laut.de-Kritik

Wenn Finch Asozial den harmlosesten Song verantwortet.

Review von

Als Teil des Kollektivs DeineLtan stand Tamas in den 2000ern für technikverliebten Hauptstadt-Rap. "Ja Man" markierte gleichermaßen den politisch unkorrekten Höhe- wie Endpunkt der Band-Historie. Edelfans wie der stets kritische DCVDNS sehnen seither die Reunion herbei. Da seine Hoffnung wohl vergebens bleibt, übernahm der Saarländer vergangenes Jahr auf "DCV 'N' TAM (Macs 'N' Gees)" kurzerhand selbst die Rolle des Rappers an Tamas' Seite. Als Solokünstler wandelt der Berliner nun wieder auf vollständig anderen Pfaden. "Hysterie" hält zwei Armlängen Abstand zu Hip Hop.

"Intro" sorgt zunächst einmal für Desorientierung: Publikum, E-Gitarren, Lautsprecherdurchsagen. Dazu shoutet sich Tamas weitgehend unverständlich die Seele aus dem Leib. Und dabei bleibt es in der folgenden halben Stunde auch. Das zweite Album des hauptberuflichen Rappers vermittelt mit seiner rohen, lauten und schnellen Herangehensweise schwüle Kneipen-Atmosphäre. Einzig "Trostlos" legt eine Vollbremsung hin, um sich in sensiblen Liebesschwüren zu ergehen. Den musikalischen Haudrauf-Ansatz verknüpft er dabei mit einem diffusen linken Lebensgefühl.

"Hysterie" durchzieht ein allgegenwärtiges Problem mit der Polizei. Das klingt etwa in "Bullen In der Schultheiß Kneipe" furchtbar antiquiert nach längst vergangenen Punk-Zeiten: "Bullen kriegen hier keinen Schnaps. Bullen kriegen hier nichts zu trinken, denn meine Kneipe ist am Oranienplatz". Nahtlos setzt sich die Antihaltung in "Mein Anwalt" fort: "Tach Herr Anwalt, Sie kennen meine Probleme. Ich hab' Stress mit Bullen und ich weiß nicht, wo ich stehe. Jede Nacht geh' ich raus und will mich abreagieren und schreie Polizisten an, kommen Sie mir in die Quere."

Der Kampf "gegen die Uniformierten" setzt sich im poetisch betitelten "ACDC (All Cops Die Crying)" fort. Crystal F und Arbok 48 ergänzen das Sujet um eigene Mordfantasien: "Ein Bulle ist ein Bulle ist ein Bulle und das bleibt er auch. Also Messer raus und Steine drauf." Tamas' Holzhammermethode wirkt gerade deswegen verheerend, weil die Debatten um NSU 2.0 oder Hengamehs Taz-Kolumne "All cops are berufsunfähig" eine kritische Auseinandersetzung dringend erfordern. Stattdessen setzt er textlich und stilistisch alles daran, eine differenzierte Betrachtung misslingen zu lassen.

"Zu Hause" wartet bereits der nächste Tiefpunkt. "Meine Gegend war verrufen, keiner traute sich hierhin. Heute kaufen sie die Häuser, aber uns kaufen sie nicht", nimmt er sich des Themas der Gentrifizierung an. Statt sprachlich abzurüsten, findet Tamas einen stillosen Vergleich: "Sie wollen die Gegend bereinigen, als wenn es 1936 ist." Vom "Fliegenschiss"-Gauland über den Judenstern als modisches Accessoire bei "Hygienedemos" bis zu Dieter Nuhr, der eine Pogrom-Stimmung gegen sich ausmacht, kennt die Holocaust-Relativierung kaum noch Grenzen.

"Es wird Zeit, dass wir uns nehmen, was uns zusteht", prangert er in "Geld" die herrschenden Niedriglöhne an, um mit einem weiteren Thema Schiffbruch zu erleiden. "Meine Wut macht mich verrückt", offenbart Tamas im Wahn, um so sein legitimes Anliegen ins Irrationale zu verschieben: "Aus uns spricht die Unvernunft". Wenn dem so ist, sollte sich der rebellierende Hörer doch besser an das vernunftbegabte "Kapitalistenschwein" halten. Vor allem wenn der Hauptakteur nur mörderische Antworten auf das Unrecht bietet: "Bei uns rollt nicht der Rubel, sondern Naziköpfe."

So hinterlässt "Hysterie" gleich in mehrfacher Hinsicht einen üblen Beigeschmack. Es sagt einiges über das Album aus, dass ausgerechnet Finch Asozial für den unverfänglichsten Song verantwortlich ist, wenn er "Akademiker neben Bauarbeiter-Atzen" rabiat, aber im Grunde harmlos in den "Moshpit" einlädt. Der vor allem im Zombiez-Kontext hervorragende Rapper und solide Texter Tamas manövriert mit seinem zweiten Soloalbum nicht nur konsequent an seinen Stärken vorbei, sondern erweist gleich mehreren relevanten Debatten einen Bärendienst.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Bullen In Der Schultheiß Kneipe
  3. 3. Mein Anwalt
  4. 4. A.K.F.
  5. 5. Voodoo (mit Zombiez)
  6. 6. In Deiner Nähe
  7. 7. Zu Hause
  8. 8. ACDC (All Cops Die Crying) (mit Arbok48 und Crystal F)
  9. 9. Moshpit (mit Finch Asozial)
  10. 10. Trostlos
  11. 11. Geld
  12. 12. Hysterie (mit Shocky und Swiss)
  13. 13. Staatsfeind (mit Blokkmonsta und Schwartz)

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Ja, es wäre ja ganz nett für ein Nebenprojekt (ist es leider nicht), aber so richtig catchen tat mich Tamas' Rockdiskographie bisher nicht. Er ist ein wesentlich besserer Rapper. Vor allem ist Punk tot. Nicht in seiner Message, aber eher in seinem musikalischen Aspekt. Es scheint da wirklich nichts zu geben, was es nicht schonmal in ikonischer gab. Vielleicht für Live-Auftritte ganz gut, die aber speziell dieses Jahr leider wegfallen. Schlechter Zeitpunkt. Zum Hören in Bus, Zug und Zuhause eher zu belanglos.

  • Vor 4 Jahren

    Einfach schrecklich. Möchtegern Copkiller und linker ohne sich gerade zu machen.

  • Vor 4 Jahren

    ich finde es geil. es hat noch nicht diesen ausraste-faktor von kopf.stein.pflaster aber geht schon gut ab :phones: musik für dosenbier und X.zeSS

    ich erinnere mich vage, dass deineltan damals echt viel ärger bekommen haben wegen fick die cops oder so? :confused:
    aber es ist schon interessant wie sich die zeiten ändern. das was ruff, tamas und deren umfeld abliefern ist 1:1 vergleichbar mit 1 Mai Steinschlag EP von Blokkmonsta und Uzi 2006 was die explizität der texte angeht. Und Blokk und Uzi sind dafür damals richtig gefickt worden. Liste B + Anzeige/ gerichtsverfahren... was ne leistung ist für einen nicht NS-Musiker

    • Vor 4 Jahren

      apropos...ht is wech von chapter one und zurück bei distri...evtl geht da ja zukünftig wieder was...

    • Vor 4 Jahren

      Alle zwei Jahre heißt es doch „Das alte HT Ist zurück“. Bin skeptisch

    • Vor 4 Jahren

      also die neue ruffiction ist schon sehr "moralisch verrohend" aber natürlich alles nur "satire". und die anderen wie tamas und umfeld sind genau so explizit. das wäre vor 10 jahren alles kassiert worden.
      conclusio: theoretisch könnten blokk und co wieder lyrisch die sau rauslassen. man muss es halt als "satire" labeln und völlig übertreiben. ich glaube auch, dass man inzwischen klug genug ist und nicht mehr mit kriegswaffen hantierend irgendwelchen politikern mit dem tode droht. die frage ist halt, ob sie es noch mal riskieren wollen. weil tonträger und streams laufen ja auch so. die hörnchen-fanbase ist tolerant und loyal

  • Vor 4 Jahren

    Die Rezension klingt ganz gut und macht neugierig, ich bin mir aber nicht sicher, ob das Produkt hält, was hier versprochen wird.