laut.de-Biographie
Wiki
Mit dem Auftauchen der Griselda-Clique kam das Gerede über ein mögliches Revival der guten Tage von New York zurück. Endlich klingt die Ostküste wieder nach Wu, endlich klingt sie wieder ruppig, endlich wird wieder an den MPCs gezockt. Einige Jahre immerhin rangierten im großen Apfel seit A$AP Rocky Musiker ganz oben, die sich klangmäßig ganz woanders verorten. Trotzdem überrascht dieser Geist der Wiedergeburt: BoomBap in New York gibt es nicht erst wieder seit gestern. Aber der harte Kern kommt weder in Form von Pro Era noch in der Form der Flatbush Zombies. Der vermutlich härteste Kern von New York in den 2010ern heißt Ratking.
Dieses Trio macht den ersten Schritt für einen gewissen Wiki, sein immenses Potential in der Szene zu verkünden. Gemeinsam mit Sporting Life und Hak schließt seine Crew einen Deal mit reputablem UK-Label XL ab und beginnt, mit "Wiki93" und "WikiSpeaks" Tapes zu veröffentlichen, parallel zum aufkommenden Houston-Flirt der auch wieder eine Sehnsucht nach den guten alten Tagen weckt. Damals klingt Wiki zwar schon abstrakt, aber noch mehr von den 2000ern inspiriert, man hört einen Cam'Ron heraus, aber genauso auch den Wu-Tang Clan und andere Helden der Stadt um die Jahrtausendwende.
Ratking gehört schnell zu den coolen Antworten auf die Frage, welche Musik man so höre. Weder polarisiert ihr Material groß, noch hat es wirklich eine große Hörerschaft, aber der Name fliegt umher, wenn es um Kontrapunkte zum Rap-Status Quo geht. Jeder, der sich mit dieser Art von Realkeepern beschäftigt, weiß allerdings, dass nur ein Kontrapunkt zu sein auch nicht das vielversprechendste Ding der Welt ist. 2014 veröffentlichen Ratking ihr Debütalbum "So It Goes", 2015 legen sie mit "700-Fill" eine EP nach. So richtig bleibt der Durchbruch, der ihnen prophezeit wird, aber aus.
"Lil Me" heißt der folgerichtige Schritt, den Wiki daraufhin im selben Jahr noch geht. Angekündigt mit der Lead-Single "Living With My Mom's" enthält das Solodebüt farbenfrohe Produktionen, nicht nur von Chef-Abstrahierern wie Black Milk und Madlib, sondern auch nach vorne gedachte Kollaborationen mit Harry Fraud und Kaytranada. Bis 2017 soll es dauern, bis dem Mixtape ein Album folgt, das auf den Namen "No Mountains In Manhattan" hört. Gearbeitet hat er an dem Punkt schon von Princess Nokia über Ghostface Killah bis Earl Sweatshirt mit jedem Stadt- oder Geistesverwandten. Das Album kommt sogar mit einem kleinen Videospiel und entwickelt sich im Untergrund zum Achtungserfolg.
Etwas weniger Achtung bringt ihm die erst vielversprechende Supergroup Hidden Circle, auf der er sich mit Lil Ugly Mane und Antwon zusammentut. Nicht, weil die Musik nicht gut wäre, sondern weil ebenjener Antwon nur kurze Zeit später wegen Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch das Handtuch wirft und das ganze Projekt peinlich berührt zu den Akten wandert. Aber nicht schlimm für Wiki: Es formt sich eine New York-Renaissance, die sehr in seinem Sinne zu arbeiten scheint.
Musiker wie Mike von [sLums], Navy Blue oder Standing On The Corner wirken wie perfekt gemachte Kollaborationen für ihn, sie steigern sich gegenseitig in ihrer lyrischen Attitüde und radikalisieren sich in ihrem Stil nur gegenseitig. So wundert es nicht, dass 2021 eine Serie von Raps auf Beats von ebenjenem Navy Blue unter dem Namen "Half God" erscheint und vermutlich Wikis bis dato konsequentestes und bestes Album darstellt. 2023 folgt "Faith Is A Rock".
Eine Wende hat der New Yorker in seinen zehn Jahren Schaffenszeit nicht eingeläutet. Viel mehr hat er sich nur von Projekt zu Projekt tiefer in den Untergrund eingegraben. Aber es hat sich gelohnt: Der Mann mit der alten Seele und dem ungooglebaren Namen gehört definitiv zur New York-Avantgarde. Wer sich auskennt damit, kennt und respektiert ihn. Raum für weitere geile Alben liefern ihm die inzwischen mehr als eingeschworenen Fans im Handumdrehen. Was will man also mehr?
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