laut.de-Kritik

Vom Gipfel ins Tal in nicht mal vierzig Minuten.

Review von

Im Spätsommer 1999 waren Creed in aller Munde. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung ihres Erfolgsdebüts "My Own Prison" schoben die neuen Post-Grunge-Helden aus Florida ihr Zweitwerk "Human Clay" hinterher. Noch heute laufen die Hits dieses Albums ("Higher", "With Arms Wide Open") im Rockradio rauf und runter.

Der pathosgeschwängerte Bombastrock fungiert 25 Jahre später 'nur' noch als Erfolgsformel für die Nachfolgetruppe Alter Bridge. Nun wollen Creed aber noch mal angreifen – erst mit einer US-Tour ("Summer of 99") und dann vielleicht noch mit einem neuen Album. Frontmann Scott Stapp schiebt schon mal vorab einen Fuß in die Tür und präsentiert uns dieser Tage sein viertes Soloalbum.

Los geht's mit dem Titeltrack und wuchtigen Gitarrenwänden, die sich in gewohnter Manier vor einem scheppernden Midtempo-Beat aufplustern. Das kennt man so oder so ähnlich auch von Disturbed, Alter Bridge und all den anderen gerne auch mal in Richtung Industrial schielenden Bombastmetal-Combos unserer Zeit. Der Track knallt und fällt mit der Tür ins Haus – holt den Hörer aber noch nicht so wirklich ab.

"Deadman's Trigger" hat da schon etwas mehr zu bieten. Die härtere Version des "Human Clay"-Klassikers "What If" überzeugt vor allem im Bereich Aufbau und Dynamik. Mit der etwas ruhigeren Nummer "When Love Is Not Enough" legen Scott Stapp und seine Mitstreiter sogar noch eine Schippe drauf. Hier setzt sich auch erstmals der Refrain in den Ohren fest. Vor den Boxen wird der in die Jahre gekommene Creed-Fan immer neugieriger. Bisher macht Scott vieles richtig.

Dann aber biegt der Hauptdarsteller gemeinsam mit seinem Gaststar Yiannis Papadopoulus in Richtung Pop ab ("What I Deserve"). Da hilft auch kein wildes Fusion-Gitarrensolo weiter. Ohne Ecken und Kanten klingt Scott Stapp nur noch wie einer von vielen. Vier Minuten später nimmt der Kitsch Überhand. Zusammen mit Dorothy Water greift Stapp ganz tief in die Balladenkiste ("If These Walls Could Talk"). Das klang früher mit Mark Tremonti an seiner Seite irgendwie spannender – und vor allem tiefer.

Die beeindruckende Mixtur aus Atmosphäre und Epik, die Creed einst so groß werden ließ, findet man auf "Higher Power" nur ganz selten. "You're Not Alone", die zweite Akustiknummer auf dem Album, schunkelt viel zu lieblich arrangiert vor sich hin. Kriegt der Ami, der im Frühjahr 2024 gerne im James-Dean-Look auftritt, zum Ende hin noch die Kurve? Kurz vor Schluss tanzt man beim Regentanz kurz mit ("Dancing In The Rain"). Dann will Scott Stapp aber alles alleine stemmen ("Weight Of The World"). So wiegt die ganze Last der Welt schwer auf seinen Schultern. Mittlerweile ist auch die Melodienkiste leer. Nichts geht mehr. Von der anfänglichen "Power" ist nicht mehr viel zu spüren. Schade eigentlich.

Trackliste

  1. 1. Higher Power
  2. 2. Deadman's Trigger
  3. 3. When Love Is Not Enough
  4. 4. What I Deserve
  5. 5. If These Walls Could Talk
  6. 6. Black Butterfly
  7. 7. Quicksand
  8. 8. You're Not Alone
  9. 9. Dancing In The Rain
  10. 10. Weight Of The World

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