laut.de-Kritik

Lebensweisheiten aus der Designerwohnung.

Review von

Es gibt wenige Dinge, über die man sich im modernen Deutschrap-Diskurs so einig ist, wie der Circlejerk um Prinz Pis fortwährende musikalische Selbstdemontage vom Underground-Darling zum spießbürgerlichen Hip Hop-Dandy. Nicht einfach nur, weil der Mann schlechte Musik macht, sondern weil scheinbar ganz Deutschland weiß, dass er es besser kann. Mit der ersten Single, mit der Friedrich Kautz sein achtzehntes Album ankündigte, rief er das seinen Fans nach jahrelangem musikalischen Däumchen-Drehen schlagartig wieder in Erinnerung. "1995" trotze der Fremdscham, die die "Real Rap Music"-Warnung zu Beginn des Videos auslöste, und lieferte einen soliden, teils sogar berührenden Storyteller, der sofort zu dem Besten zählte, was der Berliner Rapper in den letzten Jahren veröffentlichte.

Und tatsächlich spiegelt sich dieser Hunger auch auf dem Album wider. Es klingt so, als hätte Pi sich wieder etwas zu beweisen. Die Gangster-Maskerade und Eigenheim-Lovesongs seiner letzen Alben weichen einem sozialkritischen Grundtenor. Pi rappt wieder nicht nur um des Rappens Willen, sondern weil er auch tatsächlich etwas zu sagen hat. Eben darin, so löblich seine Intentionen an manchen Stellen auch sein mögen, liegt jedoch auch eines der größten Probleme des Albums. Ließ sich seine Lebensrealität schon längst nicht mehr mit seinem Porno-Alias vereinen, so bleibt Kautz' Musik auch auf "ADHS" voller Widersprüche.

Die Album-Promo, die der Berliner "ADHS" voraus schickte, spiegelte gleichermaßen, wie tief der Kopf des Mannes mittlerweile in seinem eigenen Arsch steckt, als auch mit welcher kindlichen Begeisterung er nach wie vor dem Musikmachen gegenübertritt. Da tritt er einerseits in einem Video minutiös die Metaphorik seines Cover-Artworks breit und klingt dabei wie ein Zehntklässler, der versucht, seine Gedichtsanalyse auf die geforderte Wortanzahl zu strecken, investiert andererseits aber tausende Euro in High-End Audio-Equipment, nur um den Sound seines Albums auf die höchstmögliche Qualität zu bringen. Ein Investment, das letzten Endes mehr dem Nerd in ihm dient, als dem Konsumenten seiner Musik, die das Album über Billig-Bluetooth-Boxen am Badesee pumpen.

Wobei sich selbst ohne High-End Stereo daheim sagen lässt, dass man dem Album seine hochwertige Produktion durchaus anhört. Die Beats klingen unglaublich crisp, der Mix gehört zu den saubersten und am besten abgemischten der jüngeren (deutschen) Vergangenheit. Auch, aber nicht nur deshalb gefallen eine Vielzahl der Instrumentals, derer Pi sich hier bedient. Biztram & Daju produzieren zwar weitestgehend gemäß denselben nicht besonders experimentierfreudigen Pop Rap-Maßstäben, die man von Pi aus den letzten Jahren gewohnt ist, halten aber durch die Bank ein hohes Level an Qualität. "Puff Puff Pass I" klingt schön oldschoolig, "Telegrammgruppe" unterstützt den deprimierenden Inhalt mit düsteren Synths und unheilvoll grummelndem Bass, und ein geschmackvoll implementierter Chor macht "Pantone 13-1520" zu einem echten instrumentalen Hingucker. Einzig die boomenden Trap 808s die sich besonders auf dem Titeltrack aggressiv ins Klangbild drängen, wirken nach wie vor wie ein Fremdkörper im Kautzschen Kosmos.

Ähnliches lässt sich auch über die eher skurrile Auswahl der geladenen Gäste sagen. Straßenrapperin Liz wirkt im Kontext des gesamten Albums vollkommen fehl am Platz und entführt Pi für wenige Minuten wieder einmal in den völlig falschen Film. 1986zig, der hier den etwas weniger uncoolen Mark Forster gibt, macht den ohnehin schwächsten Song der LP zu einer absoluten Vollkatastrophe. Und auf den Tracks mit Wavvyboy und Sierra Kidd, deren Hooks noch absolute Höhepunkte in der Tracklist markieren, biedert sich wiederum Pi so sehr deren Sound an, dass er sich völlig außerhalb seines Elements bewegt.

Im Grunde müsste man also froh sein, dass der West-Berliner einen Großteil seines neuen Albums auf seinen alleinigen Schultern trägt. Doch gerade dadurch offenbart sich die Unschärfe dessen, was Pi im Verlauf der LP anprangert. Im Opener rappt er noch "Ja, ich weiß, meine Weisheiten sind Kalendersprüche / Dann sag was Schlaueres, ich hör' nichts, was ich ändern müsste". Doch nur weil er dieser zuvor oft geübte Kritik an seinen Texten einen halbgaren Konter entgegenbringt, setzt er sie damit nicht automatisch außer Kraft. Denn auch "ADHS" hält wieder eine Vielzahl von Songs bereit, auf denen uns Friedrich Kautz die Welt erklären möchte.

Auf "ADHS" fasst er den Zustand eben dieser mit den profunden Worten: "Wie sollen wir das Lachen nicht verlier'n, bei den Sachen die passieren?" ein. Er nennt diese 'Sachen' zwar im weiteren Verlauf des Albums durchaus beim Namen, dringt jedoch nie zu einer wirklich gehaltvollen Schlussfolgerung durch, die das Offensichtliche übersteigt. Eine wirkliche Fallhöhe gibt es nicht, ebenso wenig wie Metaphern. Pi sagt das, was wir eh alle denken, auf die direkteste und platteste Art und Weise, verkauft es aber als die größte Offenbarung seit geschnitten Brot.

Auf "Telegrammgruppe" etwa arbeitet er sich über mehrere Minuten an gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten ab. Er hangelt sich von einem Klischee ins nächste, rappt über pädophile Priester, rassistische Richter und rechte Idioten, die 'ja keine Nazis, aber ...' sind. Durch die Art, wie er den Song strukturiert, entwickelt er über mehrere Minuten die Erwartungshaltung nach einer finalen Klimax, die das Gesagte in irgendeiner Weise subvertiert oder konterkariert. Sein finaler Zuspruch für Klimaschützer, den er den restlichen Inhalten gegenüberstellt, wirkt jedoch wie der zahnloseste Versuch eines Mic Drops, den man sich auf einem Song wie diesem vorstellen kann.

Selbst wenn er sich, wie mit der Vererbung von Nazi-Reichtum auf "Reich", eines Themas annimmt, das ein wenig tiefer geht und mehr Reibungsfläche bietet, untergräbt er sein hier stellenweise sogar ziemlich cleveres Songwriting mit unsagbar dummen Lines wie "Junge Frau'n aus Osteuropa, die putzen ihn'n ihr Klo /Junge Frau'n aus Osteuropa fickt ihr Mann gern in den Po". Darüber würde man selbst mit den Augen rollen, wenn es aus dem Munde von K.I.Z. kommen würde.

Das Problem ist nicht, dass sich Pi solchen Inhalten widmet, das Problem liegt darin, mit welcher Bedeutungsschwere er das tut. Er sieht sich selbst nicht als einer dieser Rapper, die Lieder über "Uhren und Autos und Sex" machen, sondern als einer, der über "Liebe und Schmerz" rappt und "tiefe Gespräche am See" führt. So gern er diese Attitüde nach Außen trägt, so wenig liefert "ADHS" an Substanz, um sie zu untermauern. Glaubt man diesem Album, so dürften jene Gespräche ungefähr so verlaufen:

"Schon krass, wenn man drüber nachdenkt, in Afrika haben die nichts zu essen und wir chillen hier mit unseren neuen Jacken von Hugo Boss.
Ja, total. Die Menschheit wird wirklich am Kapitalismus zugrunde gehen. Hast du mitbekommen, Banksy war in der Ukraine und hat da wieder gesprayt. Voll mutig. Ich kann mir nicht vorstellen, was die da durchmachen müssen. By the way, gestern kam endlich meine personalisierte Espresso-Machine, komm morgen mal vorbei, dann zeig ich dir mal wie man 'nen richtig Kaffee macht.
"

Hinzu kommt, dass seine Sozialkritik eine bisweilen fast schon komische Ambivalenz durchzieht. Nicht nur zwischen dem Mensch Friedrich Kautz, der abertausende Euro für ein Heimstudio oder Kaffeemaschinen ausgibt und darüber rappt, wie scheiße er den Kapitalismus findet, auch sein lyrisches Ich scheint isoliert auf jedem der vierzehn Songs zu existieren. Auf dem Intro kritisiert er noch seine eigene Wertvorstellung als Jugendlicher ("Ich war so arm, ich hab' Marken gebraucht für Selbstvertrauen / Auf solche Krücken lohnt es sich nicht, seine Welt zu bau'n") nur um wenig später seine Konkurrenz mit Carhartt-Hoodie und Supreme-Jacke im "pistaziengrünen Mercedes 300 SL Flügeltürer" zu überholen. So geht Utilitarismus.

Trotz all dem muss man dem Album zugutehalten, dass es im Gegensatz zu Pis letzten Alben überhaupt wieder eine gewisse Substanz mitbringt. Und sieht man einmal von der lyrischen Steinen ab, die einem der Berliner immer wieder in den Weg legt, dann muss man konstatieren, dass man ihn schon lange nicht mehr so gut hat rappen hören, zumindest auf einem rein technischen Niveau. Die Zeiten, in denen er Sozialkritik mit cleverem Storytelling verband, mögen vorbei sein, doch die Momente, in denen er über seinen eigenen Werdegang reflektiert, lassen die Qualität von einst dennoch wieder für kurze Zeit aufflammen.

Neben dem bereits erwähnten "1995", das auch im Vergleich mit dem Rest des Albums meilenweit über allem steht, sorgen auch der Opener "S1E1" sowie der Doppelschlag aus "Puff Puff Pass I" und II für reflektierte und musikalisch gelungene Rückblicke in die eigene Jugend. An anderer Stelle kaschieren wirklich starke Instrumentals oder Hooks die lyrische Plattheit von Songs wie "Erste Billion" und "Pantone 13-1520". Selbst die schamlosen Bekenntnisse zum Pop, wie etwa auf "Kleine Stiche", gehen trotz Pis oft etwas deplatzierter Präsenz dank starker Feature-Beiträge ziemlich stimmig über die Bühne.

Es finden sich zwar mit Songs wie "Angst", "Detox" oder "WinAmp" durchaus Momente, die an die dunkelsten Kapitel seines jüngsten kreativen Schaffens erinnern, doch dafür auch ebenso viele Lichtblicke, die der Diskrepanz zwischen Künstler und Mensch zum Trotz in Ansätzen an die Glanzzeit von einst erinnern.

Obwohl nach wie vor so gut wie niemand so klingt wie er und nur wenig Material auf "ADHS" dem Prädikat "durchschnittlich" gerecht wird, kommt Friedrich Kautz in Summe mit diesem Album tatsächlich wieder da an, wo man ihn schon fast zu vermissen begann: In der Mittelmäßigkeit. Das ist in diesem Fall ein Kompliment. Willkommen zurück!

Trackliste

  1. 1. S1E1
  2. 2. Angst
  3. 3. Telegrammgruppe
  4. 4. ADHS (feat. Sierra Kidd)
  5. 5. Zu Viel
  6. 6. Puff Puff Pass I
  7. 7. Puff Puss Pass II
  8. 8. Erste Billion
  9. 9. Kleine Stiche (feat. Wavvyboy & Edo Saiya)
  10. 10. Pantone 13-1520
  11. 11. Reich
  12. 12. WinAmp (feat. Liz)
  13. 13. Detox
  14. 14. 1995

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18 Kommentare mit 29 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Ich liebe die echte Welt. Man kann sie fühlen, riechen, schmecken. Die Sonne ist in Berlin noch seltener anzutreffen als die hier geborenen Einheimischen, die "echten Berliner". Aber kommt sie mal raus, dann schiebt sie weiche Strahlen in den letzten Winkel der engen Straßen in Kreuzberg und legt sich auf deinen Arm, wenn du im Cafe sitzt. Auf dem Wannsee greift sie flach an und haut dir ihre rote Hand auf deinen Körper, wenn du unvorsichtig sonnenbadest.
    (...)
    Die Farben hier in der echten Welt werden gemischt und sind nicht als bloße Grundtöne Rot,
    Gelb, Blau da. Menschen sind eine Melange. Mischwesen. Die Myriaden Rotbrauntöne im
    Spektrum weisen auf eine Schöpfung der Reichhaltigkeit, eine Welt ohne Pragmatismus.
    Verschwenderisch ist sie, die Natur.
    (...)
    Der Gegenpol zu dieser echten Welt, ist das Internet, das Digitale. Hier ist alles in extremo.
    Im Internet ist die Welt schwarzweißer, gerasterter. Negativer und hasserfüllter. Das liegt an
    einem einfachen Mechanismus: Spott, Hass, Ironie, Satire, Häme verbreiten sich viel besser
    als gleichströmende Nettigkeiten. Besser als Zufriedenheit, als Frieden. Positive Sachen sind
    kaum Nachrichten wert: Wenn interessiert ein tägliches Statusupdate, das etwa lauten würde:
    „Ja, auch heute geht es mir gut. Ja, auch heute ist meine Beziehung erfüllend und schön.
    Ja, ich bin noch immer zufrieden und werde es auch morgen sein."

    • Vor einem Jahr

      In der echten Welt begegnen dir die Menschen als Gestalt, mal unsicher, mal vor Kampfeslust
      umherwippend auf gefälschten Nikes, mal rosig und schreiend aus einem Kinderwagen
      heraus. Tritt man auf sie zu, relativiert sich das Bild. Es korrigiert sich öfter, als dass sich ein
      erster Eindruck bestätigt und verhärtet. Die übrigen Sinneseindrücke korrigieren den
      Imperativ des Visuellen, den wir als im Jahrhundert der Bilder Geborene ungweigerlich mit
      uns tragen. Wir können nichts dagegen machen: Wir urteilen mit den Augen.

  • Vor einem Jahr

    „Donnerwetter“ bleibt sein Opus magnum.

    • Vor einem Jahr

      Wäre für mich auf Platz 2 hinter TMHS2.

    • Vor einem Jahr

      Ja, TMHS2 ist natürlich auch groß.

      Rezi beschreibt das aktuelle Album schon sehr gut: Kein Müll, aber leider nur Mittelmaß. Keine Liebe, keine Phantasie mehr. Stellenweise rappt er so langweilig wie Sido.

    • Vor einem Jahr

      TMHS2 müsste ich ich mal wieder hören. Donnerwetter habe ich früher geliebt, aber wie fast jedes Nullerjahre-Deutschrapalbum ist das musikalisch nicht so gut gealtert. Ich fürchte mittlerweile aber auch, dass der niemals so dope war, wie ich mit 17 dachte.

      Ich höre in letzter Zeit ab und wieder das Neopunk Album, weil der Sound sehr gut fürs Training taugt. Schon witzig, was Pi da alles an Lines raushaut, die heute allesamt als schreckliche Verschwörungstheorien gebrandmarkt würden :D

    • Vor einem Jahr

      "Ich fürchte mittlerweile aber auch, dass der niemals so dope war, wie ich mit 17 dachte."

    • Vor einem Jahr

      Donnerwetter ist finde ich ganz gut gealtert, auch auf der Bonus CD sind ein paar Highlights drauf, Wie die Zeit vergeht mit Biztram zB. Und Neopunk scheint wegen dem Misserfolg echt ne Psychose bei ihm ausgelöst zu haben, das gibt es ja nichtmal zu streamen. 3-4 Tracks fand ich, obwohl völlig überproduziert aber trotzdem ganz gut. Kam ja damals seltsamerweise ähnlich wie KIZ gut bei "Genrefremden" an, Gib dem Affen Zucker war ja schon fast sowas wie ein viraler Hit, ich fand's nur peinlich.

      Und ja, damals waren Verschwörungstheorien noch deutlich unterhaltsamer. Handeln auf TMHS2 ist ja so radikal, würde mich schon interessieren wie der Friedrich da heute zu steht. :lol:

    • Vor einem Jahr

      Hab mir Donnerwetter in den letzten Tagen noch ein paar Mal angehört und muss mich korrigieren: Das ist schon echt immer noch ziemlich dope. Ich würde die Songs streichen, bei denen ich das Gefühl habe, es sind mittelgute Anforderungen seiner älteren Songs (Pen Peng Peng, Kette, So viele Fragen), aber die Beats funktionieren noch und textlich war er nie besser. Einige Lines ("Sex and the City erzieht euch zu Huren") sind natürlich cringe.

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Adhs ist Scheiße! Damit meine ich natürlich die Krankheit und das Album.

    • Vor einem Jahr

      Blade - ALLAH!!!!! Ich grüße dich!

    • Vor einem Jahr

      würde jeder zeit all mein borderline, die depressionen, die zwangsstörungen und die angsstörung geben, um wieder das unbeschwerte adhs opfer sein zu können, das ich in meiner mittleren kindheit war

    • Vor einem Jahr

      @ichliebeeuchalle

      Mit Krankheiten flexen geht auch nur im Internet.

      Sei beruhigt, du bist wahrscheinlich immer noch ein Adhs Opfer. Du hast nur wie jeder andere Adhsler noch ein paar Bonus Krankheiten bekommen. Mittlerweile ist auch bekannt, dass Adhs nicht einfach irgendwann verschwindet und der Spaß geht als Erwachsener weiter. Der lebenslange Dopamin Mangel führt zu chronischen Depressionen. Jeder dritte Adhsler leidet unter Phobien und Ängsten.

      Ich bin eher der hyperaktive Adhsler, der bei zu viel Reizüberflutung grundlos seine Hände an der Wand blutig boxt.

      Manchmal ist die extreme Empathielosigkeit aber auch von Vorteil und das Gras aus der Apotheke ist besser als sein Ruf.

      @caps

      Moinseeen