laut.de-Kritik
Die kanadische Liebeslyrikerin bleibt sich maximal treu.
Review von Philipp KauseSarah McLachlan ist mit ihrer schwingenden und pendelförmigen Art zu singen eine Ausnahmeerscheinung. Wahrscheinlich könnte sie mit ihrer Gesangstechnik auch Shakespeare-Dialoge mit verteilten Stimmen spannend als Songs vertonen, doch wie immer tischt sie auf "Better Broken" ausschließlich eigenes Material auf. Quasi wie immer seit 1988. Seither coverte sie zwei Traditionals und ein Joni Mitchell-Lied, ihr letzter Release war ein Duett mit Josh Groban, die beiden coverten Snow Patrol. Ansonsten tauchte sie ab, während Streamingdienste die Musikwelt übernahmen.
Alanis Morissette oder Tracy Chapman haben trotz ebenfalls langer Release-Pausen bei uns ein anderes Standing. McLachlan ist im Wesentlichen ein Star in ihrer Heimat Kanada, bei uns haperte es mit dem Durchbruch. "Better Broken" wird daran wenig ändern, obwohl es ihre beste Scheibe ist, mit hochkarätig produzierten Geniestreichen wie "Only Way Out Is Through" und unwiderstehlichen Ohrwürmern wie "Rise".
Mit der Platte bleibt sich die Liebeslyrikerin maximal treu. Ihr pathetisch-fragiler Americana-Folkpop hat weiterhin Klasse, doch Zugeständnisse an europäische Ohren oder den Zeitgeist macht sie keine. Chamäleonhafte
sind Neuerfindungen oder herausfordernde Kollabos wie bei Kollegin Sheryl Crow sind nicht ihr Thema und über die Grundpfeiler ihres Genres schaut sie ungerne hinaus.
Mit "Better Broken" könnte man das Foyer einer Buchhandlung beschallen, ohne dass es nerven würde. Die Songs sind eingängig, lieblich, cozy eben. Dagegen steht ein Text wie "One In A Long Line", der von einem Mann handelt, der serienmäßig seinen Bodycount erhöht, ohne Interesse am Innenleben seiner Sexualpartnerinnen zu entfalten. Bezüglich des Feminismus gibt es bei McLachlan mehrere Dimensionen: "Fuck your judgement, your violence", heißt es hier etwa. "Ich möchte, dass meine Töchter India und Taja Sood in Freiheit aufwachsen und will nicht eine von denen sein, die abwartet, bis andere den Mund aufmachen", kommentiert die Künstlerin ihre explizite Wortwahl.
"Ich bin nicht dein Feind - ich stütze dich durch deinen Schmerz hindurch", verspricht sie im autobiographischen "Gravity", einem Song für ihre ältere Tochter, umschmeichelt von Cello, Bratsche, zwei Geigen und Kontrabass. Sämtliche Inhalte haben mit Trost, Zuspruch und (Selbst-) Vertrauen zu tun, mit der Reflexion eigener Fehler und dem Umgang mit diversen Hürden, die guten Absichten dazwischen funken: Geiz, Selbstverleugnung, Lügen, Wut, Konfusion oder Erschöpfung. "All diese Unsicherheiten und Ängste zu kanalisieren, hat sich so kathartisch angefühlt", zeigt sich die Sängerin begeistert über ihren Job. Und dann wäre da noch das Thema, dass Liebe Arbeit bereitet. Und dass gute Kompromisse darin bestehen, dass beide Seiten von ihrem Standpunkt abrücken.
Die Umsetzung reicht von reduziertem Unplugged zu dritt in "Wilderness" bis zu großem Tam-Tam mit riesigem Chor ("If This Is The End ..."), von Banjo bis Pedal-Steel, Celeste bis Orgel, mit tollem Horn in "The Last To Go" und immer wieder gerne mit Kontrabass. Außerdem gibt es natürlich ihr Piano, in das sich Sarah hingebungsvoll eingraben kann.
Sarah McLachlan hat allen Respekt verdient: In den 90ern holte sie neben Suzanne Vega den Folk nach langer Auszeit wieder in den Mainstream. Im Live-Betrieb setzte sie als Festival-Organisatorin Maßstäbe. Viermal initiierte sie das fahrende Festival Lilith Fair zwischen 1997 und 2010 und hievte hunderte Frauen, darunter Missy Elliott und Christina Aguilera, in die rein weiblichen Line-Ups.
Ein längst überfälliger Dokumentarfilm darüber begleitet die Albumveröffentlichung - auf Disney Plus, was bei diesem wichtigen Thema unendlich schade ist. Hätte die 57-Jährige Songs über dieses Thema geschrieben, eventuell mit Protagonistinnen von damals als Gästen, wäre "Better Broken" wahrscheinlich viel mediale Aufmerksamkeit beschieden worden. So ist es einfach nur ein sehr schönes Liederbuch einer kanadischen Songwriterin geworden.
1 Kommentar
"Ihr pathetisch-fragiler Americana-Folkpop"? Wenn man als Rezensent unbedingt eine Schublade braucht, dann bitte eine die passt. Americana ist völlig abwegig. Folkpop, weil sie irgendwann mal Joni Mitchell gecovert hat? Mit Tracy Chapman und Alanis Morissette hat sie auch wenig gemein. Sie ist näher an Peter Gabriels Artpop aus den Achtzigern und glücklicherweise nicht mehr ganz so überzuckert wie zuletzt. Trotzdem ist "Better broken" kein zweites "Surfacing".