laut.de-Kritik

Am Ende austauschbar.

Review von

K-Pop will dieses Ding mit den fiktionalen Gruppen einfach nicht loslassen. Mave, Plave, K/DA: Die Idee, eine ganze Projekt-Gruppe mit animierten Vocals zu machen, passt einfach zu gut in ein von Lore besessenes Genre, das bestenfalls auch noch den letzten Rest Kontrolle über die eigenen Performerinnen und Performer haben würde. Man verzeihe mir also, dass ich auch über die Aussicht auf den Viralerfolg von HUNTR/X und den Saja Boys nicht wahnsinnig begeistert war. Aber wenn schon, denn schon: Der Netflix-Film K-Pop Demon Hunters erzählt seine fiktionale K-Pop-Geschichte immerhin nicht in vagen und bescheuerten Lore-Skits, sondern in einem geschlossenen Film. Ich bin zwar auch kein großer Fan des Films, aber: Immerhin kann man hier von realem Storytelling sprechen, während bei vielen anderen K-Pop-Gruppen die Hintergrundgeschichten von wohlwollenden, interpretationswütigen Fans mit Stöcken und Tesafilm zusammengehalten werden müssen.

Wir haben hier also die Musik von zwei Gruppen: Einmal haben wir die Guten, das ist das Girlgroup-Trio HUNTR/X, verkörpert von in den letzten Jahren kurz an der Viralität schnuppernden asiatisch-amerikanischen Indie-Künstlerinnen. Rei Ami kennt ihr vielleicht von ihrem YouTube-Viralerfolg "Snowcone", Audrey Nuna hat mit "A Liquid Breakfast" 2021 sogar ein ziemlich cooles Album gemacht. Beide sind auf Majors gestrandete Indie-Artists, deren Cool-Faktor an die Seite von SM Entertainment-Songwriterin und Vocal-Powerhouse Ejae gestellt wird, die man als Songwriterin für K-Pop-Megahits wie Red Velvets "Psycho" oder Aespas "Drama" kennt. Im Universum ist das Trio nicht nur die größte K-Pop-Gruppe überhaupt, sondern auch die neuste Iteration von Dämonenjäger, die via Musik den Weltuntergang durch den Dämonenkönig verhindern müssen.

Ihnen gegenüber stehen die Saja Boys (koreanisch für Löwe, aber im Unterton hat es auch das Hanja für den Sensenmann, es ist clever, i guess): Der Dämonenkönig hat seine eigene Boygroup losgeschickt, um mit K-Pop der Welt den Kopf zu verdrehen. In der Realität ist sie die weniger interessant gecastete Gruppe. Ich bin ehrlich erfreut, dass Kevin Woo von der legendären Second Gen-Zweitliga-Gruppe U-Kiss noch gute Arbeit findet, aber die Jungs fühlen sich doch spürbar wie ein abgetragener Rest Industrie-Soldaten an, die froh um den Gig sind, aber jetzt auch keine Bäume ausreißen wollen.

Aber cool, klingt doch erstmal lustig: Wir haben die gute K-Pop-Gruppe und die böse. Wie zeichnet sich das im Sound ab? Nun ja: Gar nicht. Wer hofft, dass sich die campy Winx Club-Dynamik auch musikalisch abgebildet wird, irrt sich. "K-Pop Demon Hunters" stellt sich vor allem die Frage: Wie können wir Musik machen, die maximal als K-Pop identifizierbar ist?

Klingt wie eine komische Frage, ist aber überraschend faszinierend. Im Vergleich zu vielen anderen Genres hat K-Pop ja keinen einheitlichen Sound, es ist mehr Methode als Genre. Es ist ein Schwamm, der alle möglichen anderen Sounds remixt. Man klingt nicht wie K-Pop, sondern K-Pop klingt wie ... Zu sagen, etwas hätte "K-Pop-Sound", ist also ein bisschen, als würde man etwas "Kuchengeschmack" zuweisen. Aber natürlich gibt es bestimmte Trends und Mutationen, die so häufig gemacht wurden, dass man sie klar mit dem Genre verbindet. Entsprechend macht es schon Spaß, anhand der Tracklist abzufragen, was die Showmacher als die emblematischsten K-Pop-Sounds identifiziert haben - und das scheinen vor allem die Sounds der Bands in den Windschatten der Riesen zu sein. HUNTR/X klingt wie viele Post-Blackpink-Gruppen, die Saja Boys klingen wie der Windschatten von BTS.

"How It's Done" klingt zum Beispiel wie frühe Everglow, als sie noch komplett versucht haben, ihren eigenen Take auf die Blackpink-Formel zu finden, "Takedown" macht das selbe, nur mit noch mehr Hip Hop-Schwerpunkt. "Your Idol" von den Saja Boys könnte eine seltsame Enhypen-B-Seite sein, während "Soda Pop" ganz entfernt den sommerigen Groove von Tracks wie "Dynamite" oder "Boy With Luv" andockt. "Golden" ist wahrscheinlich der größte Ausnahmefall, denn sein episch-inspirierender Ton gleitet nahtlos zwischen "Feel Special"-Ära Twice und "Lion"-Ära i-dle. Jedenfalls sieht dieser Film die Jahre 2018 bis 2020 als die definitive Ära K-Pop: der Übergang von der dritten in die vierte Generation, das ist, woran wir uns als "den K-Pop-Sound" mal erinnern werden.

Leider Gottes machen viele der eben genannten Tracks ein Argument dafür, warum auch in dieser Ära musikalisch nicht alles eitel Sonnenschein war. Eine sehr positive Entwicklung hin in die K-Pop-Gegenwart ist definitiv das Ende dieser Girlboss-Gigantomanie. Viele Tracks auf "K-Pop Demon Hunters" sind groß und dumm und schwer und brachial. Natürlich, es ist K-Pop, ergo ist es schon gut und souverän produziert. Aber besonders, weil die Filmemacher doch spürbar die Verantwortung empfanden, mit den Songs emotionales Storytelling zu betreiben, kommen ein paar klobige, überfrachtete Tracks heraus, die die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit richtig großartiger K-Pop-Tracks vermissen lassen.

Besonders schlimm wird es, wenn wir in ehrliches Showtune-Territorium übergleiten. Das große Romanzen-Balladen-Duett "Free" ist ein kolossales Nichts von einem Track, leerer Affekt, leere Kalorien, da ist nichts im Kern von diesem Song außer einem Eimer Schmalz. Auch das pseudo-emotional-inspirierende "What It Sounds Like" greift die cringesten Teile des Films perfekt auf. Und Tracks wie der extrem lahme Disstrack "Takedown" oder die Möchtegern-Badass Einführungsnummer "How It's Done" erinnern eher daran, auf welche Art man Hip Hop und K-Pop nicht miteinander verkehren sehen möchte.

Am Ende krankt der Soundtrack an ähnlichen Dingen wie der Film selbst: Er ist so beschäftigt, wie K-Pop zu klingen, den Fans Sachen zu präsentieren, die sie wiedererkennen, dass es keine Rolle zu spielen scheint, was mit den Tracks eigentlich passieren soll. Sie sind nur in dem Sinne gut, wie sehr kompetente Menschen mit sehr viel Budget eben kaum scheitern können, wenn sie nicht zu viel versuchen. Aber im Grunde fühlen die Tracks sich an wie Nostalgie für Zeiten, die noch nicht mal so richtig vergangen sind.

Mein persönlicher größter Struggle bleibt aber, dass HUNTR/X und die Saja Boys musikalisch untereinander am Ende so austauschbar bleiben. Man sollte meinen, es würde dem Kernkonzept des Films widersprechen: Ist es nicht die inspirierende Gutheit der Musik von HUNTR/X, die die Welt vor dem Dämonen-Untergang rettet? Wie kann es dann sein, dass eine Boygroup mit genau dem gleichen Konzept und quasi der gleichen Musik ebenjene Musik zum völlig gegenteiligen Zweck nutzen kann? Anscheinend kommt es nur auf die Intention der Macher an, und darin spiegelt "K-Pop Demon Hunters" eine der nervigsten Qualitäten der K-Pop-Community unfreiwillig genau wieder: Denn auch die interessieren sich sehr oft viel mehr für ihr Bild von den Leuten dahinter als für die für sich stehenden Songs. Wäre das intendierte Kritik, wäre das ehrlich clever.

Trackliste

  1. 1. Takedown
  2. 2. How It's Done
  3. 3. Soda Pop
  4. 4. Golden
  5. 5. Strategy
  6. 6. Takedown
  7. 7. Your Idol
  8. 8. Free
  9. 9. What It Sounds Like
  10. 10. Love, Maybe
  11. 11. Path
  12. 12. Score Suite

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