laut.de-Kritik

Unbemerkt an BTS vorbeigezogen?

Review von

Seventeen hat jetzt also den besten Start der K-Pop-Geschichte. Ihr zehntes Mini-Album hat in seiner ersten Woche grob viereinhalb Millionen Tonträger verkauft und zieht damit unbemerkt an BTS vorbei (die allerdings in einem rapide weiter explodierenden K-Pop-Markt eine ganze Weile kein volles Projekt veröffentlicht haben). Trotzdem Grund genug, vielleicht mal einen Blick auf diese Boygroup zu werfen, die eigentlich schon seit 2015 dabei ist, und deren Karriere in acht Jahren immer mehr an Tempo aufgenommen hat.

Die immense dreizehn-Mitglieder-Gruppe hat im Vergleich zu vielen anderen großen K-Pop-Juggernauts eigentlich kein richtiges Alleinstellungsmerkmal, auf jeden Fall kein Gimmick oder keinen Küchenzuruf, der sie hinreichend zusammenfassen ließe. Angefangen mit einem aufgekratzten, fast süßen Sound wirkten sie stellenweise wie das männliche Äquivalent zu Twice. Aber gegen all die 'Very Nice'-Type-Songs haben sie sich inzwischen zu allen möglichen Konzepten hinreißen lassen – wie es auch das klanglich wirklich all over the place liegende "FML" beweist.

Wahrscheinlich ist genau das auch die Stärke der Gruppe: Die aus drei Sub-Units (einen für Vocals, eine für Rap, eine für Performance) zusammengesetzte Struktur ihrer Releases lässt viel Flexibilität zu, aus ihren dreizehn Mitgliedern dürfte auch für jeden etwas dabei sein. Dazu kommt, dass Mitglieder wie Hoshi auch noch am Songwriting beteiligt sind und andere Mitglieder wie Vernon oder Jun ziemlich solide Solo-Debüts abgeliefert haben. Seventeen haben zum BTS-Label HYBE gewechselt und sich damit quasi perfekte Umstände geschaffen, einfach konstant auf der gerade coolen Welle mitzuschwimmen. Sie sind quasi die Everybody's Darlings im K-Pop.

Der einleitende Titeltrack zeigt, warum diese universelle Sympathie verdient ist. "FML" macht hallige, melancholische Selbstbewusstsein-Stärkung, es ist ein überraschend ambitioniert aufgebauter und ruhiger Song, um eine K-Pop-Mini einzuleiten. Aber das Songwriting und vor allem das atmosphärische Sound-Design stimmen, allerhöchstens am Vocal-Mixing könnte man ein bisschen drehen. Das klingt zu anorganisch für einen vermeintlich so persönlichen Song. Wichtiger ist aber, dass der Song als Kontrast und Rampe für den Titeltrack "Super" dient.

Der heißt auf koreanisch "Son Wukong" (der aus der chinesischen Legende, nicht der aus Dragon Ball) und ist wahrscheinlich auf die gigantische Choreo im Musikvideo ausgelegt. Mit einem ganzen Bataillon an Extra-Tänzer sieht das aus wie eine hochchoreographierte Kong-Fu-Extravaganza. Der Song ist entsprechend temporeich und intensiv, er wirkt ein bisschen wie eine Mischung aus "On" von BTS und "Thounderous" von den Stray Kids – nur, dass hier der markante Moment im Song fehlt, der einen starken Chorus aus dem coolen Sound holt. Die Hook in "Super" scheint leider eher das Musikvideo zu sein – und das gängelt diese Mini leider doch, die einen starken Titeltrack durchaus hätte brauchen können.

Das Ding ist: Der Rest der Songs von "FML" pendelt zwischen solide und gut, aber es schwankt so hektisch zwischen allen möglichen Polen, dass sich wirklich kein richtiger Höreindruck zusammenkommt. Das melodramatische "I Don't Understand But I Love U" dockt noch am ehesten am Intro an und fährt wahrlich steamy E-Gitarren auf, auch, wenn die Melodien dem Pathos der Produktion dann nicht ganz entsprechen. Der Closer "April Shower" geht vielleicht als der beste Song hervor, einfach nur, weil die 80s-Produktion hier schön melancholisch und klanglich fantastisch an den bodenständigen Charakter der Gruppe andockt. Es wirkt ein wenig wie die langsamere Version von dem früheren Titeltrack "Ready To Love".

Wenig hängen bleibt die viel generischere 80s-Pastiche "Dust", die nach vier Jahren Nonstop-Disco-Beschallung einfach keinen Hund hinter dem Ofen hervorholt. Auch die Rap-Jam "Fire" wirkt ein bisschen blutleer, so solide sie handwerklich auch sein mag. Vielleicht ist es die etwas schräge Platzierung in der Tracklist, die sie zurückhält. Am Ende des Hörens bleibt der Eindruck, der schon manchmal bei Seventeen-Minis entstanden ist: Die Einzelteile rangieren von solide bis teils wirklich großartig, aber dreizehn Dudes, drei Units, das sind eine Menge Einzelteile, die präsentiert werden wollen. Ist ein Mini-Album überhaupt das richtige Format für diese Gruppe?

Nun ja – gekauft wird es anscheinend trotzdem. Es hinterlässt doch noch einmal die Frage – warum ist es Seventeen, die in der vierten K-Pop-Generation auf einmal diesen immensen Aufwind erfahren haben? Die Musik ist gut, aber ist sie so herausragend besser als die der Konkurrenz? Die sinnvollste Antwort scheint, dass wir es in der aktuellen K-Pop-Ära mit einer größeren Spezialisierung von Gruppen zu tun haben. Acts wie NCT oder Stray Kids haben einen deutlich nischigeren Sound, man weiß sofort, was ihr Deal ist und kann den hassen oder lieben. Seventeen sind so etwas wie die letzten richtig großen Allrounder – die Gruppe, auf die sich absolut jeder einigen kann. Das macht vielleicht nicht die herausragendsten Tapes der Szene, aber Tapes, gegen die eigentlich trotzdem niemand etwas haben kann.

Trackliste

  1. 1. F*ck My Life
  2. 2. Super
  3. 3. Fire
  4. 4. I Don't Understand But I Love U
  5. 5. Dust
  6. 6. April Shower

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Was K-Pop angeht, ist YNK so ziemlich das musikjournalistische Gegenstück zu den Leuten, welche fiktionale Fickgeschichten über diese Fernost-Boygroups schreiben, die ungefähr so viel Ahnung von Sex durchblicken lassen, wie YNK hier von Musik.