laut.de-Kritik
Farbe und Textur, nicht mehr und nicht weniger.
Review von Yannik GölzEs fällt schwer, "V" von Papir ein konkretes Genre zu unterstellen. Auch wenn die Dänen sich selbst als Psych-Rocker bezeichnen, fühlt sich Stimmung und Atmosphäre des inzwischen fünften Albums des Trios eher nach einem weitläufigen Post Rock-Release an. Elemente, die im aktuellen Stadium der experimentellen Rockmusik fließen und zusammenlaufen und dennoch der Sache oft nicht ganz gerecht werden.
Fußend auf dem detaillierten, nuancenreichen Perkussionsspiel von Christoffer Brøchmann erzeugen Nicklas Sørensen und Christian Becher Clausen mit zwei Gitarren ein Klangsspiel, das gleichzeitig weitläufig und verloren anmutet – und dennoch in einer fixen, fluiden Rhythmusarbeit verankert ist, die man durchaus als Anlehnung an Kraut Rock-Acts wie Neu! Oder Can verstehen kann.
Generell fühlt man sich immer wieder zum Versuch verleitet, "V" eine Schublade zuzuordnen, aus der sich die Klänge orientieren könnten. Die Band selbst sagt Psych und Kraut, Fans sagen Prog oder Post Rock, manche Kritiker sagen Jazz Fusion und Prog. Und all das mag gewissermaßen auch nicht falsch und schlecht sein, dennoch zeugt all das Vergleichen nur von einer gewissen Hilflosigkeit im Umgang mit diesem Album:
"V" strebt die komplette Formlosigkeit an. Kein Albumtitel, keine Tracktitel, keine Lyrics, das Albumartwork basiert lediglich auf Farbe und Textur. Farbe und Textur, das ist am Ende des Tages vielleicht auch alles, worauf man hier achten sollte. Denn die Musik bewegt sich unaufdringlich komplex, schwingt sich in leisen Tönen über die lange Spieldauer immer wieder in energetischere Passagen auf und emuliert so einen Puls, den man weniger beschreiben als erfahren könnte.
Wie Wellen, die sich aufbauschen und abflachen, flacht auch dieses Album auf und ab, wobei die Spannung allein durch das virtuose Schlagzeug aufrecht erhalten wird, das zwischen an Kraftwerk erinnernden, treibenden Grooves auf "V.I" oder jazziger Arbeit mit Cymbals und Toms auf "V.IV" oszilliert, immerzu kleine Haken und Wendungen im Ryhtmus schlägt und das Fundament legt, auf dem die Platte niemals langweilig zu werden scheint.
Dem angepasst geben sich Gitarre und Bass die Klinke in die Hand, um die Farbe auf das Papier zu bringen. Oftmals entfalten sich Melodieläufe langsam und schleichend, da die Motive Hand in Hand verwoben ineinander übergehen. Das hält nicht von brechenden, herausragenden Momenten wie dem Solo auf "V.II" ab, in denen das psychedelische Strumming kurz die Führung in die Hand nimmt, durchbrennt und auf der verbrannten Erde einen neuen Groove entstehen lässt.
Diese Oszillation zwischen Melodie- und Ryhtmus-Fokus sorgt für ein instrumentales Rock-Album, das sich auch ohne nähere Genre-Definition unglaublich lebhaft, vital und dynamisch anfühlt. Hinter einer oberflächlichen Gleichförmigkeit verbergen sich Unmengen an musikalischen Ideen, für die die Musiker sich allerdings genug Rückendeckung geben, so dass sie im Spielfluss niemals aus dem großen Puls gestoßen werden.
Papir machen Farbe und Textur, nicht mehr und nicht weniger. Psychedelic-, Progressive-, Kraut oder Post Rock hin oder her, Shoegaze, Jazz Fusion, IDM oder was auch immer es jetzt genau beeinflusst hat. Die Vielseitigkeit der musikalischen Inspirationen wird deutlich genug, als dass man "V" nun im Nachhinein eine Schublade verpassen könnte, die einen dynamischen Schaffensprozess nicht irgendwie subvertieren würde. Für alle Fans von instrumentaler, weitläufiger und realitätsentfremdender Musik sollte Papir definitiv einen Abstecher wert sein. "V" bedarf nämlich keiner näheren Bezeichnung.
Noch keine Kommentare