Wer das Album mag, wird den liebevoll gemachten und ausführlichen Film zu "Wildflowers" lieben.
Los Angeles (giu) - "Blood On The Tracks" von Bob Dylan, "Nebraska" von Bruce Springsteen, "Wildflowers" von Tom Petty: Alles Alben, die untypisch für die Musiker sind, deren Name auf der Hülle steht, und doch aus ihrem Werk hervorstechen. Untypisch vor allem deshalb, weil sie in schwierigen persönlichen Zeiten entstanden sind und einen tiefen Einblick ins Seelenleben ermöglichen. Und weil sie eine Rückkehr zu den Wurzeln darstellen, zu Gitarre, Stimme und Texten, eine Pause von all den wirtschaftlichen Themen und der internen Politik, die die Rolle des Solokünstlers als Bandleader mit sich bringt.
Waren "Tracks" und "Nebraska" schnell aufgenommene Angelegenheiten, entwickelte sich "Wildflowers" zu einem anderthalbjährigen Herzensprojekt. Allgemein gilt es als Pettys Singer/Songwriter-Album, doch wenn man genau hinhört, passiert auf ihm musikalisch so viel mehr. Mehr als ein Eintrag in die Diskographie war es eine Lebensphase, die das ursprüngliche Album nur zum Teil dokumentierte. Die Deluxe-Ausgabe "Wildflowers & All The Rest" (2020) und dieser Kinofilm vervollständigen das Bild.
Nach "Into The Great Wide Open" hatte Petty mit seinen Heartbreakers 1991 den kommerziellen Höhepunkt seines Schaffens erreicht. Bis dahin war es ein langer Weg gewesen, die Zeit für Umstellungen war gekommen. Petty wechselte das Label (von MCI zu Warner Brothers) und suchte nach einem neuen Zugang zu seiner Musik. Im richtigen Moment traf er Rick Rubin, der ihm eine andere Vorgehensweise versprach als sein bisheriger Produzent Jeff Lynne: Nicht die Erschaffung des perfekten Pop-Rock-Songs mit Schicht über Schicht an einzeln aufgenommenen Gitarrennoten, sondern ein atmendes, organisches Werk, eine Art musikalisches Lebewesen.
Mit Ringo Starr am Schlagzeug
Der Beginn war unverfänglich. In seinem Anwesen bei Los Angeles hatte Petty ein Musikzimmer mit Vierspurgerät, auf dem er Demos aufnahm. Immer wieder spielte er sie Rubin vor, der ihm Ratschläge gab und ihn vor allem ermutigte. Schließlich gingen sie in ein gemütlich eingerichtetes Studio, um die Angelegenheit ernsthafter anzugehen. Petty, der schon seit den 1970er Jahren eine feste Begleitband hatte, fühlte sich aber einsam, und so lud er nach und nach seine alten Mitstreiter ein, Gitarrist Mike Campbell, Pianist Benmont Tench und Bassist Howie Epstein. Schlagzeuger Stan Lynch war zu Beginn auch mit von der Partie, doch die Beziehung hatte sich in Laufe der Jahre immer weiter verschlechtert, weshalb ihn Petty schließlich rauswarf. Als Interimslösung deluxe setzte sich Ringo Starr von den Beatles ans Instrument, bis die Heartbreakers mit Steve Ferrone ein Ersatz fanden, der bis zu Pettys Tod 2017 bei ihnen blieb.
So kam es zur interessanten Situation, dass Petty mit seinen treuen Heartbreakers ein Album aufnahm, das nur unter seinem eigenen Namen erschien. Kettenrauchend saßen sie im Studio, hörten sich die Demos an und werkelten an ihnen herum, begleitet von einer Filmcrew. Das Material verschwand im Archiv, bis sich Pettys Tochter Adria mithilfe von Gitarrist Campbell an die Aufarbeitung machte, ergänzt durch Livematerial, älteren privaten Aufnahmen und Interviews mit den Beteiligten.
Die Beastie Boys fallen aus ihren Limousinen
Regisseurin Mary Wharton (die bereits "Elvis Lives!" oder "The Beatles Revolution" gedreht hat) machte daraus diesen Film. Wer das Album kennt und liebt, wird ihn mögen. Die Geschichte der Platte ist bereits bei der Veröffentlichung von "Wildflowers & All The Rest" in aller Ausführlichkeit beleuchtet worden, doch ist es schön, Bilder und Stimmen dazu zu erleben. Zu kleinen Überraschungen wie die Beastie Boys, die vor einem Auftritt ein paar Augenblicke lang aus ihrer Limousine purzeln, gesellt sich die eine oder andere Erkenntnis. Etwa, als Rubin erzählt, dass "Wildflowers" ein ganz simpler Song sei, in dem aber eine ganze Menge passiere, damit er interessant bleibt. Das gilt im Prinzip für gesamte Album, das auch seine durchaus rockigen Momente hat.
Der Film dagegen hat ein paar Längen. Die Aufnahme der orchestralen Passagen spielt eine zu große Rolle, auch hätte es nicht geschadet, Pettys Karriere etwas ausführliche zu betrachten, sowohl vor und nach "Wildflowers". Dafür beschönigt Tochter Adria die familiäre Situation zu diesem Zeitpunkt nicht. Sie ist voller Liebe für ihren Vater, der konzentriert arbeitet, aber einen melancholischen Eindruck macht und in einigen Stücken seine Ehe thematisiert, die zu jenem Zeitpunkt in die Brüche ging. Eine hagere Gestalt mit schütterem Haar, der man das Gewicht ansieht, das auf ihren Schultern lastet.
"Somewhere You Feel Free" ist letztlich eine persönliche Liebeserklärung. Und ein schönes Geschenk zum 71. Geburtstag, den Petty am 20. Oktober 2021 gefeiert hätte - der Tag, an dem dieser Film weltweit ins Kino kommt. Tickets gibt es hier.
Noch keine Kommentare