laut.de-Kritik
Ein Postpunk-Sound wie aus der Kanalisation.
Review von Philipp Kause"Findest du, dass der Song zu lang ist?", fragt Natasha Van Waardenburg von Rats On Rafts, bezüglich ihres Songs übers Schlafwandeln, "Sleepwalking". Absolut gar nicht! Die Dramaturgie des düster twangenden Postpunk-Juwels reiht sich ein in die Konzeptkunst von Rats On Rafts, die vor vier Jahren ein Album mit monströsem Titel veröffentlichten: Für "Excerpts From Chapter 3: The Mind Runs A Net Of Rabbit Paths" musste man erst mal tief Luft holen.
Die Musik gab sich genauso verklausuliert: verquast genug für Bowie-Fans, ein Hü und Hott zwischen Bruchstücken und Monumenten, kurzen und langen, noisigen Freestyles und strukturierten Liedern. "Deep Below", tief drunten, spielt das neue, vierte und im Vergleich zum Vorgänger eher aus einem Guss wirkende Album der holländischen Band.
Zugleich wird die Platte mit ihrer Traurigkeit und den Grautönen unseren ernsten, bisweilen bedrohlichen Zeiten gerecht: "Lustig, dass dieser Bezug so auffällt. Ja, die Zeiten, in denen wir leben, sind schwierig. Die Ideen und Songs, die wir letztlich für das Album ausgewählt haben, sind definitiv ein Spiegel unserer Zeit", meint Natasha, die unter anderem den Bass spielt.
Diese No Future-Stimmung ist die eine Seite von "Deep Below". Zumal es sich anhört, als sei die Platte nicht in einem Studio, sondern bisweilen unter Wasser oder irgendwo in der Kanalisation aufgenommen worden. Rats On Rafts sind eine jener, faszinierenden Underground-Bands, die zwar nach Großbritannien oder New York klingen, aber nicht von dort stammen.
Ratten auf Flößen ist zudem ein passender Name für eine Gruppe aus einer der wichtigsten Hafenstädte Europas, Rotterdam. Die dortige Rock-Szene ist überschaubar. Es gibt lokale Jam- und Cover-Truppen, das Mekka der Musikindustrie liegt sicher woanders. Viele Leute in unserem Bekanntenkreis sind in mal in dieser, mal in jener Band aktiv, dann hören sie wieder auf und fangen etwas Neues an."
Das Quartett ist zwar eine für Postpunk standesgemäß besetzte Einheit aus Schlagzeug, Lead-, Rhythmus- und Bassgitarre. Doch die Musik klingt nach mehr, da flächige Synthesizer-Schleifen einen prägnanten Charakter verleihen. Hier versammeln sich drei Jungs und eine Frau an Instrumenten, die nicht die Regel sind: Teils seltene und antike Synths häuft die Band immer mehr in ihren Proberäumen an.
"Was ihr auf der Platte hört, sind keine Moogs, sondern eine Solina aus den 70ern. Sie imitiert ein Streicherensemble, mein Lieblings-Stringsound", erklärt Natasha. "Das Instrument liebe ich. Ich habe es vor zehn Jahren gekauft und schon im Hintergrund eingesetzt. Man kann schon meinen, dass da echte Streicher am Werk sind. Wenn ich alle Register der Solina öffne, hat sie einen Mega-Power-Sound. Bisher konnte ich den auf keinem anderen Instrument erzeugen. Die Solina hat so eine warme, mehrschichtige, gesättigte Klangfarbe. Auf dieser Platte ist sie der wichtigste Bestandteil. Die Solina inspirierte die ganzen Arrangements auf dem Album."
"Shine On You Crazy Diamond" von Pink Floyd ist wohl der berühmteste Solina-Song, "Oxygene" von Jean Michel Jarre das bedeutendste Album diesbezüglich. Die Wirkung dieses holländischen Hybrids aus Orgel, Cello und Sequencer ist faszinierend, atmosphärisch überwältigend und ein nostalgischer Ritt durchs Erbe von Pere Ubu und Wire während ihrer Metamorphose vom Punk zur Elektronik. Wie in "Hibernation" zu hören, tragen aber auch enervierende Basslines zuweilen die Architektur des alternativen, schroffen und düsteren Klangs, den Rats On Rafts bauen. Hier verschwindet die Stimme von Sänger David Fagan so weit hinter der dunklen Wand des frühen 80er-Retrosounds, dass man kein Wort mehr versteht. Vocals, die ins Leere laufen, zeichnen auch das karge und Industrial-geschwängerte Ruinen-Klangbild von "All These Things".
Gerade in den längeren Songs wie "Japanese Medicine" kann man sich gut verlieren. "Wir stellten uns die Frage: 'Ist es zu lang und zu viel?' Aber wir kürzen auch nichts runter, um es passgerecht für Spotify oder andere Algorithmen zu machen", versichert Van Waardenburg. "The Day Before" schleppt sich zudem im abgebremstem Tempo dahin, als eine Hymne an Lakonie und Resignation, so scheint es.
Die Themen der Platte sind derweil recht alltäglich: Man erinnert sich an Freundschaften aus Teenie-Zeiten, Alben, die das eigene Leben veränderten. Im Opener "Afterworld" gibt es einen "Warten auf Godot"-Effekt, das Warten auf jemand, der sich zur surreal fixen Idee entwickelt, aber niemals eintreffen wird. Solche Eindrücke mischen sich mit einem Lifestyle, bei dem man sich von einer Kippe zur nächsten hangelt, innere Dämonen unterdrückt und einen Weg sucht, Entfremdung in unserer Zivilisation kontrollierbar zu machen. Dazu zählt der ewige Konflikt zwischen der Kunst, der Vision und dem Idealen einerseits und der materiellen Abhängigkeit andererseits. Echte Kreativität ist durchaus ein Armutsrisiko.
"So wie ich im Verkauf arbeite, geht es zum Beispiel auch einer irischen Band, die wir neulich auf einem Festival trafen", erzählt Van Waardenburg. "Das überraschte mich. Manche Leute machen etwas völlig Anderes als Day-to-day-Job, um über die Runden zu kommen. Anspruchsvolle Berufe bewältigt man da aber, denke ich, kaum. Es läuft eher auf eine Routine-Tätigkeit wie Post-Ausliefern hinaus. Eine Notwendigkeit, um sein Essen bezahlen zu können. Manche in der Musik wollen auch gerne etwas mit ihren Händen arbeiten oder draußen, statt in einem Büro zu sitzen. Und wenn ich es aus finanziellen Gründen nicht müsste, würde ich auch lieber meine Zeit mit Hobbys wie Malen oder Kreatives tun verbringen bzw. mehr Musik machen!"
Letzteres wäre für diese Band, die selten releast, eine tolle Sache. Denn wenn sie es tut, kann man sich über Werke voller Reife und Präzision freuen, die emotional berühren und einen mit ihren Theater-haften Stimmungen und Spannungsbögen herausfordern.
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