laut.de-Kritik
Der Unplugged-Botschafter von Stolz und Ehrlichkeit.
Review von Philipp KauseDer Griot Salif Keita begleitet sich entgegen der malischen Tradition nicht an der Kora-Harfe und auch nicht an der Ngoni-Laute, sondern an einer Akustikgitarre. "Selbst in einer Menschenmenge fühle ich mich ohne Gitarre allein", meint der weit gereiste Künstler, einer der berühmtesten Botschafter der Kultur seines Landes.
Um manche seiner vielen Reisen geht es in dem neuen Lied "Tu Vas Me Manquer". Er und die sechs Saiten stellen auch schon fast alles dar, was es für dieses Album braucht, die Acoustic-CD "So Kono". Keïta ist ein Name wie Meier in Bambara, der westafrikanischen Sprache, in welcher der 75-Jährige singt. Sein neues Werk führt uns von Sundiata Keïta, dem in einem Epos die Gründung des Herrschaftsgebiets Mali nachgesagt wird und aus dessen Ahnenschaft Salif stammt, bis in die Jetzt-Zeit. Im Jahr 1240 hat Sundiata sich wohl zum König gekrönt.
Die adlige Herkunft Salifs lastete jedoch eher wie ein Fluch auf ihm. Mit seinem Vater, einem Großgrundbesitzer, zerstritt er sich, da er als fast blindes Kind und als Albino mit einer angeborenen Pigmentstörung aus Sicht des Vaters die Familienehre beschmutzte. Der Teenager Salif sah seine Zuflucht in der Musik, als Lebensunterhalt. Genau das wurde ihm neben seinem anderen Traumberuf Lehrer am wenigsten zugetraut und gestattet - von Inklusion hat man in der Mandinke-Tradition noch nicht so viel gehört. Das Stück "Proud" rechnet damit ab, wie er doppelt diskriminiert wurde, mal als Afrikaner, mal als Albino, immer wieder als "anders": "I'm différent, I'm proud" singt er im Kauderwelsch aus Französisch, Englisch, Mandinka und Bambara in diesem Stück, teils Spoken Word.
Nachdem das Land nach dem Ende des Kolonialsystems wieder hergestellt und um ein riesiges Wüstengebiet nördlich von Timbuktu erweitert war, kam um 1970 die Super Rail Band auf. Sie war quasi die Bordbistro-Band für Reisende erster Klasse, die lange Strecken in der Staatsbahn von Mali zurück legten. Das kleine und über die Grenzen hinaus berühmte Orchester hatte Salif Keïta als ersten Lead-Sänger. Mehrere große Namen, die Ende der 80er oder später internationale Pop-Karriere machten, begannen ihre Karriere dort.
Im Gegensatz zu den aufwändigen Arrangements zu Beginn seiner Laufbahn hört man den Routinier also jetzt recht 'stripped down'. Sowohl für die Leute in seinem Land, die ihn als ewige Größe der Musik dort kennen, als auch fürs europäische Publikum, stellt das einen Einschnitt dar. Worldmusic-Produktionen erweisen sich sonst oft genug als zuckrig, überproduziert und auf eine latente Erwartung zugeschnitten: Dass etwas Lokales und etwas 'Westliches' aus London oder Paris miteinander verschmolzen, fusioniert würden. Davon klingt nun hier nichts an. Der Senior ist sich selbst genug.
Die Mehrzahl der Stücke präsentiert also nur ihn als einzige Person. Bei "Tassi" treten zwei Background-Sängerinnen hinzu. Damit es nicht zu einseitig wird, passiert in den Tracks "Awa", "Chérie" und "Soundiata" noch ein bisschen mehr, und es gibt doch eine Band, die sich aber mit europäischen Instrumenten zurückhält. Ein Cello ist das einzige und kaum heraus zu hören. Die Ngoni wird gezupft, ferner werden Kürbis-Kalebassen mit einem Löffel angeschlagen - bei Minute 3:58 im feministischen "Awa" richtig gut zu hören. Die sanduhrförmige Tama-Trommel mit ihrem tropischen Underwater-Sound verziert drum herum. "Proud" baut dagegen auf die Simbi, einen riesigen Hybrid aus Harfe und Laute mit sieben Saiten, den man nur im Stehen spielen kann.
Ein Markenzeichen Keïtas zeigt sich gern in der Mitte von Liedern, wenn er sich in seiner Geschichte schon warm gespielt hat und sein Saiteninstrument mittlerweile in Trance-Loop wie von selbst zu spielen scheint. Dann, mitten in seiner Story, wird er mit der Stimme abrupt laut, die Aufnahme übersteuert ein bisschen, siehe "Laban" oder "Kanté Manfila". Salif hatte ein Dutzend Geschwister, darunter den älteren Bruder Kanté Manfila, er starb vor Jahren. In einer Band namens Les Ambassadeurs Du Motel De
Bamako hatten die beiden auch zusammen gespielt. Salif vermisst ihn und die gemeinsam durchlebten Zeiten: "Er lehrte mich alles. Er ist weg und hat mich allein mit dieser Nostalgie zurückgelassen."
Passend dazu, dass viele Musik-Fans Unplugged-Aufnahmen fürs ehrlichste Format halten, handelt der Unplugged-Song "Laban" von der Ehrlichkeit in unserer Welt der Arbeitsteilung. Niemand sollte da über dem anderen stehen und Überlegenheit heraus hängen lassen, viel mehr sollten wir uns liebend, achtend und bescheiden begegnen. "Gott hat den Bauern geschaffen, um die Welt zu ernähren. Er schuf den Musiker, um Freude in die Welt zu bringen - es ist alles sein Werk. Gleichermaßen gilt: Wenn du mich liebst, ist es nicht deine Entscheidung - es ist sein Werk." - Nun, Freude hat der Singer/Songwriter die letzten 55 Jahre lang ganz sicher in die Welt gebracht.
Noch keine Kommentare