laut.de-Kritik

UK 1970? Brooklyn 2018!

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Es sind Fragen, die sich in den letzten Jahren immer öfter stellen. Wann ist diese Platte entstanden? Wo? Handelt es sich um ein verschollenes Kunstwerk aus der Vergangenheit, oder doch um ein Retroprodukt? Seitdem fast jedes jemals aufgenommene Musikstück nur wenige Klicks entfernt ist, verschwimmen die Grenzen von Genre und Zeit immer mehr.

Die Antwort folgt zugleich: Das Album entstand 2018 in Brooklyn, Großbritannien zu Beginn der 70er Jahre hätte jedoch auch zutreffen können. Der Opener bedient sich eines Akkords aus "Happiness Is A Warm Gun" der Beatles, das abschließende "Paranoid" (nein, keine Coverversion von Black Sabbaths Stück) könnte auch eine späte Klavierballade John Lennons sein. Das gesamte Werk ist von Querverweisen durchdrungen, seien es Donovan, Pink Floyd oder Bands der British Invasion.

Bewusst oder unbewusst, wer weiß? Jedenfalls sind es nicht die schlechtesten Referenzen. Und noch wichtiger: Das Ergebnis überzeugt.

Auch wenn er in Europa kaum bekannt ist, ist Steve Gunn seit 2005 unter eigenem Namen aktiv. 2015 hat er ein gemeinsames Album mit Kurt Vile aufgenommen, den er auch auf Tour begleitet. Diesmal arbeitete der aus Pennsylvania stammende, aber in Brooklyn lebende Sänger und Gitarrist mit einem wenig bekannten, aber ebenfalls außergewöhnlichen Musiker zusammen, James Elkington. Der in Chicago lebende Brite veröffentlichte 2017 mit "Wintres Woma" ein entrücktes, träumerisches Album, das von unüblichen Akkordfolgen und Gitarrenstimmungen lebte. Offenbar hatte er noch Material, oder zumindest Ideen übrig. Etwa zu Beginn des besten Stücks des Albums, dem ruhigen "Stonehurst Cowboy", in dem sich Gunn an seinen an Krebs gestorbenen Vater erinnert.

Der bekannteste Musiker auf dem Album ist Tony Garnier, seit 1989 Bassist an der Seite Bob Dylans, im Studio und vor allem auf Neverending Tour. Einen starken Eindruck hinterlässt auch Sängerin Meg Baird, die Gunns hohe Stimme im Hintergrund begleitet, besonders wirkungsvoll im verträumten "Luciano".

Die besten Momente sind die ruhigsten, darunter "Morning Is Mended". Doch sind Gunn und seine Mitstreiter durchaus in der Lage, zu rocken. Etwa in "Vagabond" oder in "New Familiar", das von einem endlos wiederholten, kurzen Grundriff getragen wird. Im zunächst behutsamen "Lightning Field" setzt sich eine fies klingende E-Gitarre immer weiter durch.

"I see a glimmer / Across the wall, through the mirror / Out past the streets, beyond the weather / To that place that no one seems to know", lauten die ersten Zeilen des Albums. Ein surreales Bild, das dessen Wirkung ganz gut beschreibt.

Trackliste

  1. 1. New Moon
  2. 2. Vagabond
  3. 3. Chance
  4. 4. Stonehurst Cowboy
  5. 5. Luciano
  6. 6. New Familiar
  7. 7. Lightning Field
  8. 8. Morning Is Mended
  9. 9. Paranoid

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