laut.de-Kritik
Folk-Melancholie weicht beschwingtem Jazz.
Review von Kai ButterweckWer Tanita Tikaram ausschließlich mit dem Hit "Twist In My Sobriety" in Verbindung bringt und das auch in Zukunft so halten möchte, der braucht das neue, mittlerweile neunte Studioalbum der Britin gar nicht erst in den Player zu legen. Die folkige Melancholie ihres Über-Songs aus dem Jahre 1988 sucht man auf "Closer To The People" nämlich vergebens. Wer aber die musikalische Entwicklung der Sängerin mit indischen und malaysischen Wurzeln in den vergangenen zwei Jahrzehnten kennen und lieben gelernt hat, der wird auch an Tanitas neuem Studiowerk seine wahre Freude haben.
Vor allem die erste Albumhälfte beeindruckt mit beschwingten Genre-Ausflügen. Während es sich Flötentöne, klassische Bläserklänge und das Zischen eines Snare-Besens im "Glass Love Train" gemütlich machen, säuselt Tanita ein tiefes "Heyheyhey" ins Bordmikrofon. Die Reise kann beginnen. Der Soundtrack: ein bisschen Blues ("Cool Waters") und eine Prise Big Band-Charme („The Way You Move“). Und schon hat Tanita ihr Ziel erreicht. Sie steht plötzlich mittendrin: "Closer To The People".
Aus der einst verunsicherten 19-Jährigen ist eine selbstbewusste Frau geworden. Und die rennt daheim in London keinem Trend hinterher, sondern orientiert sich viel lieber an der Essenz dessen, was heutzutage Hipster und Saison-Fans ach so cool durch die Straßen der Weltmetropolen ziehen lässt.
Namen wie Ella Fitzgerald und Anita O'Day fallen Liebhabern jazzig angehauchter Vintage-Klänge ein, wenn sich Tanita Tikaram auf Songs wie dem betörenden Titeltrack oder dem reduziert instrumentierten Soundstillleben "The Dream Of Her" in antike Welten beamt.
Ein Klavier, ein Cello, ein paar Klarinetten und der eine oder andere tiefe Bassseufzer: Mehr braucht es nicht, um aus wenig mehr zu machen. Tanita Tikaram hat den Dreh raus, dreht kurz vor dem Feierabend noch gekonnt am Dimm-Schalter ("Food On My Table", "My Enemy") und verlässt das Studio schließlich mit einem zwinkernden Auge. "Twist In My Sobriety"? Das zerbrechliche Mädchen mit der Akusikgitarre im Arm ist schon längst Geschichte. Und das ist auch gut so.
4 Kommentare
Schöne Rezi..die es auf den Punkt bringt.
Gefällt mir, schöne Musik.
Danke für die tolle Rezension! Habe die ANCIENT HEART in meiner LP-Sammlung, hatte Taanita Tikaram dann aber aus den Augen verloren und durch euch wiedergefunden . Kann mich nur cheswick anschließen: Einfach schöne Musik!
Während die Alben nach "Ancient Heart" eher einzelne Songperlen enthielten, sind die Alben seit "Lovers in the City" wieder in sich geschlossene Gesamtkunstwerke. Beim ersten Hören überzeugen allerdings die wenigsten Lieder. "Food on my table" ist schon eine Weile als Video draußen, nach anfänglicher Skepsis hat sich nun endlich Begeisterung dafür eingestellt. Es wird sich wohl nach und nach zu einem Lieblingsalbum entwickeln Live absolut empfehlenswert!