laut.de-Kritik

Sex (schwul), Drugs (Poppers) and Folk'n'Roll.

Review von

Wenn eine Platte mit den Zeilen "Thank goodness for the teacher and nothing can go wrong" und glücklich juchzendem "doot doot doot"-Refrain anfängt, dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen: Nicht für mich und auch für keinen anderen, der sich "Mississauga Goddam", das zweite Album der homochristlichen Volkskanadier The Hidden Cameras anhört.

Kleine Lehrstunde: Mississauga ist eine Halbe-Million-Stadt in Kanada, praktisch um die Ecke von Toronto. Nebenbei die Heimatstadt des Sängers Joel Gibb. "Mississippi Goddam" wiederum ist ein Protestsong der Jazz-Sängerin Nina Simone aus dem Jahre 1963 gegen die Ermordung von vier Afro-Amerikanern in Alabama. Bestritten werden hier alle inhaltlichen Zusammenhänge, aber die orthografische Analogie verzückt geradezu!

Denn thematisch hält sich Gibb in "Mississauga Goddam", wie auch schon beim Vorgänger "The Smell of your Own", ganz klar an Sex (schwul), Drugs (Poppers) and Folk'n'Roll. So wird die Musik zum Freund ("Music is my Boyfriend"), dem man auch schon mal gerne die schmutzigen Unterhosen wäscht, wenn er dafür im Gegenzug morgens den Toast macht. Von Vaseline und Würgegriffen ganz abgesehen, somit bleibt der Toast die wohl unschuldigste Textpassage auf der ganzen Platte.

Ob man nun diese Texte lebt, oder ob sie einem am Arsch vorbei gehen - musikalisch bewegt Gibb mit seinen unzähligen Mitmusikern auf dieser Scheibe eine ganze Menge. Der kurze Opener "Doot Doot Plot" öffnet im getuteten Falsetto den samtenen Theatervorhang zum breiten Dauergrinsen, "Builds the Bone" folgt mit einem ergreifend zärtlich getragenen Schmusesong. Und in "Fear is On" wird der Refrain mit einer "Kleine-Jungens-Motorrad- Knattern-Imitation" bestückt, die an Originalität nicht zu übertreffen ist.

Akustische Gitarren, Streicher, Kirchenorgeln, treibende Drums und das ausgeprägte Tremolo in Gibbs Stimme (die in "I want another Enema" ausnahmsweise fast zum Geblöke wird und somit schlichtweg nervt) erzeugen ein zitterndes Crescendo nach dem anderen, nehmen einem abwechselnd die Luft oder lassen einen explodieren.

Letzlich sind The Hidden Cameras nur als Ganzes zu betrachten: Fröhlicher bis ausgelassener Folkrock gepaart mit "explicit lyrics" erster Güte, Schwulsein und Gospel, Kirchen und Pornotheather: Auch bei "Mississauga Goddam" schmelzen wieder Widersprüche ineinander und brechen sich ironisch - The Hidden Cameras dürfen musikalisch als auch künstlerisch freudestrahlend ernst genommen werden.

Trackliste

  1. 1. Doot Doot Plot
  2. 2. Builds The Bone
  3. 3. Fear Is On
  4. 4. That's When The Ceremony Starts
  5. 5. I Believe In The Good Of Life
  6. 6. In The Union Of Wine
  7. 7. Music Is My Boyfriend
  8. 8. B boy
  9. 9. We Oh We
  10. 10. I Want Another Enema
  11. 11. Mississauga Goddam

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