichts, das in seiner Unaufgeregt- und Gleichgültigkeit fast schon an Ambient grenzt. Hin und wieder schießt eine peinliche Bar wie eine Rakete durchs Trommelfell, ehe man sich von Drakes Stimme wieder zurück in einen behutsamen Dämmerzustand versetzen lässt. Selbst die Instrumentals, die sich ein wenig trauen, ("Crying In Chanel", "Somebody Love Me"), kommen gegen dieses vokale Valium kaum an.

Insofern freut man sich auch über nahezu jeden Moment, der die einschläfernde Trance aufbricht und für einen Moment aufhorchen lässt. Auf "Gimme A Hug" rappt Drake tatsächlich einmal für wenige Minuten am Stück, schafft es qualitativ allerdings auch nicht über B-Seiten-Level hinaus. Auch, weil er nach wie vor mit Beats umgeht, als würde er im Studio nur Redbull saufen, und in der Folge selbst in einem dreiminütigen Song zwei Beatswitches verwurstet.

Ein weiterer Standout, der den Vogel vollends abschießt, findet sich auf "Meet Your Padre", wo Drake eine Ehrenrunde dreht, nachdem er seinen Spanischtest gerade so bestanden hat. "I can make you feel mucho mejor / Meet me outside, por favor / Without you, my heart's in dolor": Das klingt ungelogen wie eine Parodie, wie ein SNL-Skit, bei dem man nur darauf wartet, dass gleich ein saftiges "¡Arriba!" aus den Boxen fliegt. Aber Aubrey Graham singt seine Vokabel-Hausarbeit mit so viel Herzschmerz und Gravitas, man meint, er bewerbe sich damit um die mexikanische Staatsbürgerschaft.

"Die Trying" trumpft als nahezu einziger mit einer funktionalen Ohrwurm-Hook und weckt die BPM-Monotonie der sonstigen Beats mit einer Akustikgitarre auf. Yebba singt am Ende noch ein schönes Outro, alles in allem eine solide Ballade.

"Nokia" hebt sich auch hiervon noch einmal deutlich ab, da Drake hier tatsächlich etwas Neues versucht, und damit einen regelrechten Homerun landet. Ein spaßiger Pop-Song, wie lange haben wir das nicht mehr von Drake gehört? Der Beat fetzt und zieht einen sofort aus dem Wachkoma auf den Dancefloor, wo Drake den Animateur irgendwo zwischen den 80ern und Flo Rida mimt. Wenn ein Song dieses Album davor bewahrt, binnen Wochen in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, dann dieser.

Aber zwei aus 21 ist selbst für Drake eine dermaßen beschissene Quote, dass "$ome $exy $ongs" sich aus dem Stand am untersten Ende seiner Diskografie einreiht. Drake war schon oft nicht gut. Schon lange verdienen seine Projekte den Titel "Alben" eigentlich nicht mehr, weil sie eher glorifizierten Playlists ähneln. Aber noch nie, und das steht wiederum in direktem Bezug zur Historie diese Releases, gab einem Drake so sehr das Gefühl, dass er als Artist nichts mehr zu sagen hat.

Betrachtet man das Album als Epilog des Beefs - und es fällt schwer, das nicht zu tun - so kann man es gut und gerne als finale Kapitulation sehen. "Keep making me dance, wavin' my hands, and it won't be no threat": Dieses Release hat keine anderen Ansprüche, als diesem Mission Statement gerecht zu werden. Nur haben die letzten zwölf Monate Aubrey Graham scheinbar so sehr zugesetzt, dass er nicht einmal mehr so tun kann, als bereite ihm dieses eine essentielle Trademark überhaupt noch Freude. "$ome $exy $ongs 4 U" klingt mehr bitter als sexy, mehr traurig als selbstbewusst, und es zeigt einen artistisch bankrotten Artist, der nicht einmal mehr seinen sonst halbwegs zuverlässigen Autopiloten zum Laufen bringt. Game over indeed.

Trackliste

  1. 1. CN Tower
  2. 2. Moth Balls
  3. 3. Something About You
  4. 4. Crying In Chanel
  5. 5. Spider-Man Superman
  6. 6. Deeper
  7. 7. Small Town Fame
  8. 8. Pimmie's Dilemma (feat. Pim)
  9. 9. Brian Steel
  10. 10. Gimme A Hug
  11. 11. Raining In Houston
  12. 12. Lasers
  13. 13. Meet Your Padre (feat. Chino Pacas)
  14. 14. Nokia
  15. 15. Die Trying (feat. Yebba)
  16. 16. Somebody Loves Me
  17. 17. Celibacy
  18. 18. OWM
  19. 19. Glorious
  20. 20. When He's Gone
  21. 21. Greedy

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8 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 2 Tagen

    "Folglich gab er zu Protokoll, dass dieses Projekt ein Album zum Sexhaben sein soll, für Menschen, die viel Sex haben."

    Drake hat also ein Album für Egon Kowalski gemacht.

  • Vor 2 Tagen

    Der Boomer Rezensent hat halt keine Ahnung. Während Drake sich mit mindestens zwei zeitlosen 10/10 Alben verewigt und darüber hinaus selbst auf seinen schlechteren Alben immer wieder starke Songs released hat, ist Kendrick halt eine von der Industrie hochstilisierte Kulturfigur ohne jegliche Relevanz in der Basis. Diese Grammy Pseudo Show bestätigt das ja. Wer zur Hölle hört jetzt überhaupt noch das neuste Kendrick Schrott Album ohne an seinen eigenen Fürzen zu riechen? Wird genauso von der Industrie künstlich glorifziert wie Taylor Swift oder Beyonce - das ist Politik und nichts anderes. Kendrick ist halt so niveaulos das er sich drauf einlässt und das Spiel der Industrie mitspielt, leider scheint der wie Kanye in einer Psychose gelandet zu sein und hält sich tatsächlich mitlerweile für Gott. Schade eigentlich, auch Kendrick hat zwei 10/10 Alben. Ist nur leider nicht mehr so cool zu hören nachdem er sei Image so an die Industrie verkauft hat. Drake hat das nicht nötig und wird immer der größere der beiden bleiben, selbst wenn er für dieses Album wahrscheinlich ungehört 0/5 verdient hat.

  • Vor 2 Tagen

    Bin eher bei 2/5 PartyNextDoor macht sehr wenig aber klingt nie wirklich schlecht dabei.

  • Vor einem Tag

    Hab's versucht und das war soo soft, dass auf keinen Fall mehr jemanden dissen sollte.

  • Vor einem Tag

    Ich war ja lange ein Drake-Fan. Habe die frühen Alben gerne gehört.
    Irgendwann hat sich Drake entschieden, seine Alben viel zu lang zu machen. Und sich auf seine größte Schwäche zu konzentrieren, schwache, billige RnB Songs.

    Drake war noch nie ein guter Album-Künstler. Selbst die "guten" Alben hatten echt schwache Songs (ausgenommen maximal "So far gone"). Trotzdem hatten die Alben bis "Scorpion" noch heftige Hits. Dadurch habe ich kein Album ganz gehört, aber von jedem einige Songs sehr viel. Darunter waren standout Tracks wie "say what's real" oder "look what you've done" oder "god's plan".

    Mittlerweile fehlen solche Hits völlig. Dafür wird jedes Album überladen mit 0815 Kaufhaufspop. Leider Kernschrott und werde ich nicht hören.

  • Vor einem Tag

    Also bei dem Gejaule fällt es mir schwer überhaupt an Sex zu denken. Nenene, nicht mla auf Drogen hätte ich da Bock.

    • Vor einem Tag

      Vielleicht war das die Idee. Ein Album, für Leute, die viel Sex haben und endlich damit aufhören wollen.

    • Vor einem Tag

      Ich mache auch schon seit Monaten dicht. Meine Gefühle sind etwas blockiert, da menschliche Beziehungen immer kapitalistischer werden. Denke gar nicht mehr an Sex, zocke dafür umso mehr. Kennt ihr diese autistische aus dem Bodensee-Krimi? Irgendwie habe ich langsam den Eindruck, so werde ich demnächst enden.

    • Vor einem Tag

      Na immerhin haben dich hier in den Kommentarspalten alle lieb.

      Bwahahaha :lol:

    • Vor einem Tag

      Ach, bei mir ist das auch oft so...: wenn ich mal etwas ausprobiert habe wie z.B. Liebe usw., dann reicht mir das auch nach einer gewissen Zeit. Frei nach dem Generalisten-Motto "Mal anteasern, ah, hab verstanden wie es läuft, langweilig, anstregend, next". Irgendwie gilt das nicht für Musik und Zocken als solches. Aber Sexualpartner zu finden ist einfach die Königsdisziplin der spätkapitalistischen Sozio-Kulturellen-Anbiederung des konservativen Troja-Liberalismus', weswegen ich die erste Festung "ideologische Vorbehalte" schon als Vermeidung akzeptiere, um gar nicht erst zum Takeshi-Endgegner "Ein Dinner perfekt planen und nett grinsen, während MEIN Geld dahinschwindet" zu gelangen. Hab ich schon erwähnt, dass ich 16 Stunden am Tag schlafe?

    • Vor einem Tag

      ... die letzten Versuche endeten im biedersten Small-Talk-Cringe from Hell. Ich kann mir vorstellen, dass solche Situationen das Abbild des Nichts sind und möglicherweise alle Menschen, die sich dem bewusst sind, einen Fehler in der Matrix darstellen. Hätte mir am liebsten mit Absicht in die Hose gepinkelt, um endlich verlassen zu werden.

    • Vor einem Tag

      Im Übrigen ist das auch das, was ich Jesus immer noch vorwerfe, nämlich, dass er den Armen (heute: Linken) den Zugang zu Wein ermöglicht hat. Hier begann die Ursache des ganzen Übels und selbige fingen an, sich italienische Designer-Hosen anzuziehen und aßen und tranken im Stehen. Ist schon verrückt, wenn man bedenkt, wieviel dann doch noch mit der Bibel und so zu tun hat.

    • Vor einem Tag

      ... eine Sache noch, ganz wichtig: Ich hatte vor langer Zeit mal ein Interview mit Hartmut Engler gelesen oder gesehen, in dem er behauptete, er würde im Restaurant viele Liebespaare beobachten, die sich nichts mehr zu sagen hätten und demnach nicht miteinander sprechen sondern nur voreinander her-essen. Oh, wie Töricht, zum Glück. Nicht auszudenken, wäre er auf den Trichter gekommen, einen Song darüber zu schreiben, dass Paare viel zueinander sagen aber sich nichts zu sagen haben. Ich brauch' jetzt nen' Schluck Dornfelder. Prost.

    • Vor einem Tag

      … eine Sache noch, ganz wichtig …
      Nein, ist es nicht.

      … Ich brauch' jetzt nen' Schluck Dornfelder. Prost …
      Da scheint das Problem zu liegen.

    • Vor einem Tag

      wenn du nicht daten möchtest, date nicht. und wenn du es doch möchtest, solltest du, in welcher weise auch immer, respekt vor dir selbst entwickeln. dazu gehört u.a. nicht 16 stunden pennen und finger weg vom alk. therapie hilft ebenso.

      aber pragmatismus wird ja nur zu gerne als empathielosigeit abgetan...