laut.de-Kritik
Die Dampfwalze weicht dem Skalpell.
Review von Alexander CordasWas soll man über diesen Mann und seine Musik noch sagen? Versuche, das Werk des Herrn Wilson zu greifen und mit Worten in einen Zusammenhang zu setzen, scheitern immer wieder an der Vielfalt, die er sowohl mit seiner Hauptband als auch mit zahlreichen Nebenprojekten auf die Menschheit loslässt. Man muss dabei nicht alles toll finden, das der Gute sich zurecht fummelt, aber eines kann und darf man nicht unter den Tisch kehren: Steven Wilson ist einer der produktivsten Musiker, die derzeit Rockmusik betreiben.
Dass dabei die Kreativität nicht hintan bleibt, ist der eigentlich interessante Fakt. Wenn justament zur Veröffentlichung von "The Incident" wieder die Vergleichs-Orgie mit früheren Releases losgeht, streitet sich der Großteil eigentlich nur um Details. Dass Wilson Songs schreiben kann, bestreitet kaum jemand. "The Incident" macht keine Ausnahme.
Ein Doppelalbum haben sich die Briten diesmal ausgedacht. Die erste Disc füllt ein einziger Song-Zyklus aus, der vierzehn Teile umfasst. Den zweiten Part bilden vier Songs, die eher straight zur Sache gehen und nicht zum Rest passen wollten. Thematisch orientiert sich das Song-Monster an Ereignissen, die für das Leben von Menschen prägend sind: ein Verkehrsunfall, sexueller Missbrauch, Geburt, Tod, etc. Ob man deshalb die vier zusätzlichen Songs separat aufführen musste? Wer weiß.
Die größte Neuerung im Sound dürfte die Abkehr vom rein Metallischen sein. Paranoide Kühle, nach innen gerichtete Selbstzerstörung weicht einer luftigeren Atmosphäre. Optimismus sieht zwar nach wie vor anders aus, aber man rechnet bei Wilson nicht ernsthaft mit einem Happy Hippo-Song. Die Dampfwalze weicht dem Skalpell. So sezieren Porcupine Tree eher, als sie mit dem Hackebeil unterwegs sind.
"The Incident" besteht aus sechs Songs, die man von der Spielzeit her als solche bezeichnen kann. Acht weitere kürzere Stücke oder Fragmente ergänzen den Reigen. Wobei die Diskussion über Song oder nicht Song relativ witzlos daher kommt, denn der Zyklus befindet sich im steten Fluss und ist hervorragend in einem Rutsch genießbar.
Das zentrale Stück "Time Flies" sticht dennoch hervor. Zum einen weil Wilson fast weinerlich pathetisch ob der dahin rauschenden Jahre seines Lebens wirkt. Zum anderen kommen wieder einmal grandios tönende "Trains"-Akustikgitarren zum Einsatz. Zusammen ergeben die Ingredienzen einen wahrlich großen Songmoment. Schön hier: die einfühlsame Keyboardarbeit Richard Barbieris.
Die lockere Luftigkeit, die man hier hört, bildet jedoch nur einen kleinen Aspekt eines Albums, das viele Aufs und Abs in der Stimmungskurve kennzeichnen. Das bösartige Knurren von Gitarren ("The Incident") darf natürlich nicht fehlen, ist aber eben nur ein Bruchteil eines atmosphärischen Bauwerks, bestehend aus vielen kleinen Steinchen.
"Flicker" eröffnet mit sanft tönenden Klangdimensionen und einem wunderschönen mehrstimmigen Gesang die zweite Disc. "Bonnie The Cat" klingt wie ein verschollener Song der "Nil Recurring"-Sessions, während "Black Dahlia" Floydeske Momente aufleben lässt und melodisch im krassen Gegensatz zum Songthema um den Mord an Elizabeth Short steht. Ähnlich getragen schließt "Remember Me Lover" das Opus ab.
Am Ende steht wieder einmal erstklassige Musik auf der Habenseite. Stimmung, Sound und Songstrukturen bilden eine geschmackvolle Schnittmenge. Deshalb dürfte das Album vor allem diejenigen ansprechen, denen die letzten Outputs von der musikalischen Stoßrichtung her zu eindimensional waren. Düster, aber nicht nur, melancholisch, gleichzeitig auch hell und erfrischend, vertrackt und eingängig zugleich: Das alles vereint "The Incident". Progressivität und Songdienlichkeit müssen sich nicht ausschließen, was Wilson einmal mehr eindrucksvoll beweist.
160 Kommentare
mal hochschieben, noch zwei Tage zum release. wetten dürfen angenommen werden, ob alex diesmal pünktlicher als bei imogen ist.
http://forum.laut.de/viewtopic.php?t=70127…
gnah, warum wurde mir denn der in der suche weiter oben angezeigt?
/kill thread
edit: weil ich nicht unter bands und artists geschaut habe. ja schulligung, dann soll einer den großen thread hierhin verschieben oder das hier der review-thread sein. mir egal.
Habe ich doch auf der letzen Seite schon geschrieben.
Ich glaube Olsens ist die RE-RE-Release Variante, da ich meinte die Lightbulb Sun wäre die letzte gewesen, die aufgrund geringem Angebot nachgepresst werden musste.
Demnach muss es von der Stupid Dream schonmal ein RE-Release gegeben haben.
Achja: Guelei, das wichtigste daran ist wohl, dass die Originale schlicht und einfach vergriffen waren.
Edit: Ja, Original RE-Release war 2006.
Die Frage ist nun, ob das wirklich nochmal wiederveröffentlicht wurde oder das "erschienen am" bei cd-wow nur heißt "in den Katalog aufgenommen am"?!
@Vicious! (« Die Frage ist nun, ob das wirklich nochmal wiederveröffentlicht wurde oder das "erschienen am" bei cd-wow nur heißt "in den Katalog aufgenommen am"?! »):
Ich hab die CD mal geschwind aus dem Regal gefischt. Drauf steht "(P) 2008 Transmission Recordings", aber dann auch 2006.