laut.de-Biographie
The Hidden Cameras
Manchmal sind The Hidden Cameras sieben, dann dreizehn, vielleicht auch siebzehn Leute auf der Bühne. In Kanada, vor allem in und um Toronto erreicht das Künsterkollektiv um den Kopf und Sänger Joel Gibb schon vor seinem Debüt "Ecce Homo" (2001) erstaunliche Popularität allein durch Live-Auftritte. Die werden in sämtlichen großen Zeitungen gefeiert.
Bis zu fünfzehn Musiker, dazu strippende männliche Gogo-Tänzer, die das Publikum fleischlustig zum Mitsingen animieren, aber ihre Unterhosen doch nicht ausziehen. Sie sollen laut Gibb "die Hemmungen wegtanzen, die sonst auf Indie-Konzerten herrschen, auf denen die Leute immer nur rumstehen, Zigaretten rauchen und über die paar Leute lästern, die versuchen zu tanzen".
Zu der Zeit hat Gibb gerade seine Gitarre umgesaitet, weil er linkshändisch spielen will. Und auch sonst ist bei The Hidden Cameras so Manches auf der anderen Seite: Sie nennen ihre Musik "Gay Church Folk Musik", wobei gay hier in erster Linie das archaische "fröhlich" bedeuten soll. Doch natürlich wird hier eindeutig fröhliche Zweideutigkeit stilisiert.
Die Band bekommt es trotz und wegen aller Widersprüche hin, den Stolz und die Würde eines Christopher Street Days mit evangelistischen Hochzeitsgesängen und der ausgelassenen Melancholie der Folk-Musik zu vereinen. Der kirchliche Einfluss fußt auf mitunter hallenden Gospelklängen, die sanft in der Musik verwoben sind, aber auch auf den ersten Auftritten, die in Kirchen Torontos stattfanden. Bei denen fühlten sich die Cameras offenbar genug zu Hause, um sich musikalisch-tänzerisch in Szene zu setzen, wie in diversen Porno-Theatern.
Die Folk-Anleihen sind unüberhörbar, erinnern an den einen oder anderen Song von The Proclaimers, They Might Be Giants, Belle And Sebastian oder Magnetic Fields. Die kernige Tremolo-Stimme Gibbs verbindet alle Elemente in einem lustigen und lustvollen Schmelztiegel voller Gute-Laune-Musik.
The Hidden Cameras werden 2002 die erste kanadische Band, die Rough Trade unter Vertrag nimmt, ihr Album "The Smell of your Own" (2003) findet international großen Anklang mit zügigen Klängen und homo-romantischen bis -erotischen Texten, die in ihrer bukowskischen Deutlichkeit durchaus fröhlich stimmen. Spiegel Online zählte das Album zu den zehn wichtigsten des Jahres 2003.
2004 erscheint das Nachfolgealbum "Mississauga Goddam". Gibb schreibt wieder alle Songs. Er möchte seine Sexualität weder verstecken noch ausschlachten, sagt er, ist aber dennoch bereit, übers banale Pinkeln, Bremsspuren in Männerunterhosen und Vaseline zu texten. Nicht um zu provozieren, wie er betont, sondern um deutlich zu machen, dass es etwas Alltägliches ist.
Sein Kunstanspruch zeigt sich daran, dass er in den folgenden Jahren immer wieder Preise einheimst, so für das von Kai Stänicke gedrehte Video zum Lied "Carpe Jugular" aus Hidden Cameras siebtem Album "Age" (2015).
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