Der erste Southside-Tag war in diesem Jahr zugleich der letzte. Regen, Gewitter und Sturm beenden das Open-Air schneller als gedacht.
Neuhausen o.E. (kluk) - Southside > Hurricane. Zumindest was Hitze angeht. Zumindest was Luftfeuchtigkeit angeht. Allerdings nicht was Regen angeht. Denn während Scheeßel schon von vor Festivalstart zum feucht fröhlichen Aqualand-Erlebnispark mutierte, zeigt sich das badische Neuhausen ob Eck am Freitag erst mal von seiner sommerlichsten Seite.
Nach der gestrigen Auftaktsrunde mit Marathonmann, Weekend, Maeckes etc. und morgendlichen Temperaturen bis 30°C geht es an den Einlassschleusen am Freitag noch recht verhalten zu. Wie unser Facebook-Stream zeigt, lockert aber zumindest die Jägermeister Marching Band die Stimmung wie gewohnt auf.
Veranstalter rechnen schon mit dem Ernstfall
Hebt der gemeine Southside-Besucher dann den Blick kurzzeitig von Smartphone und E-Zigarette und sieht das endlose Blau am Horizont, mag er kaum glauben, dass hier laut Wetterbericht schon in weniger als zwei Stunden die Gewitterhölle hereinbrechen wird.
Und dennoch warnt die Festival-App die 60.000 Feierwütigen schon jetzt, dass der Rock am Ring-erprobte Ernstfall auch hier wieder eintreten könnte und bei Programmunterbrechung den Anweisungen des Personals Folge zu leisten ist. Aye, aye, Captain!
Crowdsurfing ist nicht
Außerdem strengstens verboten: Crowdsurfing. Wer sich nicht dran hält, wird zu 24-stündigem Konzertverbot verdonnert. Dazu wird diese Mutter aller Drohungen sicherheitshalber in 30-Sekunden-Intervallen ausgerufen, damit auch ja das gesamte Infield von der samtigen Teleshopping-Stimme beschallt wird. Ist aber doch eigentlich eine ganz feine Methode, so manch nervigen Begleiter, der im Laufe des Festivals zur Gruppenklette wird, loszuwerden. Einmal in der Menge hochgehoben und ab geht die Post.
Andererseits: Wer sich die ohnehin schon sangriageschwängerte Birne so derbe zuknallt, dass er allen Ernstes Bock hat, sich am schweißgeölten Körper von ein paar nicht minder feuchten Gästen betatschen zu lassen – nur zu. Früher oder später heißts ja eh: Wasser marsch.
Skindred predigen Liebe
Bis dahin geht aber durchaus noch die Party. Nachdem Kvelertak das Publikum mit ihrer neuen Platte "Nattesferd" endlich wachbrüllen, gibt bei Skindred im Anschluss erstmals richtigen Anlass zum Bouncen. Der Reggae-Anteil der Crossover-Rastafaris tritt dabei heute in den Hintergrund, gerade das Material der neueren Platten klingt mehr nach einer poppigeren Version von Korn.
Juckt aber nicht, am frühen Nachmittag zündet die Nu-Metal-Party-Bombe beim Publikum bestens. Nichtsdestoweniger nimmt Sänger Benji Webbe in seinen Ansagen auch Bezug zur gestrigen Brexit-Abstimmung, von der eben auch die fünf Walisen betroffen sind. "Today there's no muslim, there's no jewish, there's no gay, today there is one people! Put your hands in the air. Don't do it for Skindred, please just do it for love!"
"Futureshit" auch bei Atemnot
Lance Butters hat indes zwar noch weniger mit Reggae zu tun, dafür liegen beim Parallel-Gig des Maskenrappers aber reichlich Amsterdamer Kräuterdünste in der Luft. Doch nicht nur deshalb ist es auf Red und White Stage am Freitag kaum auszuhalten – durch permanente Sonneneinstrahlung und akute Schwüle wird ein Besuch der beiden Zeltbühnen schon nach wenigen Minuten zum Saunaaufguss-Erlebnis. Der Chicago-Bulls-Cap-Fraktion ist das herzlich egal, Butters' "Futureshit" hat heute Vorrang. Recht so.
Anti-Flag sind vom Brexit verärgert
Etwas deutlicher wird sich dann auf der Green Stage zum England-Votum geäußert. Dass Anti-Flag ohnehin gerne so manch verbalen Scheißekübel über Politiker entleeren, ist bekannt, heute scheinen die Ü40-Politpunks aber gleich doppelt Gift und Galle zu spucken. "This decision was based on hate, xenophobia, nationalism and division", brüllt Bassmann Chris Barke ins Mikro. Und als hätte er vorhin bei Skindred reingelauscht, brüllt er hinterher: "Today we're not American, we're not English, German, French oder Swiss. Today we stand united as one people!" Die friedlich pogende Menge gibt ihm Recht.
Blues Pills als letzte Band des Festivals
Schwedische Fantreue wird dann im Anschluss auf der Red Stage bewiesen. Die Classic-Rock-Wunderkinder Blues Pills schauen vorbei und starten ihren Gig zunächst vor einer recht überschaubaren Menge – und mit einem defekten Mikro. Da braucht es dann einen halben Song, bis Energiebündel Elin Larsson endlich mit vollem Volumen zu hören ist. Die Reaktion des Publikums fällt umso euphorischer aus. Nimmt man zunächst an, hier trenne sich die Festivaltouristen-Spreu vom Musikkenner-Weizen, füllt sich das Innere des Zelts plötzlich rasant. Ein Blick nach draußen verrät, wieso.
Evakuierung des Geländes
Heftiger Platzregen setzt um kurz vor 20 Uhr ein, die Ersten suchen Zuflucht, viele tanzen in nostalgischer Hippie-Manier im Regen. Keine Frage: Nach der strapaziösen Hitze ist jeder Tropfen Regen Balsam auf der sonnenverbrannten Haut. Das ganze Ausmaß der heraufziehenden schwarzen Wolken wird dann aber erst zehn Minuten später klar.
Gewitter steht bevor, wenn nicht gar Schlimmeres. Pünktlich zum Ende des Blues Pills-Auftritts beginnt um 20:15 Uhr die Evakuierung des Geländes. Fester Untergrund wird zum Morast, die enormen Wassermengen versickern kaum im Boden. Dennoch reagieren Veranstalter und Publikum größtenteils professionell auf den Ernstfall, nach und nach verschanzen sich die Besucher in ihren Autos.
25 mussten ins Krankenhaus
Für alle anderen stellt das Southside Shuttlebusse zur Verfügung, mehrere Tausend Menschen werden in sichere Unterkünfte gebracht – und harren dort bis tief in die Nacht aus. Nach der ersten Welle beruhigt sich die Lage zwar, aber gegen 22 Uhr bricht ein Unwetter aus, wie sie die kleine Gemeinde Neuhausen ob Eck noch nie zuvor erlebt hat. Dennoch scheinen einige Ethanol-beschwipste Freigeister den Ernst der Lage nicht ganz zu erfassen, klettern auf ihre Autos, wollen das Unwetter fotografisch festhalten. Insgesamt ist am Samstagvormittag von 57 Leichtverletzten die Rede, 25 mussten ins Krankenhaus.
Gewitter, Sturm, Hagel, Regen
Ein Blick über den Campingplatz gegen Mitternacht offenbart das ganze Ausmaß dessen, was Gewitter, Sturm, Hagel und Regen in den letzten Stunden angerichtet haben: Zäune knicken um, umgekippte Dixitoiletten blockieren die Wege, Zelte und Pavillons sind zu einem gigantischen Metallfriedhof verkommen.
Dass hier niemand ernsthaften Schaden genommen hat: Ein kleines Wunder, das zu großen Teilen der raschen Reaktion der Southside-Veranstalter zu verdanken ist – und letztens Endes auch zur Absage der letzten beiden Festivaltage führt.
Erst Rock am Ring, jetzt Southside. Festivalsommer 2016, du meinst es einfach nicht gut mit uns.
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