laut.de-Kritik

Lemmy sitzt auf einer Wolke aus Kippenqualm und hebt das Glas.

Review von

Phil Campbell rockte 30 Jahre an der Seite des scheinbar unkaputtbaren und doch 2015 verblichenen Lemmy Kilmister bei Motörhead. Der bodenständige Gitarrist aus Wales zockte stramm seine Riffs und Blues-getränkten Soli.

Im Gegensatz zu exaltierten Axemen wie Michael Schenker oder Steve Vai zeichnete er sich durch Zuverlässigkeit und Loyalität aus. Erst nach dem Split drängte er in die Öffentlichkeit. Sowohl mit seinen drei Söhnen ("The Age Of Absurdity") als auch auf seinem Solo-Debüt agiert er jedoch wie selbstverständlich im Hintergrund - mit dem Unterschied, dass sein Konterfei nun die Platten ziert.

Gerade "Old Lions Still Roar" offenbart eine immense Bandbreite, die weit über den Hardrock- oder Rock'n'Roll-Tellerrand hinaus reicht. Gleich der Opener "Rocking Chair" zieht den Hörer tief in den Sessel mit Bezug aus Leder (Carnivore) oder Hanf (Veganer). Mit feuchten Augen blickt dieser auf das Motörhead-Erbe, während durch den Akustik-Blues die Melancholie im Körper gedeiht. Ein tolles, gefühlvolles Stück fern ab von aufgerissenen Marshall-Amps und Pentatonik-Gegniedel, von dem es zum Glück wenig auf der Platte gibt.

Campbell weiß um seine Stärken in Sachen Songwriting und Dynamik und überlässt wie bei seiner Ex-Formation einem Fronter die Bühne. Nach dem unbekannten, aus dem Dunstkreis eines seiner Söhne stammenden Leon Stanford, rauchen die Motoren und Mr Metal God höchstpersönlich übernimmt das Mic. Judas Priest-Fronter Rob Halford veredelt "Straight Up", das bei aller Pferdestärke leider ohne nennenswerten Chorus ins Ziel zuckelt.

Orange Goblin leiht Ben Ward für das düster dräuende "Faith In Fire" aus, das im C-Teil okkulte Fahrt aufnimmt. Das erste Highlight hört auf den beschwingten Titel "Swing It". Ein gewisser Vincent Furnier schwingt im Titty Twister den Mikrofon-Ständer. Who the fuck is Vincent? Natürlich Alice Cooper. Lemmy sitzt auf einer Wolke aus Zigarettenqualm und hebt die Whiskey-Flasche.

Die an Whitesnake oder Van Halen mit Sammy Hagar orientierte Ballade "Left For Dead" tut keinem weh und dient zum Kopf wegnicken. Das mit tiefem Tuning arbeitende "Walk The Talk" featuret Nick Oliveri und Danko Jones, zwei Querköpfe für ein abwechslungsreiches Rock-Halleluja.

"These Old Boots" präsentiert die personifizierte Twisted Sister, Dee Snider. Glam n dirty, mit Kuhglocke, donnernden Mickey Dee Gedächtnis-Drums und Hairspray-Hook hätte diese Nummer Mitte der Achtziger für Furore gesorgt. Mötley Crüe-Knochen Mick Mars spendiert noch ein abgespacetes Solo.

Ugly Kid Whitfield Crane gibt auf "Dancing Dogs" ein wenig den Ozzy, bevor "Dead Roses" und der Satriani-Jam "Tears From A Glass Eye" die Platte besinnlich beschließen. Diese Klassentreffen beschert gemeinsam mit Schenkers "Revelation" der Gemeinde einen zünftigen Hardrock-Herbst und konserviert die rockige Vergangenheit in souveräner Weise.

Trackliste

  1. 1. Rocking chair
  2. 2. Straight up
  3. 3. Faith in fire
  4. 4. Swing it
  5. 5. Left for dead
  6. 6. Walk the talk
  7. 7. These old boots
  8. 8. Dancing dogs (Love survives)
  9. 9. Dead roses
  10. 10. Tears from a glass eye

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