laut.de-Kritik
Wie Die Ärzte des Folk-Metals oder Pur auf Mittelalter-Rock.
Review von Sven KabelitzWie würde Purs "Abenteuerland" klingen, wenn den Song eine Mittelalter-Rockband geschrieben hätte? Vogelfrey, die 2011 auf dem Hörnerfest spielten, liefern auf "Nachtwache" die Antwort auf die eine Frage, die sich wirklich nie jemand gestellt hat: genau so wie "Ära Des Stahls".
Ein mutiger Mythenmix für den mittelalten Mark auf seinem Mittelaltermarkt. Egal ob Titanen, Drachen, Götter, Dämonen, Kraken und Einhörner, alle sind an Bord. "Das Glück sei uns hold in der Ära des Stahls / Folg' uns auf den Spuren des heiligen Grals / Entdecke Atlantis, besteig' den Olymp / Auf geht's nach Asgard, die Reise beginnt." Das war dann der Moment, in dem ich meinen Laptop laut lachend zugeklappt habe und mich erst eine Stunde später wieder getraut habe, weiterzuhören.
Mehr zuspitzen kann man die Thematik schlichtweg nicht. Vogelfrey, die 2011 auf dem Black Troll Festival spielten, schaffen es trotzdem, dass dieser gigantische Irrsinn nicht komplett in sich zusammen bricht. Der heroische Powermetal-Song ist dermaßen drüber, dass es schon wieder Kunst ist. Irgendwie. Er ist quasi ihr "Hotel California", ihr "A Day In The Life", dessen Qualität die anderen Songs auf "Nachtwache" in den Schatten stellt und ziemlich blass aussehen lässt.
Dabei immer mit dem Schalk im Nacken, jedoch auch immer hart an der Grenze zu Monty Pythons "Nudge Nudge"-Mann. Knick Knack. Zwinker zwinker. So werden sie zeitweise zu den bemühten Ärzten des Folk-Metals mit Violine, Cello, Rauschpfeife und Irish Bouzouki. Die Reime wirken nicht selten, als habe Mutter für Vater zur goldenen Hochzeit ein eigenes Gedicht verfasst. Wobei die Band in Songs wie "Sündenbock" nicht davor zurückschreckt, das aktuelle politische Klima in vergangene Zeiten zu versetzen. "Deutschland ist sich wieder einig / Die Hetze macht dich groß / Lass den Frust ab, keiner sieht's / Auf die Plätze, fertig, los – Lynchjustiz."
Musikalisch geraten die Riffs über die ganze "Nachtwache" hinweg solide, aber nur wenig kreativ. Wie auch in ihrer Sprache, bleiben sie auch hier für ihr Umfeld konservativ, geben den Fans genau das, was sie erwarten. Fest verankert in einer festgefahrenen Fantasiewelt, die starren Regeln gehorcht. Die Ausflüge in die NDH mit "Schüttel Dein Haupt" oder "Spieglein, Spieglein" folgen strikt den seit langer Zeit vorgestanzten Mustern, nur eben mit ironischem Blick auf sich selbst und das Publikum.
"Walhalla" bietet quasi die Fortsetzung von "Ära Des Stahls", wenn es mit der Schlacht dann doch nicht so geklappt hat und man sterbend im "nassen Tau" liegt. "Und mich führen Walküren weit über das Land / Und wir reiten durch Welten den Bifröst entlang", singt Jannik Schmidt nun ganz ernst gestimmt in dem als Ballade beginnenden und zur Metal-Hymne ansteigenden Lied für all die gefallenen Krieger.
Dabei fehlt es seiner Stimme oft an Ausdruckskaft. Wenn er in "Schüttel Dein Haupt" mit dem wohl ausgelutschtesten aller Faust-Zitate beginnt ("Ich bin der Geist, der stets verneint") fehlt ihm alles Böse, jedes Volumen, bleibt er eher blass. "Die Haare sollen im Winde wehen / Lass' uns eskalieren gehen", das fällt da schwer. "Spieglein, Spieglein" bricht mit dem Mittelalter-Flair, bringt das Smartphone ins Märchenland.
Die zwei Antworten auf "Magst Du Mittelalter?" bieten Vogelfrey, die 2012 auf dem Feuertanz Festival spielten, zusammen mit Chris Harms von Lord Of The Lost. Ein Stichwort-Marathon durchs Genre. Mit dem Schnauben eines erbosten Drachens und fünfzehn in Anmut.
1 Kommentar
Hab ich was verpasst (also vermutlich das Booklet), um den Running-Gag mit den Auftritten zu verstehen? Ansonsten kann man dann noch den Kreisschluss vollenden: Die Ärzte sind die Pur des Funpunk