laut.de-Kritik

Früher war alles besser, Moooarius!

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Was waren das für Zeiten, 1990. Für Westernhagen ging es künstlerisch nach vorn, seinen Vornamen (laut Heinz Strunk im norddeutschen Plattland "Mooooarius" ausgesprochen) und den Müller vor dem Bindestrich hatte er auf der Strecke gelassen. Seine Hit-Single "Freiheit" war zum Soundtrack des deutsch-deutschen Vereinigungstaumels geworden, Rennpappe wurde überall im Westteil der neu geformten Republik bestaunt und der ein oder andere glaubte tatsächlich an die versprochenen blühenden Landschaften.

Aus dieser Zeit, die auch für Westernhagen eine künstlerische Neuausrichtung (weg vom malochenden Straßenkötermusiker aus dem Rheinland zum gereiften Deutschrocker) bedeutete, stammt das Dokument, das jetzt vorliegt. Wer hier gerade mal wieder Geld braucht, dass ausgerechnet jetzt "Westernhagen Live" erstmals auf DVD erscheint, soll an dieser Stelle gar nicht diskutiert werden. Klar ist: Das Album war ein Hit, und alles, was auf VHS schon erhältlich war, kommt früher oder später auf DVD.

Der Unterschied zwischen Doppelalbum und Livefilm liegt in den drei zusätzlichen Tracks "Weil Ich Dich Liebe", "Mit 18" und "Engel". Dafür fehlen hier "Weißt Du, Dass Ich Dich Liebe" und "Lieb' Mich". Zusätzlich zum VHS-Material enthält die DVD zwei "Alternative Edits", ein Interview und einen Trailer, Bonusmaterial halt. Der Hauptfilm wurde an zwei Abenden im Dezember 1990 in Hamburg aufgenommen und zeigt einen Marius in Hochform.

Über seine Karriere kann man viel philosophieren, mir ist der damals 42-jährige Düsseldorfer allemal lieber als der heutige Westernhagen. In Sachen Deutschrock hat es weiß Gott peinlichere Momente gegeben als die von MMW produzierten Songs. Stücke wie "Sexy", "Dicke" oder "Freiheit" gehören nun mal zum deutschen Liederkanon, und naiv-jugendliche Nummern wie "Mit Pfefferminz Bin Ich Dein Prinz" oder "Mit 18" kann man schon mal hören. Der Schmachtfetzen "Ganz Und Gar" kommt live sogar relativ unpeinlich rüber.

Zumal die Tonqualität über jeden Zweifel erhaben ist. Seine achtköpfige Liveband (bestehend aus dem späteren Harald Schmidt-Studiobandleader Helmut Zerlett, den Gitarristen Jay Stapley und Christian Schneider, Basser Raoul Walton, Drummer Charlie T. und der Bläsersektion Dave Plews, Dave Bishop und Vince Sullivan) versprüht einen besonderen Spielwitz und wirkt perfekt eingespielt. Jeder einzelne Akteur beherrscht sein Instrument im Schlaf und erzeugt im Wachzustand ein hohes Maß an Begeisterung, die sich selbstverständlich auf die knackvolle Sporthalle überträgt.

Was dort mitgesungen, gepogt und geklatscht wird, gibt Westernhagen Recht. Solch ein Set muss man erst einmal hinlegen, eine solche Masse will erst einmal unterhalten werden. Beides schafft der Schlacks, an dessen Kleidung man die ausgehenden Achtziger noch erkennen kann, mit links. Er hat zu jedem Zeitpunkt jeden einzelnen Besucher in der Hand, und mit zunehmender Laufzeit versteht man auch, wie er es macht: Westernhagen ist einer von ihnen. Die Bodenständigkeit drückt sich in Liedern wie "Geiler Is' Schon" aus. Die entwaffnende Ehrlichkeit macht einem den alten Westernhagen durchaus sympathisch.

Das Konzert ist gegenüber der VHS-Version nicht verändert worden, das Bonusmaterial wartet nicht mit Überraschungen auf. Das Interview mit 16 Jahre alten Gedanken hat seinen Höhepunkt, als Westernhagen den deutschen Film für tot erklärt. Auch die Filmer und Produzenten Rudi Dolezal und Hannes Rossacher, das Team DoRo, kommen ausführlich zu Wort - ob es heute noch von Interesse ist, wie sie das damals gemacht haben, sei mal dahin gestellt. Im Großen und Ganzen sieht man Westernhagen zu einer besseren Zeit. Manchmal wünscht man sich, er würde wieder auf der Straße singen, nicht schön, sondern geil und laut.

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