laut.de-Kritik
Damn, er hatte doch Recht mit seinem seltsamen Ding!
Review von Franz MauererWas für ein Throwback! Wer hätte Roc Marciano das Skillset und das Potenzial für ein Wahnsinnsalbum zugesprochen? Jeder! Wer hätte gedacht, dass er es noch raushauen würde? Wenige. Mit "Marciology" schaffte er aber nahezu die Quadratur des Kreises: Sich keinen Millimeter aus der eigenen Komfortzone herauswagen, wie ein autistischer Gärtner immer weiter seine zwei Quadratmeter Lieblingsrasen bestellen, aber nach ewigem Schleifen dann eben doch noch den Diamanten schneiden, dank dem jeder sagt: Damn, hatte der Typ doch Recht mit seinem seltsamen Ding!
Wie zumeist, produzierte Rakheim Calief Meyer das Album selbst und ließ sich "nur" von Langzeitkumpels The Alchemist und Animoss helfen. Einerseits macht Roc auf "Marciology" das, was er seit "Marcberg" von 2010 versucht: das NY der 90er so detailliert in die Köpfe der Hörer prügeln, bis sie die Straßenkarte Harlems (oder zumindest die Long Islands) blind herunterbeten können. Andererseits kommt auf dieser Scheibe mit Wucht ein Nebel hinzu, der durch alle Ritzen strömt und den der Amerikaner "eerie", also schauerlich, unangenehm-bewegend, nennt.
Dabei erzählt Roc wie gewohnt eigentlich nur von Roc, wie er wahrgenommen werden möchte: Er ist der "Goyard God", er schultert den "Gold Crossbow", kennt als erfolgreicher ("Went Diamond") Gangster ("Killin' Spree", "On The Run", "Floxxx") keine "True Love", und mit "BeBe's Kids" hat er sein eigenes "Child Support" geschrieben. Selbst das "Bad JuJu" der Gegner liegt an deren sozioökonomischen Umständen, nicht an Übernatürlichem. Es geht mehr um das "Wie".
Zum einen läuft Marciano einmal wieder zu sprachlicher Höchstform auf, Lines wie "This shit feel like when Jigga was young / Shit was a dub and then the pendulum swung / Like diamond pendants on a rich thug" auf "Tapeworm", das psychopathische Bedrohen und gleichzeitige Emporheben der Partnerin auf "Higher Self" ("The queen rests her head on my chest to cry / I know you love to ear-hustle / Can't trust if you keep things between us two") bilden ein Sprachgewebe von der Dichte des Netzes einer großen Winkelspinne.
Dazu kommt die nicht minder dichte, dunkle, aber nie abweisende Produktion von "Bad JuJu", "Went Diamond", "LeFlair", "Killin' Spree", "Tapeworm" oder dem Titeltrack, alles Songs, die in ihrem Vibe aus New Orleans stammen könnten, wäre man dort nicht vor vielen Jahren ganz woandershin abgebogen. Poe und Lovecraft wären bestimmt stolz auf ihren Ostküstenbruder im Geiste.
Das alles, kombiniert mit übersouveränen Durchmarsch-Hymnen wie "BeBe's Kids", "Gold Crossbow" oder "Goyard God", in denen NY einem förmlich ins Ohr atmet und Marciano die Krone des 90s-Rap aus ihrer Zeit entreißt und sich mit all seiner Erfahrung ohne ein Zögern selbst auf den Kopf setzt, ergibt ein einzigartiges, völlig aus der Zeit gefallenes Werk.
Kritikpunkte bleiben rar gesät: Roc kennt seinen Flow und beherrscht ihn grandios, zumal er die Produktion und Pausen geschickt einsetzt. Variation ist seine Sache aber nicht, und da hilft es nicht, dass er nur unbekanntere Kumpels neben sich akzeptiert. Die Themen passen zu einem 46-jährigen langjährigen Berufsmusiker auch nur noch bedingt.
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