laut.de-Kritik
Die neue Sängerin übernimmt ein schweres Erbe.
Review von Michael EdeleAls Anneke van Giersbergen im Juni 2007 ihren Ausstieg bei The Gathering bekannt gab, sahen viele die Truppe bereits am Ende. Nachvollziehbar, schließlich stellte Anneke nicht nur das Gesicht und die Stimme der Band. Sie brachte The Gathering seit ihrem Einstieg 1994 dort hin, wo die Band heute steht. Die bange Frage ist nun: Wie geht es mit der neuen Sängerin weiter?
An sich also kein schlechter Schachzug, die Spannung auf die neue Dame mit dem überlangen Intro "When Trust Becomes Sound" erst mal hinaus zu zögern. Wenn es sich dabei aber um uninspirierten Schrammelrock handelt, gehen knappe vier Minuten doch eher auf die Nerven. Kaum ist Silje Wergelands Stimme dann auf "Treasure" endlich zu hören, während der erwartungsvolle Fan schon an den Zehennägeln kaut, folgt: Ernüchterung.
Zwar verfügt Silje über eine warme, angenehme Stimme, die zu den Songs auf "The West Pole" soweit ganz gut passt. Allerdings wage ich zu behaupten, dass ihr sowohl das Volumen, als auch das unvergleichliche Charisma ihrer Vorgängerin abgeht. Bei Anneke ging die Sonne auf, blitzte sofort ein Lächeln auf das Gesicht des Hörers. Diese Fähigkeit besitzt die Norwegerin, die zuvor bei Octavia Sperati sang, leider nicht.
Deswegen die Band direkt in die Tonne zu kloppen, wäre allerdings auch übertrieben. "Treasure" ist musikalisch (und auch stimmlich) gar nicht so weit vom letzten Album "Home" entfernt und auch im Titeltrack zeigt Silje in den Strophen Format. Doch je höher sie mit der Stimme geht, desto dünner gerät leider das klangliche Vergnügen. Die mitunter nur bedingt spannenden Songs brauchen einfach eine außergewöhnliche Stimme.
Auf elektronische Spielereien verzichteten die Holländer weitgehend, was das etwas schnellere "All You Are" zu einem recht rockigen Track macht. Allerdings hätte ein wenig mehr Elan einem Song wie "No Bird Call" wirklich gut getan, denn die Nummer schläft ja schon fast wieder ein, bevor überhaupt was passiert. Erst mit den kurz aufblitzenden Streichern kommt Stimmung auf.
Der eigentliche Plan, mit unterschiedlichen Sängern und Sängerinnen zu arbeiten, hätte vielleicht doch weiter verfolgt werden sollen. Im verträumten "Capital Of Nowhere" darf eine Dame namens Anne van den Hoogen den Gesang übernehmen, die deutlich elfenhafter zirpt als Silje, doch mit der reduzierten, an Hooverphonic erinnernden Klangkulisse entstand ein toller Song. Auch "Pale Traces" lebt durch den Gastbeitrag von Stream Of Passion-Sängerin Marcela Bovio.
"No One Spoke" gibt sich nochmal rockiger und das finale "A Constant Run" weiß ebenfalls, wie man Emotionen freisetzt. Allerdings klingt das Ende mit dem Klavier doch irgendwie nach Captain Future. Und wenn man dann noch ein Instrumental mit dem Titel "You Promised Me A Symphony" aufs Album nimmt ... nun ja!
2 Kommentare
die neue scheibe ist mir etwas zu lieblich und poppig. ein paar gute songs hats alleweil drauf, aber an die sachen von vor > 10 jahren ("how to measure...", "nighttime birds") können die holländer leider nicht mehr anknüpfen.
live waren sie bisher stark, mal schauen wies mit der neuen sängerin wird...
Als Gathering-Fan der ersten Stunde habe ich natürlich auch dieses Album gekauft ... und nach den ersten paar Liedern muss ich Herrn Edele recht geben: Die neue Sängerin erreicht nicht das hohe Niveau Annekes - aber das war eigentlich klar - oder? Ich finde, Sie macht ihre Sache ganz gut, fühlte mich eben bei "The West Pole" sogar kurz an ihre Vorgängerin erinnert. Liebe auf den ersten Blick (hat Euch Anneke mal während des Singens angeschaut und dabei gelächelt? Das war so unbeschreiblich, dass ich damals SOFORT fremdgegangen wäre!) wird es bei Silje wohl nicht geben - dennoch werde ich mir das mal live anschauen und bin ganz froh, dass die Band diese Stimme gefunden hat (hätte ja alles furchtbar in die Hose gehen können).
Da mir die Songs schon beim ersten Mal hören zusagen, gibt's für meine Lieblings-Holländer 4/5.