Porträt

laut.de-Biographie

The Moody Blues

"Für mich ist Musik Musik, und ich weiß nicht, wieso man Klassik nicht mit Pop fusionieren soll. Mit The Moody Blues haben wir ja sogar Fusionen fusioniert. Wir hatten ein Klassik-Orchester und unsere Band, die für englische Beat-Music steht, und zudem verschmolzen wir diese Kreuzung mit Jazz", dröselt Ray Thomas das Erfolgsrezept der Moodies einmal auf. Die Band verteilt 30 Instrumente auf fünf Köpfe - von Celeste bis Triangel. Drei von ihren 16 Studioalben und mehrere Live-Scheiben entstehen zudem gemeinsam mit Symphonieorchestern.

The Moody Blues - A Question Of Balance Aktuelles Album
The Moody Blues A Question Of Balance
An der Pforte zur Zauberwelt.

Ray und Mike kommen zwischen Weihnachten und Silvester 1941 zur Welt, Ray in Stourport-on-Severn in Mittelengland, Mike am Stadtrand des ausgebombten Birmingham. Kriegserfahrung machen beide, "manchmal war die Luftwaffe schon über uns, noch bevor die Sirenen losgingen", erinnert sich Ray Thomas im Magazin The Strange Brew, sein Song "Eternity Road" greift dies ebenfalls auf. Als sie 14 Jahre alt sind, herrscht ein anderer Wind. Mögen Country und Rock'n'Roll in Memphis boomen, so ist es in Birmingham der Skiffle. Dieses Amalgam mehrerer Americana-Stile erfordert unübliche Instrumente, etwa Waschbrett und Banjo, das übrigens auch ihr Kumpel John Lennon begeistert erlernt. Skiffle wird der Soundtrack zu Rays Ausbildung zum Werkzeugmacher, die er nach der Hauptschule mit 14 antritt.

Ray und Mike jammen nach der Ausbildung in einer Skiffle-Combo namens The Krew Kats und treten sogar in Hamburg auf. Sie sind schon 22, als sie The Moody Blues im Mai 1964 mit dem jüngeren Denny Laine als Frontmann gründen, der später McCartneys Mitstreiter bei den Wings wird. Tasten-Experte Mike Pinder und Bläser Ray Thomas rekrutieren noch den kreativen Trommler Graeme Edge. Vertragspartner sind Decca Records, die zuvor die Beatles nach einem Vorspielen vor die Tür gesetzt hatten.

Als Kurzzeit-Mitglied fungiert der Rhythm-and-Blues- und Soul-Liebhaber Cliff Warwick am Bass, der den Blues zum Namen beisteuert. Das Leben auf Tour geht seiner Frau alsbald auf die Nerven, obwohl The Moody Blues mit "Go Now" bereits nach einem halben Jahr ihre erste Nummer eins haben und im ganzen Land gefragt sind. Erste EPs und das Moodies-Debüt "The Magnificent Moodies" 1965 lassen erste Stärken von Band und Producer Denny Cordell (später für Procol Harum tätig) erkennen: knisternde Momente und eine bluesig pathetische Komponente.

1965 touren The Moody Blues als Support für die Fab Four auf deren letzter Tour. "Wir kannten die Beatles sehr gut", führt Ray im Magazin The Strange Brew aus (so gut, dass Mike Pinder auf Lennons "Imagine"-Album trommelt). "Als sie dann 'Pepper' machten, kamen sie rüber zu unserem Haus, mit dem Tape, und fragten: 'Was haltet ihr davon?' Natürlich waren wir absolut von den Socken. Sie wussten unsere Meinung zu schätzen, wir hatten Wertschätzung für ihre."

Der Moody-Bassist hängt den Job trotz dieser Freundschaft so schnell an den Nagel, dass er den "Sergeant Pepper" gar nicht mehr mitbekommt. Er wendet sich dem Altmetall-Unternehmen seiner Familie zu, hernach wird er Tischler. Denny Laine ist zwar ein großartiger Sänger mit einer unverwechselbaren Stimmfarbe, allerdings wandelt sich die englische Musik in dieser Zeit rasant, und die Beliebtheit seiner US-Coverversionen beim Publikum schwindet.

Im November 1966 gehen Frontmann, restliche Moodies und Produzent getrennte Wege. Ein neues Kapitel beginnt - der Name bleibt. Laine wendet sich an den bei en Pretty Things gefeuerten Schlagzeuger, um mit ihm eine Band mit einem elektronisch nachgeahmten Streichorchester zu eröffnen, auch The Moody Blues schielen Richtung Klassik. Zwei Bands - ein Gedanke.

Neue Leute rücken an: Die beiden frischen Moody-Saitenzupfer John Lodge aus Rays Freundeskreis und Justin Hayward, der über eine Werbeanzeige zur Band stößt, treffen auf den Decca-Promomitarbeiter Tony Clarke. Er ist selbst Sessionmusiker, hat ein offenes Ohr und gilt als der sechste Moodie, ähnlich George Martin bei den Liverpooler Freunden. Tony Clarke soll auf Geheiß des Labels der neu formierten Gruppe dabei helfen, einen anderen Stil zu finden. Hayward hatte sich ursprünglich auf der Suche nach einem Job als Blues-Gitarrist bei einem gewissen Eric Burdon beworben. Burdon empfiehlt ihn allerdings in der Flut der Bewerbungen den Moody Blues weiter.

Deren nächstes Projekt beginnt mit Schulden und mit einer Idee von Decca Records: Antonín Dvořáks "New World Symphony" aus der Welt der Klassik in den Rock zu übertragen. Würden sie das tun, wären Plattenlabel und Band quitt, meint das Management und zählt nutzlos verpuffte Vorschüsse auf. Diese Aufnahmen würden dazu dienen, innerhalb eines Bündels von sechs LPs verschiedener Artists das Technikverfahren 'Deramic Stereo Sound' zu promoten. Die Idee folgt einem Business-to-Business-Ansatz, um zum Beispiel auf Elektronikmessen Material zum Vorführen dieses Stereo-Systems zu verwenden, das nun das Mono-Zeitalter ablösen soll. Als Dirigent wird Peter Knights der Gruppe vorgestellt.

The Moody Blues sind dafür offen. Im Magazin The Desert Sun bringt Bassspieler John Lodge die Herausforderung auf den Punkt, die Band auf neuen Kurs zu bringen: "Wir trugen Lieder vor, die ihren Ursprung in Amerika hatten, waren aber nie dort gewesen. Ich hatte kein Wissen aus erster Hand über das Land und das Umfeld, in dem diese Lieder geschrieben wurden, und es fühlte sich fremdartig an, darüber zu singen", und weiter: "<>Die Probleme im tiefen amerikanischen Süden darzustellen, war okay, aber nicht kongruent, und das brachte uns kein Geld ein", stellt Justin Hayward in der LA Times klar. "Als ich 1966 als Songschreiber in die Band eintrat, war Mike bis dato der einzige, der selber schrieb. Wir beschlossen dann, unser eigenes Material zu verfassen." Alle komponieren und texten fortan. Aber nicht gemeinsam, sondern jeder für sich. Drei Leadsänger wechseln sich ab.

Der Dirigent findet das Material der Band gut und orchestertauglich. Den Dvořák wirft er über Bord. Sein London Festival Orchestra umrahmt - heimlich - das Spiel auf den neuen, frisch geschriebenen Moody-Songs. Auch der Producer hält dicht. Man überrumpelt damit die ahnungslose Plattenfirma und löst unerwartet viel aus. Der Song "Nights In White Satin" setzt den Startschuss für den neuen Klassik-Rock eigener Handschrift am 3. November 1967.

Es ist der Geburtstag mancher Genres: Classic-Rock, symphonischer Rock, Barock-Pop. Ziemlich genau ein Jahr später werden Jethro Tull aus dem zwei Stunden entfernten Blackpool ebenfalls eine Platte mit Querflöte auflegen. Ray Thomas bläst übrigens auch in Alt-, Bass- und Piccolo-Flöten, Oboe und Sopransaxophon.

Vom Zweitling "Days Of Future Passed" an wird es Usus, die Platten mit gesprochenen Anteilen zu beginnen. Schlagzeuger Graeme Edge, auch als Poet tätig, und Mike Pinder rezitieren die Gedichte. Das gilt für die Nachfolger "In Search Of The Lost Chord" (Sommer 1968), "On The Threshold Of A Dream", "To Our Children's Children's Children" (beide 1969) sowie "Every Good Boy Deserves Favour" (Sommer 1971). Der Gruppen-Zusammenhalt stimmt, der Output ist kreativ. In die psychedelische Strömung ihrer Zeit reihen sich The Moody Blues zwar nahtlos ein, sind aber besonders ruhige Vertreter dieser Welle ohne wilde Orgel-Soli und Ähnlichem.

Dafür wird man auf grafischer und textlicher Ebene deutlich. Phil Travers heißt der regelmäßig beauftragte Grafikdesigner, der eine seltsame Canyon-Landschaft, mit einem Embryo und einem Totenkopf und den verzogenen Buchstaben des LP-Titels "In Search Of The Lost Chord" gestaltet.

Die Arbeit am dritten Longplayer auf der Suche nach einem verlorenen Akkord startet mit Rays Hymne auf den Harvard-Psychologen Timothy Leary, "The Legend Of A Mind". Umso lauter Richard Nixon ihn den "gefährlichsten Mann Amerikas" nennt, umso mehr macht er den 36 Mal inhaftierten Drogen-Aktivisten unfreiwillig populär. Leary setzt sich heftig für LSD und andere Rauschmittel ein und vertritt Ideen wie den 'Transhumanismus'. Mit dem knapp siebenminütigen Song über ihn sprengen The Moody Blues auch formal die gängigen Muster. Für das Stück nehmen sie sogar ein Musikvideo in braunstichigem Schwarz-Weiß auf. "The Legend Of A Mind" wird in Prog-Kreisen später bekannter als die offiziell ausgekoppelten Singles und erwirbt sich seine Meriten auch durch den markanten Einsatz eines neuen Instruments.

In der Heimatstadt der Moodies entwickelt, war das elektromechanische Mellotron bereits bei "Strawberry Fields Forever" und "Tomorrow Never Knows" von den Beatles getestet worden. Bei den Stones legt Brian Jones wiederholt Hand daran an, sodass sein Mellotron-Feuerwerk fast zeitgleich mit dem der Moodies erscheint. Hier treffen mechanisch auf Tasten erzeugte Signale auf ein Magnetband, das sich im Inneren des klobigen Gehäuses dreht. Beim Abspielen des Tapes im Playback-Verfahren, gesteuert über einen Drehknopf, werden die Aufnahmen verfremdet wieder gegeben und erzeugen eine gruselige psychedelische Mellowness.

Mike Pinder liebt dieses Werkzeug und bringt es auf insgesamt sieben Alben der Gruppe an passenden Stellen unter. Der Reiz verfliegt erst, als King Crimson die Sache auf die Spitze treiben und auf ihrer LP "Larks' Tongues In Aspic" zwei Mellotrone gegeneinander einsetzen (Robert Fripp, David Cross). Auch sonst greifen die Crimsons etliche Ansätze des dritten Moody-Albums in ihrer Karriere auf und entwickeln sie fort.

Pinder ist zudem einer der ersten prominenten Vertreter der Hammond-Orgel und des Moog, der für manche Bands der Siebziger dann das definierende Element wird (etwa Emerson, Lake And Palmer). Das Ausprobieren von neuen Ausdrucksformen und Genres demonstriert insgesamt die große Offenheit für Neues, die als hervorstechender Charakterzug allen fünf Moody Bluesern zu Eigen ist. Entsprechend neugierig geht die Band auch auf das zu, was 1967/68 in der Luft liegt: Flowerpower, Monterey, Woodstock.

"Also dachten wir, 'hey, wir erleben den Übergang zu einem neuen Bewusstsein, einer neuen Art, Dinge zu betrachten'", erinnert sich Mike Pinder in einem Gespräch mit der BBC. Dies habe zum Wort 'threshold' geführt. Es erklärt sowohl den Albumtitel "On The Threshold Of A Dream" als auch den Namen der anschließend gegründeten Firma Threshold, mit der sich The Moody Blues unabhängig machen - frei nach dem Motto: Was die Beatles mit Apple Records können, können wir auch. Die Infrastruktur der Decca, deren Studios und Kontakte zum Großhandel, nutzen sie weiterhin.

"On The Threshold Of A Dream" wird eine Mischung aus Philosophie, Satire, Suiten-förmiger Tracklist und witzigen Ton-Experimenten, 'an der Schwelle zu einer Traumwelt'. Das Album erreicht in der West-BRD die Top 40. In Skandinavien ergattert es höhere Ränge, in England und Frankreich die Eins. In Kanada wird es ein Bestseller, in den USA übersteigt es gar eine Million abgesetzter Einheiten und trifft den Nerv der Zeit. Gleichzeitig legt es eine Wurzel für Prog-Rock und setzt Maßstäbe in der Kategorie Art-Pop.

Das verquaste "To Our Children's Children's Children" vertont die Reise in einer Weltraumkapsel durchs All, eine Mondlandung und ist sowohl lyrisch wie auch musikalisch ein Konzeptalbum und eine der konsequentesten Scheiben dieser Kunstform bis hin zum visuellen Design des Artworks. Es ist ein seltener Fall, dass fünf Autoren unabhängig voneinander Tracks zu einem Themenalbum beisteuern, das durchaus bruchlos und vollständig einem roten Faden folgt.

Mit dem kuriosen Collagen-Bild auf "A Question Of Balance", wiederum von Phil Travers, führen die Moodies dann 1970 die Kunst des Plattencovers auf ein neues Level. Neu im Instrumentenreigen sind dieses Mal Maracas-Rasseln und Mandoline. Außer Einzel-, Background-Gesang und Spoken Word kommen zudem Choräle und Flüstern hinzu. Die Lieder sollen außerdem, anders als auf den beiden Vorgängern, wieder livetauglicher werden.

Einer Serie von Konzeptalben bis einschließlich "A Question Of Balance" folgt dann erstmals wieder eine lose Liedersammlung, "Every Good Boy Deserves Favour". Allerdings wären die Moody Blues nicht, wer sie sind, ohne großes Kino aufzufahren. Der Opener referiert die Geschichte der Musik seit der Steinzeit, und das Artwork des Kollegen Travers lässt viel Raum für Interpretation.

"Seventh Sojourn" wird der letzte Longplayer sein, für den er seine Malerei beisteuert. Inzwischen hat die Gruppe den LSD-Guru Timothy Leary persönlich kennengelernt, auf "When You're A Free Man" ist er 1972 abermals Thema. Bassist John Lodge hat sich mittlerweile eindeutig dem Prog-Rock verschrieben. Überhaupt keimen genau diese Genres, für die The Moody Blues die Samen mitgesät haben, vielerorts auf. "Isn't Life Strange" kombiniert Rock mit Barock und baut auf dem Pachelbel-Kanon in D-Dur auf. Sie sind nicht ganz die ersten bei Pachelbel, und später fertigen auch Village People, S/A/W, The Farm, Blur, Oasis, Coolio, Benny Blanco und viele andere Songs auf dieser Kanon-Grundlage.

Nach einer Serie von Höhepunkten endet dieses zweite Kapitel der Band. Mehrere der Musiker haben kleine Kinder zuhause, die Crewmitglieder saßen sieben Jahre lang eng aufeinander. Ausufernde US- und Asien-Tourneen verschleißen die Kreativität. Trotz Vorankündigung eines weiteren Albums lässt man es unter den Tisch fallen. Mike Pinder wandert nach Kalifornien aus. Mangels Interesse der anderen an einer weiteren Zusammenarbeit spielt er mit einigermaßen namhaften Session-Musikern an der Westcoast in Malibu eine Synthie- und Mellotron-Platte ein.

Die Kumpels Hayward und Lodge nehmen je ein gemeinsames und ein Soloalbum pro Nase auf. Die Plattenfirma wünscht sich jedoch die Band zurück. Man koppelt einen guten Live-Mitschnitt aus alten Tagen an fünf unveröffentlichte Tracks, darunter den wundervollen Chamber-Pop "What Am I Doing Here?", der schon seit zehn Jahren auf Freilassung aus den Decca-Büros wartet. Alles zusammen erscheint unter dem hölzernen Titel "Caught Live + Five" 1977, der nach einer Trophäe für unglückliches Marketing schreit. Das Ding zündet in den USA wie eine Granate, juckt aber in Europa niemanden so wirklich.

Rundherum hat sich die Musikgeschichte rasant weiter entwickelt, stilistisch und technisch. 1978 wagen The Moody Blues in der alten Besetzung einen Bruch und beziehen Synthesizer ein. "Octave" wird ein Verkaufsknaller, für den die Band einiges in Kauf nimmt. Im Studio kommt es zu einem Brand, John spüielt außerdem mit gebrochenem Arm Bass, und Produzent Tony Clarke verlässt die Kapelle plötzlich für immer, ohne Bescheid zu geben. "Es war wirklich harte Arbeit", denkt Lodge im Magazin The Strange Brew zurück. "Aber es war eine großartige Erfahrung für uns, um dazu zu lernen."

In den Achtziger Jahre weichen die Schnauzer unter den Moody-Nasen getönten Brillen, die Wuschelköpfe gehen Richtung welliger Vokuhilas. Nach dem Producer steigt auch der Keyboarder aus, dann die Plattenfirma. Die Band bringt noch zwei Alben und ein Best Of über ihre Eigenmarke heraus und verrenkt sich in verschiedene Stilrichtungen.

Mit dem renommierten und flexiblen Produzenten Tony Visconti gelingt 1986 ein erstaunlicher Schwenk in Richtung Pop. "The Other Side Of Life" enthält unerwartet catchy komponierte, kommerziell erfolgreiche Keyboard-Tracks mit Patrick Moraz als ausführendem Tastenspieler. Flötist Ray Thomas pausiert auf "Sur La Mer" dann zwar musikalisch, ist aber kurioser Weise auf den Pressefotos und in einem Musikvideo zu sehen. The Moody Blues knacken MTV. Und: Sie genießen es.

Apropos Bildmaterial: Nachträglich retuschieren die anderen Gruppenmitglieder besagten Keyboarder Patrick in den Neunzigern aus den Fotos heraus, nachdem sie beim Lesen eines Interviews fast vom Stuhl fallen: In einem greift er nicht nur die Scheibe "Keys Of The Kingdom" an, sondern so ziemlich alles: Kompositionsstil, Sound, Arbeitsweise und Gruppendynamik. Hayward, Lodge, Edge und Thomas kündigen ihm.

Moraz, in Jazz-Kreisen aktiv und ehemals bei Yes, lässt sich das nicht bieten. Er pocht auf eine lebenslange Band-Mitgliedschaft und 20 Prozent aller Einkünfte. Der folgende Rechtsstreit ist so spannend, dass ein US-Pay-TV-Sender ihn in voller Länge überträgt. Moraz fordert 3,7 Millionen Dollar. Unterzeichnet hatte er beim Kennenlernen etwas anderes, nämlich als Dienstleister bei den Moody Blues engagiert zu sein - nie jedoch als Gruppenmitglied. Die Credits-Angaben auf den Platten erwecken gleichwohl ein Bild zu seinen Gunsten.

Seine Argumente versetzen dennoch in Staunen. Beim Unterzeichnen habe er sich damals unter Druck gesetzt gefühlt. Das Vertragsdokument sei daher nicht rechtskräftig. Es sei außerdem stillos, dass niemand ihn unter vier Augen herausgeworfen habe, sondern die Band den Manager vorgeschickt habe. Er habe seither mehrere Monate lang täglich sechs Suizidversuche unternommen und nage am Hungertuch. Gleichzeitig gibt er in dem Prozess zu, die Moody Blues hätten ihm jährlich im Schnitt 100.000 Dollar ausbezahlt.

Schließlich strapaziert er die Geduld des Richters über, als er angibt, nur Beethoven und Brahms würden mit ihm in einer Liga musizieren, sonst sei niemand seiner würdig. "Dieses Konzert zu organisieren, wird wohl schwierig", quittiert der Richter und urteilt, der Keyboarder karikiere das Justizsystem. Moraz verliert weitgehend, bekommt aber eine Abfindung. Diese beträgt abzüglich der Anwaltskosten nur ein Sechzigstel der von ihm geforderten Summe.

Eine Kaskade an Wiederveröffentlichungen durchzieht die 1990er. 1999 schaffen es The Moody Blues mit einem Cameo-Auftritt in eine Simpsons-Folge. Insbesondere die Trickfigur-Variante von Schlagzeuger Graeme Edge mit seiner Stimme wirkt ausgesprochen gut getroffen. In einem norditalienischen Küstenort lassen sie sich zu ihrem Nachfolge-Album "Strange Times" inspirieren. Ende 2002 steigt Ray Thomas aus gesundheitlichen Gründen aus. Er hat eine neurologisch bedingte Störung des Gleichgewichts, insbesondere für seine stehend gespielten Instrumente wie etwa die Querflöte ein Hindernis auf der Bühne. Später kommen Prostatakrebs und eine Herzerkrankung hinzu. Gelegentlich gibt er aber im Laufe der Jahre noch Interviews, wenn altes Material in neuen Box-Sets erscheint und sich Reporter nach den glorreichen Zeiten erkundigen.

Ein Weihnachtsalbum mit Coverversionen, eine US-Klassik-Flötistin und ein Keyboarder aus Italien wirken mit, erscheint Ende 2003. Es ist das letzte Studiowerk der legendären Combo und enthält zum Teil Coverversionen, darunter Lennons "Happy X-Mas (The War Is Over)". Auf die Idee zu einer Weihnachtsplatte sei man gekommen, weil sich ja auch Weihnachten für Konzeptalben eigne, und sie wieder eine monothematische Platte angehen wollten.

Die Moodies touren mit Unterbrechungen bis 2018. Um diese Zeit erlebt die Band ihren formalen Ritterschlag und zieht unter großem Jubel in die Rock and Roll Hall of Fame ein. Ebenfalls 2018 zieht sich Schlagzeuger Graeme Edge nach einem Schlaganfall zurück und besiegelt das Ende der Moody Blues. "Obwohl Graeme und ich kaum etwas gemeinsam hatten, hatten wir immer Spaß", notiert Gitarrist Justin Hayward auf Facebook. "In den späten 1960ern wurde er gebeten, Dichter und Schlagzeuger in einem zu sein. (...) Dabei hat er eine Atmosphäre und einen Rahmen geschaffen, den die Musik ohne seine Wortbeiträge nicht erreicht hätte."

Mit dem Ausstieg ist die Band Geschichte. Ray Thomas stirbt im Januar 2018, Edge nach einer schweren Krebserkrankung Ende 2021. Bandgründer Denny Laine verabschiedet sich im Dezember 2023 in den Rock'n'Roll Heaven. Weitere Auftritte oder Aufnahmen zu zweit schließen die beiden verbliebenen Musiker aus. Justin Hayward hat sich mittlerweile in Italien niedergelassen. 2023 und 24 tourt er mit Christopher Cross und präsentiert auch einiges aus dem starken Moody Blues-Katalog.

"Ich habe eine Crew um mich, die sich um alles kümmert. Somit muss ich nur noch entscheiden, welche Kekssorte ich knabbere", plaudert er im Greatest Hits Radio UK. "Ich habe ja nie was Richtiges gearbeitet. Außer auf Tour unterwegs zu sein, habe ich nie was anderes gemacht. Das ist mein Leben." Die Pioniere des Barock-Pop und Konzeptalbums, außerdem Wegbereiter des Art, Symphonic, Progressive und Psychedelic Rock hinterlassen eine Reihe unsterblicher Klassiker, die man wohl auch noch im 22. Jahrhundert bestaunen wird.

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