laut.de-Kritik

Wenn man den Punk aus Pop-Punk streicht.

Review von

Während sich das Pop-Punk-Revival noch immer großer Popularität erfreut, schwimmen die Regrettes mit ihrem dritten Album "Further Joy" gegen den Strom. Nachdem sich Lydia Night, Genessa Gariano, Brooke Dickson und Drew Thomsen bereits vor dem Hype mit ihrem von Teenage-Angst geprägten Mix aus Pop-Punk und Indie-Rock einen Namen gemacht haben, verabschiedet sich das Quartett auf seinem neuesten Projekt vorerst weitestgehend von seinen musikalischen Wurzeln und präsentiert ein Album, das nur so vor Bubblegum-Pop und Ohrwurm-Hooks strotzt.

Wer jedoch glaubt, dass "Further Joy" eine rundum seichte und oberflächliche Nummer darstellt, liegt daneben. Das musikalische Gerüst ist meist zwar mit zum Tanz einladenden Grooves und leicht verdaulichen Songstrukturen gespickt, unter der Oberfläche befindet sich jedoch reichlich lyrische Schwere und Authentizität, was nicht zuletzt an den sehr persönlichen und nahegehenden Geschichten aus Frontwoman Lydia Nights Leben liegt.

Nicht umsonst bedeutet der Ausdruck "Further Joy" für die Leadsängerin "im Hamsterrad zu sein und ständig dem Glück nachzujagen, was dich auf der anderen Seite jedoch unglücklich macht. Ich steckte in einer Schleife fest, in der ich besser sein wollte, gut sein wollte, und deshalb konnte ich nicht hier sein. Ich konnte nicht anwesend sein." Das Album sollte diesen Teufelskreis nun brechen. Damit dies gelingt, musste jedoch einiges aufgearbeitet werden.

So thematisiert der Opener "Anxieties (Out Of Time)" in seinem verzerrten Gewand aus Synth-Arpeggios, Synth-Bass und der ersten von vielen mitreißenden Gesangsmelodien die Veränderung in Lydias Leben während der Lockdown-Zeit, kurz bevor bei ihr erstmals eine Angststörung diagnostiziert wurde. Der Folgetrack "Monday" schließt thematisch direkt an die Zeit nach der Diagnose an. In abermals fröhlich und poppig wirkender Aufmachung, aber auch mit vereinzelten Pop-Punk-Einflüssen der Vergangenheit kämpft Lydia mit der Offenbarung, dass ihre Angststörungen und Depressionen tatsächlich real und keine Fantasie sind: "I'm pulling down my eyelids two at a time / I swear it's just my sinuses, I'll be fine / An existential crisis and it's only a Monday / Tell me I'm alive"

Auch wenn "Further Joy" an manchen Stellen mit Songs wie dem lieblichen "That's What Makes Me Love You" oder dem kindlich verspielten "La Di Da" etwas Zeit zum Durchatmen gibt und abermals schweren Themen eine etwas verspieltere Note verleiht, sind es auch in der Folge weiterhin die rohen, schonungslosen Momente, in denen das Album besonders glänzt, gerade weil es so an einem zehrt.

Sei es das Bild einer toxischen Beziehung, das Lydia auf "Barely On My Mind" zeichnet, oder der Moment, als man realisiert, dass das zurückhaltende "Subtleties (Never Giving Up On You)" mitsamt bescheidenem Beat, Akustikgitarre und Vogelgezwitscher nicht ein Liebessong an eine Person ist, sondern eine Entschuldigung an Lydias Körper, der jahrelang unter ihrer Essstörung gelitten hat und laut eigenen Aussagen auch heute noch Nachwirkungen zeigt. Wenn die Band auf "Further Joy" also aufs Ganze geht, dann ist es ein Volltreffer.

Im Anbetracht dieses lyrischen Kraftakts, den Lydia bis zum Schluss stemmt, ist es jedoch besonders schade, dass das musikalische Pop-Gewand in der zweiten Hälfte des Albums plötzlich immer weniger mithalten kann und fortlaufend in sich zusammenbricht. Während die erste Hälfte der Platte noch eine gute Balance zwischen harten Worten und mitreißenden Instrumentals aufweist, fällt es immer schwerer, die Aufmerksamkeit und Begeisterung im Laufe des zweiten Abschnitts aufrechtzuerhalten.

Abseits der treibenden E-Gitarren in "Better Now" und des beflügelnden Chorus im Closer "Show Me You Want Me" stürzen die Songs in eine Existenzkrise. "Homesick", "Step 9" und "Rosy" fehlen auf musikalischer Seite sogar selbst ein einziges prägnantes Merkmal, das sich im Kopf festsetzt und Lust darauf macht, noch einmal zum jeweiligen Song zurückzukehren. Als Lichtblicke bleiben nur noch Lydias aufrichtige Texte, die erfrischende Piano-Ballade "You're So Fucking Pretty" und "Nowhere" mit dynamischen palm muted Akustikgitarren, einem mitreißenden E-Gitarren-Riff und einer entschlossenen Vocal-Performance, ansonsten verliert das Album zunehmend seine Alleinstellungsmerkmale.

Dass die Neuorientierung der Regrettes nach einem euphorischen Start dann doch eher auf einer enttäuschenden Note endet, ist zwar ärgerlich, jedoch hat die Band immerhin phasenweise gezeigt, wozu sie fähig ist. Der Versuch, die früheren Punk-Attribute abzuschütteln und sich vollständig der Pop-Welt hinzugeben, ist definitiv ausbaufähig, aber keinesfalls gescheitert. Für einen eindrucksvollen Anfangssprint mit einer Reihe an aufregenden Tracks hat es auf "Further Joy" immerhin gereicht. Im nächsten Anlauf kann das Quartett beweisen, ob es dann auch für die Marathondistanz bereit ist.

Trackliste

  1. 1. Anxieties (Out Of Time)
  2. 2. Monday
  3. 3. That's What Makes Me Love You
  4. 4. Barely On My Mind
  5. 5. Subtleties (Never Giving Up On You)
  6. 6. La Di Da
  7. 7. Homesick
  8. 8. Better Now
  9. 9. Rosy
  10. 10. You're So Fucking Pretty
  11. 11. Step 9
  12. 12. Nowhere
  13. 13. Show Me You Want Me

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