laut.de-Kritik
Der Director's Cut des Grime-Monsters.
Review von Dani FrommWas tun, wenn man feststellt, dass man geschlafen und dabei das Grime-Album 2005 schlicht verpennt hat? Wenn zwölf Monate ins Land gegangen sind? Wenn man an seiner Begeisterung fast erstickt, man aber trotzdem keine Lust auf Grundsatzdebatten zum Thema "Aktualität von Reviews" hat? Dann ist guter Rat teuer.
Selten genug: Manchmal fällt einem tatsächlich eine zweite Chance vor die Füße. Die Herren vom Virus Syndicate beglücken mich, alle anderen Schnarchnasen und den Rest der Welt mit einer Neuauflage von "The Work Related Illness" und beweisen auch im zweiten Anlauf, dass Grime keineswegs zwingend aus dunklen, feuchten Kellern im Londoner Osten kommen muss. Ich bin plötzlich wieder bestens im Zeitplan und sage Euch:
Ich halte "The Work Related Illness" in der Tat für das mächtigste, das Grime neben Dizzee Rascals "Showtime" zu bieten hat. Obwohl unüberhörbar aus dem Nordwesten: Die verschachtelten Produktionen von Mark One - pardon, mittlerweile M.R.K. 1 - und die irrwitzig rasenden Flows und rhythmischen Tricksereien der MCs Goldfinger, Nika D und JSD könnten nicht genretypischer sein.
Inhalte und Art ihrer Präsentation jedoch zeigen starke Einflüsse aus dem Hip Hop. Die Tracks erzählen aus der vielstrapazierten Welt von Alkohol, Drogen, Sex und Gewalt, tun dies aber so humorvoll und überzeichnet, dass die empörte Miene einem dreckigen Grinsen weicht. Wer kann sich schon dem Zauber fröhlichen Sexismus' ("Girls") oder dem kranken Wahnsinn eines ordentlichen Vollsuffs ("Wasted") entziehen? Ich nicht.
Die musikalische Untermalung passt, egal, ob gerade die eigene Beziehungsunfähigkeit, die traurige Karriere der alten Schulkameradin Nadine oder ein Banküberfall abgehandelt wird, stets wie die Faust aufs Auge. Ein theatralischer Einstieg mit Chören und Kirchenglocken läutet (im wahrsten Wortsinne) das Epos ein. "Slow Down" verblüfft mit dem Kontrast zwischen Highspeed-Raps und einer extrem verlangsamten Hookline: Grime trifft Screw.
Ein albern gepitchtes, leicht überstrapaziertes Voice-Sample versüßt "Ready To Learn". Zu Beginn von "Clockwork" täuscht das sanft hauchende Saxophon unfair an, bevor ein hektischer Elektrobeat den abgelenkten Hörer überrollt. Elektronisch geht es zu, mal dumpf brummend ("Gun Talk"), mal blubbernd ("Catch 22"), in "Karma" werden gar Anleihen beim Computer-Techno-Sound der 80er gemacht. Ob mächtig dicht gepackter oder auf das Wesentliche reduzierter Hintergrund: M.R.K. 1 macht alles möglich - nur keine Eintönigkeit.
Jeder Track erzählt ein Kapitel einer Geschichte, die Szenen reihen sich zu einem ebenso beeindruckenden wie unterhaltsamen Gesamtbild. Die Herren am Mikrofon, die sich in punkto Tempo und Präzision in nichts nachstehen, entwickeln eine geradezu schauspielerische Dynamik. Wurde die erste Fassung von "The Work Related Illness" als Comic-Gangster-Movie beschrieben: Voilà, hier kommt der Director's Cut!
1 Kommentar
Blaupause für Grime!!! Schade, dass da nix mehr gekommen ist oder hab ichs einfach verpasst?