laut.de-Kritik
Viele gute Ansätze, reichlich verschenktes Talent.
Review von Sven Kabelitz"Sing to me of your sadness and tell me of your joy." Mehr als vielversprechend beginnt "Look Around The Corner" mit seinem Titelsong und Minnie Riperton-Anleihen, glitzernd wie das sich in einem frischen Bergbach spiegelnde Licht an einem sonnigen Aprilmorgen. Was soll bei einem solchen Starter und der Paarung Quantic & Alice Russell schiefgehen? "Another day is born, rise up / with the new light of the dawn."
"Here Again" zitiert Anfangs, bewusst oder unbewusst, in Beat und Melodie ein wenig "Willie The Pimp" von Frank Zappa, um diesen Gedanken gleich mit einem Sommerregen aus Flöten von sich zu schütteln. Ein guter Start in ein Album, dessen Release eigentlich nur logisch erscheint. Seit Jahren umschlingen sich die Wege von Quantic und Russell. Seine frühen Aufnahmen wurden zum Sprungbrett für ihre Karriere. Trotz allem hat es jetzt fast zehn Jahre gedauert, bis sie ein ganzes gemeinsames Album fertig gestellt haben. Vielleicht zu lang, denn der Zeitpunkt könnte kaum schlechter gewählt sein.
Veränderungen sind etwas Wertvolles. Ohne sie herrscht Stillstand und Rückschritt. Auf der anderen Seite ist aber nicht jede Veränderung gleichzustellen mit Verbesserung. Quantic hat sich verändert, er strauchelt. Er ist nach Kolumbien gezogen, hat seine Combo Bárbaro gegründet und die Musik seitdem mehr und mehr mit Latin, dem Soundtrack der Straßen von Cali, infiziert.
Wenn man seine letzten Platten und "Look Around The Corner" hört überwiegt der Eindruck, er hat sich dort verlaufen, gar verrannt. Denn sobald man in dem Instrumental "Una Tarde En Mariquita" Russell aus der Gleichung entfernt, bleibt nur ein klischeehaftes Abziehbildchen Kolumbiens. Das hat mit der südamerikanischen Republik so viel zu tun wie die in Beton gegossenen Themenbereiche im Europa-Park mit den eigentlichen Ländern.
Spätestens im zweiten Teil des Longplayers werden die Probleme immer offensichtlicher. Er will viel zu viel und klingt fast unanständig überladen. Raum für Gefühle bleibt nicht mehr. Wenn jede noch so kleine Ecke der Songs noch gefüllt werden muss, erinnert das mehr an einen Zahnarztbesuch als an ein gelungenes Arrangement.
"I'd Cry" steht dafür als bestes Beispiel. Beginnt es Anfangs sehr vielversprechend mit besoffenem Klavier und einem melancholischen Geiger, der schwermütig das Lied der Puszta spielt, kippt der Track mit zunehmender Spieldauer in seine eigene Parodie. Standardtanzkurzbesucher können sich austoben. Klavier und Teufelsgeiger liefern sich ein minutenlanges Gefecht, das zum Ende dermaßen ausufert, dass man das Gefühl nicht los wird, der Muppet Show beizuwohnen.
Den gleichen Verlauf nimmt das zu Beginn viel versprechende "Su Suzy" mit einem abschließenden Elektrofeuerwerk. Großer Kappes. Doch gleich "Boogaloo 33", eine Art Latin-Version von Ernies "Hätt' ich dich heut' erwartet, hätt' ich Kuchen da", setzt dem noch die Sesamstraße-Krone auf. Dagegen steht mit dem kurzweiligen "Similau" eine nachtschwangere südamerikanische Vision eines möglichen Henry Mancini-Soundtracks.
In manchen Momenten schmerzt "Look Around The Corner" nur. Dies liegt nicht einmal nur an der Musik, viel mehr an dem Gedanken, was für Möglichkeiten hier vergeben werden. Es bleibt ein Album mit vielen guten Ansätzen und verschenktem Talent.
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