laut.de-Kritik
Vom Kiffersong bis hin zum Beziehungsdrama ...
Review von Dani FrommOne-Riddim-Sampler auf CD! Aus Plattenaufleger-Sicht ein einziger Unsinn. Wer möchte schon 16 mal am Stück den selben Song hören? Zusammenstellungen wie diese gehören auf Doppel-Vinyl. Wenn man die einzelnen Tunes schon nicht, wie sich das gehört, auf 7"es an den Start bringen kann. Aber um die Darreichungsform soll es hier nicht gehen. Wenden wir uns dem Inhalt zu; dieser hat Beachtung durchaus verdient.
Ganze fünf Jahre lang kümmert sich Rootdown mittlerweile schon um die Bereicherung der hiesigen Reggae- und Dancehall-Szene und bietet dabei insbesondere Künstlern aus dem deutschsprachigen Raum eine Plattform. In diese Kerbe schlägt auch "Crystal Woman GSA". "GSA"? Jawohl! Aus G-ermany, S-witzerland, A-ustria nämlich stammen die Vokalisten, die sich diesmal an Tekas Crystal Woman-Riddim versuchen.
Im September 2004 veröffentlichte Rootdown bereits einen in Kingston eingespielten Sampler mit Versionen dieses Tunes, der durch Nosliws Fassung "Wie Weit" einen nicht unerheblichen Bekanntheitsgrad erreicht hatte. Damals waren unter anderem Chuck Fender, Anthony B, Rebellion und Lutan Fyah (mit der grandiosen Version "When Mi Rise It") mit von der Partie. Nach dem internationalen Mix folgt nun, immer noch grenzüberschreitend, das Heimspiel.
Am Anfang (dieser liegt weit zurück im Jahr 2002) stand die Gitarrenmelodie. Rootdown-Boss Teka programmierte sich für die Rohfassung eine Rhythmussektion dazu. Erst durch die Arbeit mit den Künstlern, die ihn verwendeten, nahm der Riddim die letztlich vorliegende Form an. Die beschwingte Gitarre dominiert nach wie vor, dazu stoßen (live eingespielt) Drums und Bass und verleihen der Nummer ein solides Fundament. Die Bläser erledigen den Rest: Wo immer Richie Senior zur Posaune greift, ist von nichts anderem auszugehen. "Crystal Woman" bewegt sich musikalisch und produktionstechnisch absolut auf der sicheren Seite. Nicht umsonst wurde der Riddim von der Leserschaft von dancehallmusic.de im europäischen Vergleich zum Vizesieger erkoren.
Die übel unterrepräsentierten Damen und zahlreichen Herren Vokalisten erhalten also eine starke Vorlage, die sie größtenteils zu nutzen wissen. Vom obligatorischen Kiffersong über Weltverbesserungslyrik bis zum Beziehungsdrama sind alle erdenklichen Themen im Angebot. Rootdowns erste Garde mit Nikitaman, Nattyflo und natürlich Nosliw präsentiert sich dabei in ausgesprochen günstigem Licht. Gerade Nattyflo, der in seinen Anfängen gerne mal recht holprig um die Ecke kam, beeindruckt mit knackiger Sozialkritik in "Worte Wie Feuer". Nikitaman entwirft mit kratziger Stimme und erstklassigem Flow ein gar nicht mal so amüsantes Zukunftsszenario: "Gras Ist Legal" - cool.
Aber ist staatlich kontrollierter und registrierter Weedhandel wirklich erstrebenswert? Darüber denken wir beim nächsten Spliff vielleicht noch einmal nach. Nosliws "Wie Weit" darf selbstredend nicht fehlen. Erstaunlich, wie es dieser Junge regelmäßig schafft, Rundumschläge gegen Ausbeutung, den Überwachungsstaat, die amerikanische Außenpolitik und alle anderen Übel dieser Welt in einen einzigen Song zu packen, ohne dabei gutmenschelnd und peinlich zu wirken.
Was haben wir noch? Immerhin lustig vorgetragene Plattitüden von Ganjaman, einen eher dünnen Gesangspart von Maxim, Lazy Youth liefert den Soundtrack zum Weltjugendtag und fordert in "Lass Es Regnen" einen auch für die Ungläubigen erkennbaren Gottesbeweis. Mono bestünde als einzige Frau im Boot stimmlich mühelos einen Vergleich mit angesagten Ragga-Ladies wie Cecile oder Tanya Stephens - leider zählt der Text von "Soundbwoy Dead" eher zu den schwächeren der Zusammenstellung. Eine englische Fassung von Bruce Barron, eine spanische von Paco Mendoza. Martin Jondo und Wondaprince verlegen sich aufs klassische Jamaican English; beiden ist nicht zwingend anzuhören, woher sie tatsächlich stammen.
Einmal mehr allerdings - möglicherweise bin ich auch besessen, ich möchte das keineswegs ausschließen - schießen die Eidgenossen den Vogel ab. Sowohl Dodos "Schnee Vo Geschter" als auch die Liebeserklärung "Jetz Isch Ziit" des wahrhaft phänomenalen Dennis Furrer bringen mich, Frikative hin oder her, erneut zu der Erkenntnis: Schwytzerdütsch ist einfach das Patois Europas. Schwytzerdütsch rockt.
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