laut.de-Kritik
Zu jeder Zeit zum Heulen schön: Ein großartiges Album.
Review von Mathias MöllerEine leichtfüßige Gitarre mit Stahlsaiten eröffnet "The Crane Wife". Der leicht kratzige Gesang von Frontmann Colin Meloy gesellt sich dazu. Nach einer guten Minute zarten Einstiegs komplettiert die Band feinfühlig und zurückhaltend den Opener "The Crane Wife 3" und ich weiß, in den nächsten sechzig Minuten wird schönes passieren. Die Decemberists erlauben auch auf ihrem vierten Album, dass der Hörer sich in ihrer Musik verliert, in großen Melodien schwelgt und in entrückten Welten aufgeht.
Und dann passiert etwas Unerwartetes. Stück Nummer zwei, "The Island: - Come And See - The Landlord's Daughter - You'll Not Feel The Drowning", beginnt wie ein schwerfällig langsames 70er Artrock-Stück. Pink Floyd comes to mind. Auch wegen des Saxophon-Einsatzes. Obwohl ich mich nicht an ein Saxophon bei Pink Floyd erinnern kann (u.a. "Shine On You Crazy Diamond", "Money"! die Red.). Textlich zieht Meloy die eher tristen Register: "The tides all come and go/ Witnessed by no waking eye/ The willows mark the wind/ And all we know for sure/ Amidst this fading light/ We'll not go home again." Der Track, dem Titel entsprechend fast zwölfeinhalb Minuten lang, entwickelt sich nach und nach zu einem hippiesken Hammond-Inferno, an dem Ray Manzarek seine helle Freude hätte.
Während "The Landlord's Daughter" zeichnet Meloy auf einmal andere Stimmungen. Trotzig und mit Falsettansätzen lässt er seine Vocals über die schwurbelnde Hammond gleiten. Den Übergang zu "You'll Not Feel The Drowning" markiert wiederum eine traurige Akustikgitarre, Meloy greift textlich wieder tief in die Depressions-Trickkiste: "Forget you once had sweethearts/ They've forgotten you/ Think you not on parents/ They've forgotten too".
Nach diesem Brocken folgt eine Midtempo-Nummer, auf der niemand geringeres als Laura Veirs den Sänger unterstützt. Der liebliche Zwiegesang bietet einen willkommenen Kontrast zum zuletzt hart intonierten des Decemberists-Bandleaders. Doch auch der täuscht, auf "Yankee Bayonet (I Will Be Home Then)" trällern ein verstorbener Soldat und seine Liebste im Duett. Allerdings erzählen die beiden die Geschichte so herzzerreißend schön und poetisch, dass man nicht trauern mag.
"O Valencia!", die erste Single des Albums und gleichzeitig die erste wirklich flotte Nummer auf "The Crane Wife", stellt sich als eingängigster Song der Platte heraus. Der Gitarrenlauf verzückt, der Refrain geht ins Ohr. Wer die Decemberists jetzt nicht lieben lernt, wird es wohl nicht mehr schaffen. In "O Valencia!" geht es übrigens nicht um die spanische Stadt, sondern um eine Frau gleichen Namens. Auf "The Perfect Crime #2" entwickelt die Dezemberisten fast so etwas wie einen Groove während Meloy die Muse auffordert, von der Leidenschaft der Pistole zu singen. Die eigenwillige Hookline und das trockene Gitarrenlick geben diesem Stück einen ungewöhnlichen Anstrich. In der zweiten Songhälfte darf sogar etwas gejammt werden mit Cowbell, Congas und ein bisschen Funk in der Gitarre.
Im kommenden Song wartet schon die nächste Überraschung. Eine sperrige, monotone Gitarre dominiert "When The War Came". Das ganze Stück wirkt spröde, hölzern, unheilvoll. So unheilvoll wie Krieg: "When the war came, the war came hard." Die Gitarre windet sich und muss Verzerrungen ertragen, so schwer kennt man die Decemberists kaum. Der totale Kontrast folgt mit "Shankill Butchers" auf dem Fuße. Eine extrem zurückgenommene Akustikgitarre und ein leises Akkordeon verschwinden fast unter dem starken Gesang Meloys, der die schaurige Geschichte der Shankill-Schlächtern erzählt.
Selbe Instrumentierung, völlig andere Stimmung: eine Akustikgitarre und ein Akkordeon erzeugen für "Summersong" ein Gefühl von Sonne, Wärme und spätnachmittäglicher Sommerfaulheit. Dieser Ausflug in wärmere Gefilde ist strategisch gut platziert, denn jetzt muss der Hörer den zweiten Brocken des Albums angehen. "The Crane Wife 1 & 2" misst wiederum gut über zehn Minuten und beginnt mit den Worten: "It was a cold night/ And the snow lay 'round." Die beiden Stücke, die das Album betiteln, erzählen die japanische Volksweise der Kranichfrau.
Kurz gefasst findet nach diesem Märchen ein armer Mann einen verwundeten Kranich, pflegt ihn gesund und lässt ihn frei. Daraufhin erscheint ihm eine Frau, die er heiratet. Da beide arm sind, schlägt sie vor, Seide zu machen, um diese auf dem Markt zu verkaufen. Der Mann müsse allerdings zustimmen, ihr nie beim Weben zuzusehen. Er willigt ein, und die Seide verkauft sich tatsächlich ungewöhnlich gut. Getrieben von seiner Gier muss der Mann natürlich nachsehen, wie die Frau die Seide herstellt, die so viel Begehren weckt. Als er in die Kammer schaut, in der der Webstuhl steht, sieht er dort aber einen Kranich, der sich Federn ausreißt, um diese zu Seide zu verweben.
Der Kranich bemerkt den Voyeur, fliegt davon, und weder der Vogel noch die Frau ward je wieder gesehen. Interessanterweise erzählen die Decemberists diese Geschichte rückwärts. Das Ende steht am Anfang und nimmt somit das Thema vorweg, dass sich durch das gesamte Album zieht: Verlust, der damit verbundene Schmerz, die unmögliche Liebe. Dabei ist "The Crane Wife" zu jeder Zeit zum Heulen schön. Ein großartiges Album.
2 Kommentare, davon einer auf Unterseiten
Treffende Kritik! Einfach ein großartiges Album