laut.de-Kritik

So dreckig poppig wie lange nicht mehr.

Review von

Drogenberauschter Eskapismus für schluffige Indie-Jungs und -Mädchen? Therapeutischer Humanismus für Nichteinverstandene? Und warum fühlt es sich so gut an, mit schlechter Laune im Bauch und den Raveonettes im Ohr durch die nasskalte Stadt zu laufen? Ein Grund mag sein, dass die Band auf "Observator", wie schon auf ihrer im April erschienenen "Into The Night" EP, so dreckig klingen wie zuletzt zu Zeiten ihres Debüts "Chain Gang of Love".

Und das mit einem denkbar einfachen Trick: Sie drehen den Verstärker einfach auf maximale Verzerrung. Trotzdem kommen sie nach wie vor sauber und poppig rüber, denn die brennenden Gitarrenwände begraben nie den harmonischen Gesang. Auch die Melodien geraten so zuckersüß wie eh und je. Die Raveonettes bleiben auch auf Album Nummer sechs ihrer Fuzz-Gitarrenwand trifft Girlgroup-Harmonien-Formel treu. Herausgekommen ist eine verführerische Mischung aus The Radio Dept. und A Place To Bury Strangers, die trotzdem keinen Zweifel daran lässt, dass hier die Dänen vor den verhallten Mikros stehen.

Nach zuletzt ungewohnt ausschweifender Instrumentierung besinnt sich das Duo außerdem wieder ganz auf den für sie typischen Minimalismus. Lediglich eine brennende Gitarre und der sehnsuchtsvolle Gesang von Sune Rose Wagner und Sharin Foo tragen das Eröffnungsstück "Young And Cold". Nicht mal ein Schlagzeug benötigt der Song.

Dafür setzt zum ersten Mal in der Bandgeschichte ein Klavier hier und da Akzente. Wagner, der im Vorfeld des Albums Drogen- und Alkoholexzesse und eine Depression druchmachte, reflektiert diese wilde Zeit mit den Zeilen, "So many times I lost control / I don't wanna be young and cold". Kein Abfeiern des Rockstarlebens - eher ein Flehen um ruhigere Zeiten.

Im Titelsong bekommen die Tasten eine noch prominentere Rolle. Die düsteren Zeilen "To live like common peope, I never think I'll do / And so my love I give in to this dark" werden lediglich von bedrohlichen Klavierakkorden begleitet. Es passt sich aber auch überaus gut in den Sound der Band ein, wenn kurz darauf die sägenden Gitarren und das stoische Schlagzeug einsetzen. Nach Glockenspiel und Synthesizer erweitern die Raveonettes ein weiteres Mal ihr Soundrepertoire, ohne wesentlich anders zu klingen.

Anfang der Nuller Jahre galten die Raveonettes als Vorboten des 'Next big thing' in Sachen Popmusik und unterschrieben einen Zwei-Millionen-Dollar-Vertrag bei Columbia. Ohne Frage brach sich seitdem das mit Nu Gaze eher schlecht als recht betitelte Shoegaze-Revival seine Bahn mit unzähligen Bands in den verschiedensten Ausprägungen. Und es mag sein, dass die beiden in den USA lebenden Musiker amerikanische Surfpop-Bands wie The Drums, Best Coast, Vivian Girls oder Dum Dum Girls maßgeblich beeinflusst haben. Andererseits waren die Raveonettes weder die erste noch je die erfolgreichste Band dieser Welle, die es außerdem bis heute nicht in den Mainstream schaffte.

Aber eigentlich verbietet sich das Gerede von Revivals von selbst. Denn ob nun Shoegaze, New Wave, Garage oder Golden Era Hip Hop: Alles wird heute durch den Retrowolf gedreht. Wo aber alles Revival ist, ist nichts Revival. Denn welche Bedeutung kann man einem bestimmten Revival noch zuschreiben, wenn es lediglich ein Phänomen unter zig anderen ist? Ist das noch gesellschaftlich relevant oder schon die perfekte Befriedigung eines jeden Konsumwunsches, jedem gemäß seiner Nische, in der er oder sie es sich gemütlich eingerichtet hat?

Shoegaze setzt jedenfalls nicht auf Coolness, Breitbeinigkeit oder große Egos. Und unabhängig von der Reduktion auf einen Trend machen The Raveonettes, wie einst The Jesus And Mary Chain oder My Bloody Valentine, verträumte, introvertierte, halluzinogene und düstere Popmusik. Lediglich die darunterliegenden Aggressionen, die nicht zuletzt an The Velvet Underground erinneren, gibt dem Ganzen etwas Sexyness und Coolness. Vielleicht ist es gerade diese Mischung aus Innenschau und Agressivität, die derlei Musik wieder attraktiv gemacht hat.

Der Hit des Albums, "Curse The Night", verbindet beides: Verträumt und introvertiert auf der einen, düster und aggressiv auf der anderen Seite. Die gewohnt bis zum Anschlag verzerrte Gitarre und ein übersteuerter Hip Hop-Beat bilden den Teppich, auf dem die mal sehnsuchtsvollen, mal zerbrechlichen Stimmen die Nacht verfluchen, weil es mit der Jagd nach der Liebe nicht geklappt hat.

"The Enemy" und das fast schon Classic Rock-artige "She Owns The Street" zeigen die Band von ihrer poppigen Seite, erst recht "Downtown" mit einer Kinderlied-Melodie. Dass das nie zu poppig klingt, liegt am reichlich eingesetzten Hall. Das verleiht der Musik, ähnlich dem verwackelten, unscharfen Cover-Artwork, eine spezielle, nicht greifbare Aura.

Mit der neuen Raveonettes durch die Straßen zu laufen, macht Spaß, weil man sich und die Welt darin komplett vergessen kann. Ihre Musik tröstet und zeigt der braven wie kalten Welt den Stinkefinger. Eskapismus und Humanismus in einem. Auf jeden Fall die richtige Platte für Herbst und Winter.

Trackliste

  1. 1. Young And Cold
  2. 2. Observations
  3. 3. Curse The Night
  4. 4. The Enemy
  5. 5. Sinking With The Sun
  6. 6. She Owns The Streets
  7. 7. Downtown
  8. 8. You Hit Me (I'm Down)
  9. 9. Till The End

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1 Kommentar

  • Vor 12 Jahren

    Schöne Rezi und das Album geht auch ganz geschmeidig in den Gehörgang - für mich ist "Observations" das Highlight. Ansonsten muss ich das Ding noch ein paar mal durchhören, ich habe gar nicht mitbekommen, daß die beiden etwas neues haben.

    Aber warum haben eigentlich die fantastischen Veronica Falls hier noch keine Künstlerseite, liebe Laut.de-Redaktion?