laut.de-Kritik

Warum können Männer nicht in Würde altern?

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Warum können Männer nicht in Würde altern? Warum machen Frauen im Musikbusiness meist wenig Aufhebens um den natürlichen Prozess, während Männer über 40 sich offenbar dauernd neu erfinden müssen? So dachte ich nach erstem Hören von Westernhagens neuer Single "Eins": Früher war Johnny sein bester Freund, nun ist er es selbst - da bekommt selbst ein (nach Fasching) besserungswilliger Trinker wie ich sofort größten Durst.

Nach dem lyrisch wie musikalisch eher ruppigen Vorgänger "In Den Wahnsinn" wirkte dieses erste Lebenszeichen reichlich selbstgefällig. Doch zum Glück zeigt sich Westernhagen zumindest in einigen Stücken seines neuen Albums weniger bieder. Eine locker angeschlagene Jazzgitarre und verhaltene Trompeten-Tupfer verbreiten in den ersten Takten des Openers entspannte Stimmung, die bestens zum minimalistisch-repetitiven Text passt: Offenbar nimmt der Kampf gegen die Vergesslichkeit mit den Jahren immer größeren Raum ein; misslingt er, ist es aber auch nicht schlimm.

Sanft wie ein Kinderschlaflied singt Westernhagen auch das folgende Stück, das wunderbar offen lässt, ob es die Liebe ist, die alles möglich macht, oder doch nur ein Traum. Praktisch nur mit wenigen einfachen Klaviertakten instrumentiert, verbreitet "Alles ist Möglich" allerdings auch ein fast bedrückend heimeliges Gefühl. Dagegen wirkt "Du Entkommst Mir Nicht" mit seinem schaukelnden Westcoast-Rhythmus fast wie ein Dancetrack. Bleibt die Bedeutung der ersten zwei Stücke eher in der Schwebe, erzählt der ehemalige Deutschrocker hier erstmals eine konsistente Geschichte von einem Verlassenen, der nicht loslassen kann.

"Schweige Still" begibt sich in die Niederungen des souligen Barjazz, während "Georgie" im Walzertakt zu Grabe getragen wird. Während aber der fröhliche Rhythmus gut zur augenzwinkernd erzählten Loser-Geschichte passt, ergeben zuvor Sax und wabernde Hammond-Orgel im Verbund mit der bedröppelten Reinhard Mey-Stimme ein eher verschmocktes Liebeslied.

Wie andere Stücke auch verbreiten "Willst Du Tanzen" mit Steelguitar-Vibrato und "Gejammer" Country- bzw. Südstaatenflair. Wie andere Stücke auch beweist etwa das mit reduzierter, nasaler Stimme vorgetragene "Gejammer" Mut zum musikalischen Experiment. Leider haben wir damit, einigen netten Momenten und der durchgehend sehr transparenten Produktion zum Trotz, den letzten halbwegs guten Song gehört.

In der Folge gibt sich der 56-Jährige allzu bedeutungsschwanger und nähert sich zu sehr dem Schlager, wo er doch gewiss viel lieber Liedermacher heißen will. Da drängt sich wieder das Gefühl auf, dass der Mann sich allzu wichtig nimmt. Einem Grönemeyer etwa gelingt es mitunter, seine Erfahrungen so zu verallgemeinern, dass man sich auch als Nicht-Fan angesprochen fühlt - diese Distanz zur eigenen Bedeutung geht "Nahaufnahme" vollkommen ab. Mit reichlich Schmalz und Tremolo in der Stimme verbreitet Westernhagen seine Weisheiten über Gott ("Mit Dem Rücken Zur Wand"), das Weltböse ("Ignoranz"), die Liebe ("Liebst Du Mich") und die Grundzuversicht ("So Lange Wir Noch Leben").

Gut, angesichts von "Daneben" ist wohl jeder erleichtert, dass der Westernhagen kein Pfefferminz-Prinz mehr sein will. Außerdem heißt das Album "Nahaufnahme" und soll wieder mal sein persönlichstes bisher sein. Aber: wollten wir es so genau überhaupt wissen?

Trackliste

  1. 1. Versuch Dich Zu Erinnern
  2. 2. Alles Ist Möglich
  3. 3. Du Entkommst Mir Nicht
  4. 4. Schweige Still
  5. 5. Georgie
  6. 6. Eins (Long Version)
  7. 7. Willst Du Tanzen
  8. 8. Gejammer
  9. 9. Mit Dem Rücken Zur Wand
  10. 10. Daneben
  11. 11. Ich Wollte Nie
  12. 12. Ignoranz
  13. 13. Liebst Du Mich
  14. 14. So Lange Wir Noch Leben

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